Not in Vaterstetten:Endlich ankommen

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In Syrien betrieb der Vater bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs eine kleine Textilfabrik. In Vaterstetten leben die Mamkalos mit ihren vier Söhnen in einem Übergangswohnheim, wo ihnen gerade mal 30 Quadratmeter zur Verfügung stehen. (Foto: Christian Endt)

Eine syrische Familie kam über das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen vor zwei Jahren nach Deutschland. Seitdem lebt sie in einem Übergangsheim in Vaterstetten, denn die Suche nach einer Wohnung gestaltet sich sehr schwierig

Von Tobias Schweitzer, Vaterstetten

Auf gerade mal 30 Quadratmetern spielt sich das Leben von Familie Mamkalo ab. Eine Kochnische in der Ecke, schräg gegenüber ein winziges Badezimmer, zwei kleine Räume zum Schlafen. Hier lebt die sechsköpfige Familie seit einigen Monaten, vorher wohnten sie im Gebäudetrakt um die Ecke in drei Einzelzimmern von je acht Quadratmetern, Bad, Küche, Klo mit zwei anderen Familien zusammen geteilt. "Quasi wie in einer WG", erklärt der älteste Sohn Hamid und grinst. Wohngemeinschaften, die gab es in Syrien, dem Herkunftsland der Familie, nicht. Von Aleppo aus sind die Mamkalos vor acht Jahren geflohen. Erst zu Fuß in die Türkei, dann nach sechs Jahren Aufenthalt dort schließlich mit dem Flugzeug nach Deutschland. Seit 2019 wohnen sie nun im Übergangswohnheim in Vaterstetten, die Suche nach einer dauerhaften Wohnung mit genügend Platz für die vier Kinder verlief bislang allerdings erfolglos. Im Wohnheim dürfen sie bleiben, bis sie eine geeignete Unterkunft gefunden haben. Insgesamt maximal zwei Jahre heißt es offiziell von Seiten der Regierung Oberbayerns, in der Praxis jedoch bleiben viele Familien um einiges länger.

Über eine Aufenthaltserlaubnis mit Bleibeperspektive verfügt die Familie seit ihrem ersten Tag in Deutschland. Sie kam über das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen nach Deutschland. Dieses Programm adressiert Flüchtlinge mit besonderem Schutzbedarf: alleinstehende Frauen, unbegleitete Minderjährige oder eben Familien. Deutschland nimmt seit 2011 jährlich etwa 300 geflüchtete Familien oder Einzelpersonen über dieses Programm auf. Ein besonderer Schwerpunkt im deutschen Modell bildet dabei die gemeinsame Aufnahme von Familien, so lässt es sich auf der Seite des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nachlesen. Was viele indes nicht mitbekommen haben: Vor einiger Zeit wurde die Aufnahme von Resettlement-Familien gestoppt - wegen Corona. Selbst bereits bewilligte Anträge und Flüge scheinen da plötzlich keine Rolle mehr zu spielen.

Nach der Registrierung im Erstzufluchtsland Türkei wird der Resettlement-Bedarf der Familien vor Ort geprüft. Im Falle von Familie Mamkalo war sechs Jahre nach der Ankunft in der Türkei klar: Eine Aufnahme in das Programm gelingt, die Vorbereitungen für die Umsiedlung nach Deutschland können beginnen. Sehr dankbar für Deutschlands Aufnahmebereitschaft seien sie, das betonen die beiden Eheleute im Verlauf des Gesprächs immer wieder. In Syrien hatte Jalal Mamkalo eine kleine Textilfabrik betrieben. Diese weiterzuführen, daran war nach Ausbruch des Bürgerkriegs aber nicht mehr zu denken. "In Syrien alles fertig, meine Wohnung zerbombt."

Endlich wieder eine Perspektive für die Zukunft, insbesondere der Kinder, das symbolisierte das Zufluchtsland Deutschland für die Familie während der Zeit auf der Flucht. In Vaterstetten haben sich die Mamkalos schnell eingefunden, einzig das Erlernen der neuen Sprache stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar. Umso erstaunlicher, dass alle fünf Syrer bis auf den kleinsten in der Lage sind, ihren Namen einwandfrei zu buchstabieren. Treten dennoch Kommunikationsprobleme auf, hilft der älteste Sohn Hamid. Der ist mittlerweile siebzehn Jahre alt, steht kurz vor dem Schulabschluss und spricht fließend deutsch. Wenn er die Schule im Sommer beendet hat, möchte er gern KFZ-Mechatroniker werden. Seine Hobbys? - Rad fahren, Freunde treffen, gemeinsam ins Fitnessstudio oder Schwimmbad gehen. Das geht natürlich nur, wenn nicht gerade Lockdown ist.

