Arktis:Historischer Machtwechsel in Grönland

Mute B. Egede,  (IA), Chairman of the Inuit Ataqatigiit party

Múte Bourop Egede, der 34-jährige Vorsitzende der sozialistischen IA (Inuit Ataqatigiit), hat nach der gewonnenen Wahl nun das Recht, sich an der Regierungsbildung zu versuchen.

(Foto: Christian Klindt Solbeck/AFP)

Nur 56 000 Einwohner, aber im Visier der Großmächte: Wie schmelzendes Eis, Uran und Seltene Erden den Sozialisten einen Wahlsieg brachten.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Grönland steht vor einem Machtwechsel, dessen Bedeutung auch in Washington und in Peking genau studiert werden wird. Zum zweiten Mal erst seit Gewährung der Selbstverwaltung durch Dänemark 1979 müssen die bislang regierenden Sozialdemokraten von der Partei Siumut wohl in die Opposition. Sie kamen auf 29,4 Prozent der Stimmen. Wahlsieger ist mit 36,6 Prozent der Stimmen die sozialistische IA (Inuit Ataqatigiit), deren 34-jähriger Vorsitzender Múte Bourop Egede nun das Recht hat, sich an der Regierungsbildung zu versuchen.

Die IA profitierte dabei vor allem von ihrer Gegnerschaft zu einem gewaltigen Bergbauprojekt im Süden des Landes, bei dem Uran und Seltene Erden abgebaut werden sollen. Er wolle "ein Wachstum, das nicht auf Kosten unserer Umwelt geht", sagte Wahlsieger Egede am Mittwoch in Grönlands Hauptstadt Nuuk: "Daran halten wir fest. Wir sagen Nein zum Uranabbau." Nicht zuletzt dem Streit um den Abbau dieser Rohstoffe ist es zu verdanken, dass die Ergebnisse der Wahl weit über Grönland hinaus Aufmerksamkeit finden.

Die Insel Grönland ist sechsmal so groß wie Deutschland, zählt aber gerade mal knapp 56 000 Bürger, damit liegt Grönland bei der Zahl der Einwohner zwischen Baden-Baden und Neu-Ulm. Spätestens aber der Vorstoß des damaligen US-Präsidenten Donald Trump, der dem dänischen Königreich im Sommer 2019 Grönland abkaufen wollte, machte der Welt die geostrategische Bedeutung der Insel klar: Die großen Mächte positionieren sich neu in einer sich rapide erwärmenden Arktis. Das schmelzende Eis mag eine Katastrophe für Umwelt und Klima sein, es eröffnet aber auch neue Schifffahrtsrouten und den Zugang zu bislang unzugänglichen Bodenschätzen. Und eine Menge davon liegt bislang unerschlossen auf Grönland.

Vollständige Unabhängigkeit ist seit Jahren ein Anliegen der Inuit

Grönland ist - wie auch die Färöer - eine autonome Nation innerhalb des Königreichs Dänemark. Verteidigungs- und Außenpolitik ist bis heute Sache Dänemarks geblieben. Vollständige Unabhängigkeit von Dänemark ist seit vielen Jahren ein Anliegen vor allem der Inuit, die die Mehrheit der grönländischen Gesellschaft stellen. Und doch war die Unabhängigkeit kein großes Thema in diesem Wahlkampf. Die meisten Grönländer sind sich darüber im Klaren, dass ihrem Land dafür noch die wirtschaftliche Grundlage fehlt: Ein knappes Drittel des grönländischen Budgets wird als Finanzzuschuss noch immer Jahr für Jahr von Kopenhagen überwiesen.

Und so wurde im Wahlkampf viel über die Alltagsprobleme der Grönländer gestritten, über Wohnungslosigkeit und Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit vor allem junger Menschen auf der Insel. Die Fischerei, bis heute größte Stütze der grönländischen Wirtschaft, war wie immer eines der Hauptthemen: Experten mahnen einen nachhaltigeren Umgang mit den Meeresressourcen an. Thematisiert wurden auch die enormen Investitionen in gleich zwei internationale Flughäfen, deren Kosten den Bauherren davongaloppieren.

Das wahlentscheidende Thema aber war das geplante Kvanefjeld-Projekt, die Mine an einem Ort im Süden Grönlands, den die Grönländer selbst Kuannersuit nennen. Eine vorläufige Genehmigung erhielt vor Jahren schon das australische Bergbauunternehmen Greenland Minerals, das nach Probebohrungen verkündete, die Vorkommen in Kuannersuit an Seltenen Erden und Uran gehörten zu den reichsten der Welt.

Seltene Erden sind wertvolle Metalle, die benötigt werden für die Herstellung von Smartphones und Elektroautos ebenso wie für Windturbinen und Kampfflugzeuge. Bisher werden die globalen Lieferketten bei Seltenen Erden dominiert von China, die USA suchen schon lange nach einer Möglichkeit, diese Dominanz zu brechen. Auch an der australischen Firma Greenland Minerals sind chinesische Akteure beteiligt: Zehn Prozent gehören Shenghe Ressources, einem staatsnahen chinesischen Unternehmen.

Gegner der Mine warnen vor dem Risiko einer radioaktiven Verseuchung

Die bisherige Regierungspartei Siumut zählte zu den Befürwortern des Projekts: Die Mine schaffe Hunderte Arbeitsplätze, sagen diese, und könne mit gewaltigen Einnahmen Grönland dem Traum von der Unabhängigkeit ein Stück näher bringen.

Die Gegner warnen vor Umweltverschmutzung und dem Risiko der radioaktiven Verseuchung, vor Folgen für Fischerei und Tourismus, wenn gemeinsam mit den Seltenen Erden das Nebenprodukt Uran abgebaut werde. Sie erhielten auch deshalb viel Zulauf, weil die künftige Mine im Süden Grönlands liegt, in einem der wenigen Gebiete des Landes, in dem Landwirtschaft und Schafzucht möglich sind.

Tatsächlich hatte der Streit um das Projekt überhaupt erst zum Auseinanderbrechen der Regierungskoalition im Februar geführt, und damit zu den vorgezogenen Wahlen am Dienstag. Letzte Umfragen hatten ergeben, dass mehr als 60 Prozent der Grönländer die Kuannersuit-Mine ablehnen, obwohl eine Mehrheit ansonsten dem Bergbau an sich positiv gegenübersteht.

Die Sitzverteilung im neuen Parlament böte der sozialistischen IA (12 Sitze) nun beispielsweise die Möglichkeit, eine Koalition mit der drittplatzierten Partei Naleraq (4 Sitze) einzugehen und so eine Mehrheit der 31 Sitze zu erlangen. Ohne die Zustimmung der neuen Regierung kann die Kuannersuit-Mine nicht erschlossen werden.

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