Debatte um Dokumentarfilm "Lovemobil":Alles Ware statt alles wahr

Lovemobil Film

Hat sich der NDR dafür interessiert, ob er die realen Prostituierten gefährdet, von denen er glaubte, sie würden in "Lovemobil" gezeigt?

(Foto: Still: Christoph Rohrscheidt)

Ein "Zapp"-Spezial will die Causa "Lovemobil" aufarbeiten - und lässt die Rolle des NDR sehr im Nebel.

Von Susan Vahabzadeh

Ist das eine neue Fehler-Kultur? Markus Söder wettert über die Maskenaffäre, Angela Merkel nimmt die Schuld für eine nicht zu regelnden Osterruhe auf sich und der NDR outet einen von ihm selbst coproduzierten Dokumentarfilm als unsaubere Arbeit. Mehr noch: In einer Sondersendung des Medienmagazins Zapp hat der NDR nun - schon zum zweiten Mal - die Aufarbeitung der Causa Lovemobil versucht.

Elke Lehrenkrauss' Dokumentarfilm über zwei Prostituierte brachte Gesprächsstoff, als er Preise gewann, und dann noch mehr Gesprächsstoff, als das ebenfalls beim NDR angesiedelte Magazin Strg_F enthüllte, dass in Lovemobil doch sehr viel mehr Inszenierung steckt als üblich. Wobei eben schon schwierig zu benennen ist, was "üblich" ist.

Denn natürlich inszenieren auch Regisseure und Regisseurinnen von Dokumentarfilmen - anders ist eine halbwegs gut ausgeleuchtete Szene, sind kurze Dialoge, verständliche Statements nur schwer einzufangen. Klar ist allerdings auch: Es ist ausgesprochen unüblich, wenn die Regisseurin eines Dokumentarfilms im Nachhinein einräumt, ihre Protagonistin, die im Film als Prostituierte auftritt, sei eigentlich Schauspielerin. Auch andere Figuren in Lovemobil waren wohl nicht das, was sie im Film sein sollen. Ohne Kennzeichnung.

Bei Anja Reschke wurde vor allem klar, welchen Schuh sie sich nicht anziehen will

Zu Wort kamen bei Zapp der Journalist und Dokumentarfilmer Stephan Lamby sowie die Regisseurin und zweite Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm, Susanne Binninger, und Anja Reschke, die als Leiterin des Programmbereichs Dokumentation und Kultur einen ziemlich verantwortungsbehafteten Posten beim NDR innehält.

Entsprechend wurde nun beklagt, dass ein Vorgehen wie bei Lovemobil das Vertrauen der Zuschauer unterminiere, ausgerechnet zu einer Zeit, in der "Fake News" ohnehin zum Schlagwort geworden seien. Es wurde außerdem darüber diskutiert, wie viel Inszenierung nun nötig ist und wo die Grenzen sind: Susanne Binninger fand das schwierig zu benennen. Stephan Lamby erzählte von seiner eigenen Arbeit. Natürlich muss ein Filmemacher, auch einer, der Dokumentarfilme macht, Bilder für all das finden, das keiner gefilmt hat. Dass man beispielsweise über Politiker nur noch das erzählen darf, was von einer Kamera festgehalten wurde, kann ja niemand ernstlich wollen.

Zu schön, um wahr zu sein? Lehren aus Lovemobil hieß dieses Zapp-Spezial im Untertitel, und man würde da eigentlich erwarten, dass der NDR dann auch Licht in die eigene Vorgehensweise bringt. Bei Anja Reschke wurde aber vor allem klar, welchen Schuh sie sich nicht anziehen will: Als ein Einspielfilm die prekären Zustände in der Dokumentarfilmbranche zeigte, und anschließend Susanne Binninger anmerkte, dass auch Elke Lehrenkrauss unter schwierigen Umständen gearbeitet habe, wurde Anja Reschke sauer. Elke Lehrenkrauss habe einen viel längeren Film gemacht als ursprünglich vereinbart und deshalb länger gebraucht, ist ihr Argument. Dass jemand mit seinem Film nicht fertig wird, sagt Reschke, kann passieren - dafür läge die Verantwortung nun aber nicht beim Sender.

Aber sie hat dann nicht mehr zu bieten als das genervte Eingeständnis, man hätte vielleicht genauer hinschauen müssen und "ja, vielleicht muss man Filmemacher beim ersten Film enger begleiten". Die Frage "Aber welche Kontrollen gibt es?" mag im Ankündigungstext des NDR zu diesem Zapp-Spezial gestanden haben, beantwortet wird sie aber nicht.

Der Regisseur Dietmar Post beklagt: "Wir haben Menschen zur Ware gemacht."

Nicht jeden Schritt zu überprüfen ist schließlich eine Sache - aber welche Schritte hat der Sender denn nun überprüft, bei einem Film, der eben nicht von Sachbearbeiterinnen handelt, sondern von Frauen, die im Wohnwagen ihre Dienste anbieten und auch Zuhälter haben? Solche Fragen wurden dann am Freitagabend auch bei einer Diskussionsveranstaltung der AG DOK und der Deutschen Akademie für Fernsehen anlässlich des Lovemobil-Falls nicht verhandelt - die Veranstaltung unter dem Titel "Was darf Dokumentarfilm?" wirkte seltsam deplatziert. Es wurde über Lovemobil kaum geredet, denn dass das, was sie getan hat, kein Fehler gewesen sei, behauptet ja nicht einmal Elke Lehrenkrauss. Interessanter wäre eine Debatte darüber gewesen, ob es Umstände gibt, die man ändern muss - aber die wurde bei der AG DOK nicht geführt.

In der Zapp-Sendung nannte Anja Reschke keine Verpflichtungen, die die betreuende Redakteurin oder der betreuende Redakteur hätten - im Fall von Elke Lehrenkrauss war das Timo Großpietsch, der selber Dokumentarfilme macht und an der ARD-ZDF-Medienakademie Seminare gibt. Es ist wohl eine Sache für einen Sender, selbst einen Fehler öffentlich zu machen, und eine andere, dafür auch einen Teil der Verantwortung zu übernehmen.

Der Regisseur und Grimmepreis-Gewinner Dietmar Post hat auf artechock über den Fall geschrieben und beklagt, es sei "eine allge­meine Wohlfühl-Kultur, eine Null-Debatten-Kultur (...) entstanden. Wir haben 'Menschen' zur 'Ware' gemacht." Da hat er dann vielleicht schon einen Anfangsfehler identifiziert. Hat sich der NDR dafür interessiert, ob er die realen Prostituierten gefährdet, von denen er glaubte, sie würden in Lovemobil gezeigt? Oder dafür, ob sich eine Autorin verzettelt? Oder nur dafür, ob sie den vereinbarten Film abliefert? Das wurde bei Zapp nicht geklärt. So wird aus "Alles wahr" schnell "Alles Ware".

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