Berliner Wissenschaftsnetz Brain:Glasfaser mit Hemmschuh

Students sit in the philological library of the Free University of Berlin 'Freie Universitaet Berlin' in Berlin

Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin

(Foto: REUTERS)

Das superschnelle Wissenschaftsnetz in Berlin kommt nur auf Umwegen ins Internet und wird dadurch ausgebremst.

Von Monika Ermert, München

Je weniger Knotenpunkte ein Internetpaket auf dem Weg vom Sender zum Empfänger zu durchlaufen hat, desto schneller kommt es an. Die Technik der effizienten Verkehrsplanung im Netz - genannt Routing - beschäftigt ganze Heerscharen von Netzadministratoren, aber auch Forscher wie Matthias Wählisch, Professor an der Freien Universität Berlin.

Wählisch ist seit einiger Zeit Mitglied im Beirat des Berliner Internetknotens BCIX und wundert sich nicht schlecht darüber, dass ausgerechnet das superschnelle Wissenschaftsnetz der Digitalisierungshauptstadt bei der Auffahrt ins Internet eine Menge Umwege in Kauf nimmt - und so viel von der möglichen Reaktionsgeschwindigkeit verschenkt.

Eigentlich hatte Berlin ja alles richtig gemacht: Schon seit zwei Jahrzehnten verbinden 2300 Kilometer Glasfaser-Kabel eine wachsende Anzahl von Universitäten, Bibliotheken und Forschungsinstituten in der Bundeshauptstadt. Fast einzigartig in der Republik sei das Brain-Netz, sagt Wählisch, und einer weitsichtigen Entscheidung des Senats aus dem Jahr 1994 geschuldet. "Als man damals das Netz der Feuerwehrmeldeanlagen renoviert hat, hat man beschlossen, gleich noch Leerrohre mit zu verlegen." So kam Berlin zu einem supermodernen Glasfasernetz. Von der Akademie der Künste über die großen Universitäten, bis zu Robert-Koch-Institut, Charité und Zuse-Institut - Tausende von Forscherinnen und Forscher hängen an Brain.

Brain hängt aber, wie die Geschäftsstelle des Netzes bestätigt, nicht direkt am Internet. Satzungsgemäß sei das nicht vorgesehen. Stattdessen bedienen sich die Brain-Teilnehmer dafür der Dienste des Deutschen Forschungsnetzes (DFN). Warum solche Umwege gehen, fragte Wählisch im Beirat von Brain und regte an, das schnelle Netz doch lieber direkt an den Berliner Internetaustauschknoten, den BCIX anzuschließen.

Je weniger Latenz, desto mehr Forscherzeit

Wählisch rechnet vor, dass die Zugriffszeiten auf die Berliner Seite, www.berlin.de von seinem Arbeitsplatz an der Freien Universität 15 Millisekunden benötigt. Die Pakete der gemessenen Verbindung liefen über Hannover und Frankfurt. Vom Rechner zu Hause dagegen könne er berlin.de direkt erreichen, und zwar weil sein Homeoffice Provider Telefónica direkt am BCIX angeschlossen ist, und daher der Verkehr ohne Umwege zugestellt wird - in acht Millisekunden. Wählisch hat noch eine dritte Messung vornehmen lassen, von einem anderen Berliner Anschluss aus, der denselben Internetanbieter wie berlin.de hat, die SysEleven, dauert der Verbindungsaufbau sogar nur 0,65 Millisekunden.

Ein paar Millisekunden hin oder her, was macht das schon, könnte man argumentieren. Aber angesichts der Zahl der angeschlossenen Teilnehmer kommt bei einer Verdoppelung der Latenz durchaus ein großer Brocken Forscher-Zeit zusammen. Sieben oder mehr Millisekunden Ersparnis pro Verbindung, "die Entwickler bei Google würden darüber Luftsprünge machen", sagt Wählisch. "Jetzt nerven manchmal schon Ruckler, wenn die Verwaltung Remote Desktop macht. Wenn man an Virtual Reality von Hörsaalübertragungen denkt, sind Latenzen noch kritischer," sagt er.

Brain könnte laut Auskunft der Geschäftsstelle, die am Zuse-Institut betrieben wird, den Netzzugang problemlos anbieten. Gegenüber der aktuellen Lösung könnte auf Basis der Preisliste des DFN sogar ein fast siebenstelliger Betrag jährlich eingespart werden, hat Geschäftsstellenleiter Carsten Schäuble ausgerechnet. Es wäre schön, sagt er, wenn man das Portfolio von Brain weiter entwickeln könnte.

Politische Entscheidungen erschweren schnellere Lösungen

Das Zuse Institut-wäre an einem direkten Anschluss am BCIX selbst dabei durchaus interessiert, sagt er. Aber die Geschäftsstelle setzt die Entscheidungen einer Planungsgruppe um. Darin sind die Rechenzentren der drei großen Berliner Hochschulen vertreten. Die haben sich erst einmal dagegen entschieden, dass Brain vom internen Verbund zum Netz wird, das auch den Zugang ins Internet vermittelt.

Dem klassischen DFN Internetzugang den Rücken zu kehren, ist in der Planungsgruppe nicht mehrheitsfähig, bestätigt Wählisch. Personelle Verbindungen zwischen DFN und der Führung von Brain erschweren eine solche Abkehr. Im vergangenen Dezember wurde Odej Kao, Chief Information Officer der TU Berlin, die einen Sitz in der Planungsgruppe hat, zum neuen Vorstandsvorsitzenden des DFN gewählt.

Politik sei das, bedauert Wählisch. Mit modernem Internetverkehrsmanagement für die Digitalisierungshauptstadt aber habe es nichts zu tun. "Schade," so Wählisch, "dass Berlin die Standortvorteile, die es durch Brain und BCIX lokal tatsächlich hat, so leichtsinnig verspielt."

In einer früheren Version des Artikels wurde Matthias Wählisch irrtümlich als Mitglied im Beirat voin Brain bezeichnet. Er ist aber Beiratsmitglied beim BCIX.

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