Energie:Das Rennen um die Kernfusion ist eröffnet

Kernfusions-Testanlage 'Wendelstein 7-X'

Sonne auf Erden: Plasma in der Kernfusionsforschungsanlage "Wendelstein 7-X" am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in der Außenstelle Greifswald.

(Foto: Stefan Sauer/dpa)

Schon in wenigen Jahren wollen zwei Start-ups kompakte Kernfusionsreaktoren in Betrieb nehmen - und so das Großprojekt Iter hinter sich lassen. Möglich machen sollen das neuartige Hochtemperatur-Supraleiter.

Von Daniel Clery

Ein Start-up, das den Traum massenhafter, kohlenstofffreier Elektrizität durch Kernfusion verfolgt, hat einen Standort für seinen Kompaktreaktor gefunden: Kürzlich gab Commonwealth Fusion Systems bekannt, dass kommendes Jahr der erste Reaktor namens "Sparc" in Devens, Massachusetts, errichtet werden soll. Das drei Jahre alte Start-up ist ausgestattet mit mehr als 200 Millionen Dollar von Investoren, darunter Bill Gates' Organisation Breakthrough Energy.

Kernfusion ist die Energiequelle der Sonne. Der neue Reaktor wäre der erste seiner Art, der mehr Energie produziert, als er verbraucht. Laut dem Unternehmen könnte er bereits 2025 den Betrieb aufnehmen. Commonwealth und eine weitere Firma aus Großbritannien haben sich auch für eine zentrale Technologie entschieden: Kleine, aber starke Magnete auf Basis von Hochtemperatur-Supraleitern sollen es ihnen ermöglichen, sowohl den gigantischen, öffentlich finanzierten Iter-Reaktor in Frankreich als auch einen von der US-Energiebehörde geplanten Modellreaktor hinter sich zu lassen.

Commonwealth montiert gerade den ersten Magneten in nahezu voller Größe und hofft, ihn im Juni zu testen. "Das ist eine große Sache", sagt Geschäftsführer Bob Mumgaard. "Es übertrifft, was alle anderen anstreben." Fusionsreaktoren nutzen ein ionisiertes Gas aus Wasserstoff-Isotopen bei mehr als 100 Millionen Grad Celsius. Das ist so heiß, dass das Plasma in einem Netz von Magnetfeldern gehalten werden muss, damit es nicht die Reaktorwände schmilzt.

Die größten Magnete bei Iter haben einen Durchmesser von 24 Metern

Bei Iter werden solche Felder durch magnetische Spulen mit supraleitfähigen Drähten aus einer Niob-Aluminium-Verbindung erzielt, die große Ströme ohne Widerstand leiten können. Solche Supraleiter müssen jedoch auf vier Grad über dem absoluten Nullpunkt von Minus 273 Grad Celsius gekühlt werden, was eine teure Heliumkühlung erfordert. Außerdem können die Niob-Drähte nur eine bestimmte Menge Strom transportieren. Das zwingt Iter dazu, große Magnete mit vielen Windungen zu benutzen. Die größten Magnete bei Iter haben einen Durchmesser von 24 Metern, einer der Gründe, warum das Projekt rund 20 Milliarden Dollar kosten soll.

Neuere Hochtemperatur-Supraleiter, so genannt, weil sie bei etwas milderen Temperaturen oberhalb von Minus 196 Grad Celsius funktionieren, gab es noch nicht, als Iter entworfen wurde. Weil diese deutlich mehr Strom leiten können, hoffen Erfinder auf kleinere, günstigere Reaktoren. Dennoch sind es spröde, anspruchsvolle Materialien, daher haben "eine Menge Leute sie aufgegeben", so Rod Bateman von Tokamak Energy, dem britischen Start-up, das ebenfalls auf diese Technologie setzt. "Sie waren einfach zu unzuverlässig."

Im vergangenen Jahrzehnt haben Forscher Wege gefunden, dünne Schichten aus seltenen Erden, Barium und Kupferoxid (Rebco) auf Metallband aufzutragen. Die Bänder können in großer Länge hergestellt werden und arbeiten am besten bei etwa zehn Kelvin, was etwa Minus 263 Grad Celsius entspricht. Was die Kühlung angeht: "Zehn Kelvin sind deutlich einfacher als vier Kelvin", sagt Magnetingenieur John Smith von General Atomics aus San Diego.

Die Rebco-Bänder können zwar gebogen werden, sind aber schwer zu Spulen zu wickeln, weil sie flach sind, sagt Mumgaard. "Man muss aufhören, sie wie einen Draht zu behandeln." Commonwealth hat ein Kabel entwickelt, das mit mehreren Lagen des Bandes besetzt ist, die sich wie die Streifen einer Zuckerstange um das Kabel winden. Tokamak Energy wickelt die Spulen wie eine Rolle Klebeband - eine Lage auf der anderen. "Es macht das Wickeln viel leichter", sagt Bateman.

Die kommenden Monate sind entscheidend für die beiden Firmen

Eine weitere Herausforderung für beide Unternehmen ist der Nachschub. Zusammengenommen produzieren die Hersteller von Rebco-Band lediglich ein paar Hundert Kilometer pro Jahr. Commonwealth benötigt aber allein 500 Kilometer für den ersten Testmagneten. "Die Hersteller fahren die Produktion wie verrückt hoch", sagt Bateman. "Kernfusion ist der Markt, auf den Hochtemperatur-Supraleiter gewartet haben."

Die kommenden Monate sind entscheidend für die beiden Firmen. Nach Jahren des Modellierens und der Experimente konstruieren sie Testmagnete, die 20 Tesla erreichen sollen - anderthalbmal stärker als der von Iter - in Spulen, die nur ein paar Meter breit sind. Commonwealth baut einen zweieinhalb Meter großen, D-förmigen Magneten, etwas kleiner als jene, die für Sparc geplant sind. Dennoch wird er laut Mumgaard der größte Hochtemperatur-Supraleiter-Magnet aller Zeiten sein, wenn er im Juni fertig ist.

Tokamak Energy will gleich einen ganzen Satz von 16 Spulen testen, groß genug für einen etwa einen Meter breiten Testreaktor. Laut Bateman wird die Firma in den nächsten Wochen damit beginnen, die Magnete zu winden und hofft, sie bis Ende des Jahres zu testen. Falls das erfolgreich verläuft, will die Firma 2027 mit dem Bau des Demo-Reaktors ST-F1 beginnen.

Eine erfolgreiche Demonstration der Spulen wäre eine "phänomenale Aussage für die Technologie", so Smith. Doch Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching hält Commonwealths Ziel, den Reaktor bis 2025 zum Laufen zu bringen, für zu ambitioniert. Gleichzeitig die Technologie zu entwickeln, einen Reaktor zu bauen und die Aufsichtsbehörde davon zu überzeugen, radioaktiven Fusionstreibstoff benutzen zu dürfen, werde mehr als vier Jahre in Anspruch nehmen. "Das wird mehr Zeit brauchen", sagt Zohm. "Aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren."

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin Science erschienen, herausgegeben von der AAAS. Deutsche Bearbeitung: Peter Strigl.

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