SZ-Serie "Ein Anruf bei":"Bravissimo! Sie haben es verstanden!"

Luther Eis

Der Wormser Eishändler Pietro Vannini (mit roter Schürze) stellt - unter Einhaltung des Mindestabstands - seinen Kunden das von ihm erfundene "Martin-Luther-Eis" vor.

(Foto: EKHN Uhrig)

Warum der Wormser Eishändler Pietro Vannini das "Martin-Luther-Eis" erfunden hat - und was das für die Zukunft der Weltreligionen bedeutet.

Interview von Martin Zips

Der Wormser Eishändler Pietro Vannini, 56, hat neuerdings auch "Luther-Eis" im Angebot. Damit möchte er an den Augustinermönch und Theologen Martin Luther (1483 - 1546) erinnern, der sich vor genau 500 Jahren im Wormser Reichstag vor Kaiser Karl V. weigerte, seine Kirchenkritik zu widerrufen. Das historische Ereignis wird in den kommenden Monaten mit allerlei Veranstaltungen gewürdigt.

SZ: Herr Vannini, Sie leiten seit 27 Jahren einen Eissalon in Worms. Haben Sie mit Martin Luther zum ersten Mal einer historischen Person ein Speiseeis gewidmet?

Pietro Vannini: Ja, und es ist mir besonders gut gelungen. Ich habe Bücher gelesen über Martin Luther und mich mit den Zutaten beschäftigt, die zu seiner Zeit besonders beliebt waren.

Koriander und Kümmel?

Zum Beispiel.

Die waren im 16. Jahrhundert ein beliebtes Mittel gegen Blähungen.

Das ist doch wunderbar! Abgerundet wird das Ganze mit Milch, Sahne, Butter und Ei. Kandiert mit trockenen Früchten. Dazu Mandelgebäck, wie man es in Luthers Arbeitsräumen gefunden hat. Und obendrauf: Honig!

Dabei dürfte Luther gar nicht nach Schleckeis zumute gewesen sein, als er am 18. April 1521 in Worms vor dem Kaiser stand.

Wie gut ihm da mein Eis getan hätte! Und Luther ist quasi mein Nachbar, denn meine Eisdiele befindet sich gleich neben der wunderschönen evangelischen Dreifaltigkeitskirche. Als Katholik finde ich das fantastisch!

So viel friedliche Nähe zwischen Katholiken und Protestanten war in Worms nicht immer.

Aber der Dreißigjährige Krieg ist ja glücklicherweise vorbei. Über das Wochenende haben wir täglich zwei große Behälter mit Luther-Eis verkauft.

Sollten Sie sich Ihr Eis vielleicht patentieren lassen?

Sie meinen, wegen dieser Hochstapler aus meiner Branche, die zum Beispiel behaupten, sie hätten das Spaghetti-Eis oder das Stracciatella-Eis oder sonst was erfunden? Ach nein. Solche Leute wird es immer geben. Denen kommt man nicht bei.

Setzen Sie sich mit Ihrem Eis nicht zwischen alle Stühle, Herr Vannini? Im katholischen Norditalien werden Ihre Kollegen das Luther-Eis sicher nicht besonders goutieren. Und in Deutschland schätzen die Menschen beim Italiener vor allem Spaghetti-Eis.

Ja, aber soll ich deshalb Jesolo-Eis verkaufen oder was? Mir geht es doch um etwas ganz anderes.

Nämlich?

So ein Martin-Luther-Eis, hergestellt von einem italienischen Katholiken, der vor 40 Jahren als junger Mann aus einem abgelegenen Dolomiten-Tal über die Alpen nach Deutschland kam - das hat doch eine Botschaft!

Eine Botschaft.

Es ist Zeichen dafür, dass alle Menschen in Frieden und Liebe zusammenleben können. Denken Sie daran, dass der italienische Fluss Po eine Art kulinarische Grenze darstellt. Nördlich davon wird Kuchen, Gebäck oder Dessert immer fettiger. Südlich davon: Immer süßer.

Und was hat das jetzt mit dem Eis zu tun?

Der Honig! Die Mandeln! Die kandidierten Früchte! Denken Sie da nicht zum Beispiel an die Türkei, an Israel, an Tunesien, an Algerien? Da reichen sich doch Orient und Okzident die Hand. Inspiriert zu dem Eis hat mich übrigens Albino Luciani, der frühere Patriarch von Venedig.

Sie meinen den späteren 33-Tage-Papst Johannes Paul I.?

Ein wunderbarer Mensch! Vom Typ ganz anders als dieser Wojtyla oder der Ratzinger. Wäre er länger am Leben geblieben, so hätte er die Weltreligionen sicher mehr zusammengebracht. In seiner Tradition sehe ich mich.

Als Eismacher.

Meine Eltern haben mich mit 13 Monaten an meine Tante abgegeben, bei der ich dann aufgewachsen bin. Als Jugendlicher traf ich Luciani während eines Schulspiels. Er war so beeindruckend. Auch meine Frau habe ich in diesen Tagen kennengelernt. Geheiratet haben wir mit 21. Ich glaube: Über Eis lernen die Menschen, dass es nichts bringt, im Leben säuerlich zu sein. Das Leben ist so etwas Süßes, Kostbares. Man muss sich mit Liebe und Respekt begegnen. Die Religionen, das sind für mich Vereinsmannschaften einer Fußballliga. Und selbst, wenn wir in unterschiedlichen Vereinen spielen, am Ende haben wir doch die gleiche Nationalmannschaft.

Die Nationalmannschaft ist ein Eis?

Bravissimo! Sie haben es verstanden! Eis ist universal. Wir dürfen uns nicht verhalten, als wären wir Pferde, denen man das Sichtfeld mit Scheuklappen verstellt. Offenheit und Toleranz - das ist es! Deshalb habe ich das Luther-Eis erfunden.

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Nana Oforiattas Ayim

SZ PlusNana Oforiatta-Ayim
:"Die Frage, was ist Heimat, hat mich lange begleitet"

Die Schriftstellerin, Filmemacherin und Kuratorin Nana Oforiatta-Ayim ist die Enkelin eines ghanaischen Königs und aufgewachsen in Duisburg. Ein Gespräch über ein Leben als Seiltanz und ihren Weg zur Kunst-Pionierin.

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