DEL 2:Ruhe ohne Sturm

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"Mich hat es zerlegt": An Eishockey ist für Johannes Sedlmayr auch vier Monate nach seiner Covid-19-Erkrankung noch nicht zu denken. (Foto: Jürgen Kessler/Imago)

Johannes Sedlmayr war einer von vielen bei den Tölzer Löwen, die sich im November mit dem Coronavirus infizierten. Doch während sein Team zurzeit um Tabellenplatz zwei kämpft, leidet der 30-Jährige bis heute an den Folgen der Erkrankung.

Von Christian Bernhard, Bad Tölz

Die "Wie geht's dir?"-Frage hat in gewissen Kreisen keinen guten Ruf mehr, zu floskelhaft und inflationär erscheint sie so manchem. Für das Zeitjung-Magazin ist sie gar die "unehrlichste aller Fragen". Für Johannes Sedlmayr ist sie allerdings seit Monaten von essentieller Bedeutung. "Soweit ganz gut", antwortet er. "Solange ich mich nicht anstrenge oder sportlich bestätige, ist alles gut."

Sedlmayr war einer der zahlreichen Eishockeyprofis der Tölzer Löwen, die sich Ende November mit dem Coronavirus infizierten. Die meisten überstanden das Virus symptomfrei und damit relativ gut, in häuslicher Quarantäne. Sturmkollege Thomas Merl, der mittlerweile wieder aufs Eis zurückgekehrt ist, und Sedlmayr erwischte es dagegen hart. "Mich hat es richtig zerlegt", sagt der 30-Jährige rückblickend. Und zwar so sehr, dass er noch heute darunter leidet. Sobald die Anstrengung etwas größer wird, etwa beim Treppensteigen, schnellt sein Pulsschlag in die Höhe und die Erschöpfung macht sich sofort bemerkbar. "Die ersten drei Monate ist mir alles extrem schwer gefallen, ich hatte einfach keine Energie", erzählt er. Mittlerweile geht es etwas bergauf, "die besseren Tage haben die Überhand gewonnen", sagt Sedlmayr. Die Folgen der Infektion bestimmen aber auch heute, mehr als vier Monate später, seinen Alltag "komplett". Der 30-Jährige hört jeden Tag beim Aufwachen in sich hinein, er lotet dabei aus, wie er sich fühlt, und darauf legt er dann alles aus. Denn es kommt in Wellen. Immer noch. "Das einzige, das wirklich hilft, ist ruhen, extrem viel schlafen und nichts machen."

Fieber, Schüttelfrost, Gliederschmerzen: "Es war alles eine Nummer größer, als ich es gekannt habe."

Am härtesten war es zu Beginn. Zehn Tage lang plagten ihn Fieber, heftiger Schüttelfrost, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen. Er schleppte sich vom Bett auf die Couch und wieder zurück, mehr war nicht drin. "Es war alles eine Nummer größer, als ich es gekannt habe." Drei Wochen nach dem positiven Test versuchte er, seine Wohnung aufzuräumen und zu putzen, doch damit war bereits nach einer halben Stunde Schluss, "dann war ich fix und fertig". In diesem Moment spürte der gebürtige Tölzer, dass das Problem offenbar größer ist. Die Folge: Herzecho, Blutuntersuchungen, Lungencheck, Besuche bei Herzkardiologen und Lungenärzten. Sedlmayr wurde häufig untersucht, doch es wurde nichts gefunden. Sein Zustand wurde aber auch nicht besser. Schon der tägliche Spaziergang "war wie eine Trainingseinheit", erzählt er. "Ich bin heim, Couch, drei Stunden Schlaf." Erst eine Magnetresonanztomographie (MRT) des Herzens brachte das Ergebnis: Sedlmayrs Herzmuskel hatte sich entzündet. In diesem Moment wurde ihm bewusst, wie wichtig es gewesen war, auf Anraten der Ärzte in all der Zeit keinen Sport zu betreiben. "Zum Glück habe ich diesen Rat befolgt", sagt er heute.

Sedlmayr weiß, dass es vielleicht doof klingt, aber ihm fiel ein "Stein vom Herzen", als die Diagnose klar war. "Weil ich endlich Gewissheit hatte, dass da was ist." Seitdem nimmt er Tabletten, wird alle paar Wochen untersucht und ist bei einem Heilpraktiker, um die "anderen körperlichen Reserven" aufzubauen. Mental geht es ihm gut. "Der Kopf ist gut", sagt er, da die Ärzte ihm versichert haben, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis er sich komplett erhole. "Man braucht Geduld, und noch habe ich die."

Seit Februar ist er als Co-Trainer wieder nahe dran an der Mannschaft. Mehr geht nicht

Besonders gut tut ihm, dass er eng dran ist an der Mannschaft, die am kommenden Wochenende ihre letzten zwei DEL2-Hauptrundenpartien in Dresden und Kaufbeuren bestreitet. Sedlmayr ist jeden Tag in der Eishalle und steht seit Ende Februar bei den Heimspielen mit an der Bande. Trainer Kevin Gaudet hatte ihn gefragt, ob er ihn unterstützen möge. Sedlmayrs Antwort: Klar, kein Problem. Er unterstützt nun die Verteidiger. Warum er sich als Angreifer um die Abwehrspieler kümmert? "Der Cheftrainer macht immer die Stürmer", sagt er lachend. Das Spiel durch andere Augen zu sehen, sei eine "extrem lehrreiche" Erfahrung. Natürlich überkommt ihn in der Eishalle zwangsläufig die Lust, selbst ein paar Runden zu drehen und zu schießen, aber er weiß. "Es geht nicht."

Axel Gänsslen kennt das sehr genau. Der Mannschaftsarzt des Erstligisten Grizzlys Wolfsburg sagt: "Wir wissen noch viel zu wenig darüber, welche Langzeitfolgen das Virus für jemanden hat, der positiv getestet wurde." Bei Wolfsburgs Spieler Janik Möser hatte die Covid-19-Erkrankung auch zu Herzproblemen geführt, weshalb Gänsslen einen Leitfaden entwickelte, anhand dessen Spieler nach einer Corona-Infektion wieder in den Trainings- und Spielbetrieb integriert werden sollen. Auch die Tölzer Löwen befolgen diesen Leitfaden.

Sedlmayr ist in den schweren Monaten geduldiger geworden, er sieht jetzt vieles lockerer, regt sich nicht mehr über alles auf. Und er richtet den Blick nach vorne. Dorthin, wo aus dem Co-Trainer Johannes Sedlmayr wieder der Spieler Johannes Sedlmayr werden soll. "Mein Ziel ist es, dass ich zum Start der Sommer-Vorbereitung einigermaßen fit erscheine", sagt er. Bis dahin will er weiter seinen Teamkollegen zur Seite stehen. "Positiv sein und lachen schadet nie", sagt er. Das weiß bei den Löwen keiner besser als er.

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