Überhaupt Corona. Die ohnehin prekäre Wohnsituation der Familie hat sich durch die Pandemie nochmal gehörig verschärft. Das betrifft Quarantänemaßnahmen genauso wie das viel diskutierte Homeschooling. Denn klar: Je mehr Personen auf kleinem Raum zusammenleben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus sich verbreitet. Mohammed Mamkalo geht in die dritte Klasse, sein Bruder Hamid steht kurz vor dem Abschluss. Die beiden Jungs müssen sich einen gemeinsamen Raum für das Homeschooling teilen. Der eine erlernt gerade die schriftliche Addition, der andere muss sich mit der Wiederholung des Stoffs für die Abschlussklausuren beschäftigen. Wie kann das funktionieren? Fragt man den Jüngeren danach, was er jenseits der Schule gern macht, erhält man schnell eine Antwort: Fußball spielen auf dem Platz direkt in der Nähe des Vaterstettener Wohnheims. Raus aus dem Haus, mit Freunden und anderen Bewohnern draußen treffen, im Sommer ist das hoffentlich bald wieder unkomplizierter möglich.

"Ziemlich schwierig" - so beschreibt auch Tatiana Vlasova, hauptamtliche Beraterin von der Flüchtlings- und Integrationsstelle des Caritas Zentrums Ebersberg in Grafing die Situation für die Familien und Schulkinder in der Corona-Zeit. Vlasova begleitet die Familie seit ihrer Ankunft in Deutschland, kennt die problematische Raumsituation und hilft, wo sie kann. "Die Wohnungsproblematik bildet das Hauptthema in der Beratung momentan, die meisten der Familien bekommen nicht mal einen Besichtigungstermin", erklärt sie. Auch sie weiß nicht weiter, würde gern mehr Unterstützung anbieten und kann nur mutmaßen, woran es liegt: "Ob es am Nachnamen liegt oder der Tatsache, dass viele Vermieter keine Hartz-IV-Empfänger wünschen - unklar." Tatsächlich handhaben die Kommunen die Unterbringung der Resettlement-Flüchtlinge deutschlandweit ganz unterschiedlich. In Aachen beispielsweise bekommen sie direkt nach ihrer Ankunft eine Wohnung zugewiesen. Und auch im Freistaat gibt es kein einheitliches Konzept: In München wird das Ganze über das Wohnungslosensystem der Stadt koordiniert, in Nürnberg findet die erste Unterbringung wahlweise in Sozialwohnungen oder Obdachlosenheimen statt.

Mangelnder Integrationswille seitens der Familien kann laut Vlasova nicht ausschlaggebend für den bisherigen Misserfolg auf dem Wohnungsmarkt sein. Manche hätten sogar einen vom Landratsamt Ebersberg angebotenen Kurs zur Frage "Wie miete ich eine Wohnung?" besucht und mit Zertifikat abgeschlossen. Und auch sonst legen die Familien sich richtig ins Zeug, nehmen Angebote des Vaterstettener Helferkreises in der Unterkunft vor Ort wahr. Deutscher als manche Deutsche seien die Mamkalos mittlerweile, praktizierten zum Beispiel in vorbildlicher Art und Weise Mülltrennung, fügt Tatiana Vlasova an und lacht.

Fragt man die Mitglieder der Familie Mamkalo nach ihren Wünschen für die Zukunft, zögern sie nicht lang mit der Antwort: "Eine größere Wohnung, eine entspanntere Wohnsituation und ein noch besseres Leben, vor allem für die Kinder." Anfangs gingen sie mal davon aus zwei, drei Monate in der Unterkunft verbringen zu müssen, mittlerweile sind es schon zwei Jahre. Der Wunsch, endlich richtig in Deutschland anzukommen, ist in dieser Zeit nicht verschwunden.

© SZ vom 13.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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