Trash-TV "Promis unter Palmen":Dreck on the Beach

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Marcus Prinz von Anhalt bei Promis unter Palmen: Nach seinen homophoben Äußerungen nahm Sat 1 die Folge aus der Mediathek. (Foto: SAT 1)

Sat 1 sperrt zwölf Verhaltensauffällige in eine Villa und lässt Demütigungen und Übergriffe weitgehend unkommentiert. Über einen Tiefpunkt der Fernsehunterhaltung.

Von Ulrike Nimz

Wenn früher vom "Giftschrank" des deutschen Fernsehens die Rede war, meist wegen der Filme, und Serienepisoden, die nach Kontroversen darin verschwunden waren, entstand umgehend dieses Bild im Kopf: Ein Salzstock, unter den Sendezentralen des Landes, darin rostende Fässer, aus denen ein bisschen Schlöndorff sickert, hier und da etwas Tatort ätzt. Auf einem der Gefahrgutbehälter steht: Das Millionenspiel. In dem Fernsehfilm von 1970 geht es um die Show eines Privatsenders, in der Kandidaten vor Auftragskillern fliehen. Außenreporter begleiten die Hatz, die nur von sexistischen Werbespots unterbrochen wird. "Überaus visionär", urteilt das Lexikon des internationalen Films, und: "von der Gegenwart längst eingeholt".

Entgegen allen Prognosen, das nur der Fairness halber, sind auf Pro Sieben, RTL und Sat 1 noch keine Kandidaten gegen Geld erschossen, höchstens tödlich beleidigt worden. Wenn jemand ankündigt, dass die Chancen ab jetzt fifty-fifty stehen, ist es doch nur Günther Jauch, der zum millionsten Mal die Joker erklärt. Das Schimpfen über Sittenverfall, Voyeurismus und das Wechselspiel von sinkenden Hemmschwellen und steigender Quote ist so alt wie das Fernsehen selbst und tönt seit Montagabend wieder lauter.

Der eine führt sich auf wie ein brunftiger Basset, die andere wird bis auf den Fußboden gemobbt

Für das Format Promis unter Palmen (PuP) hat Sat 1 zwölf Verhaltensauffällige unter Vollzeitbeobachtung in eine Luxusvilla in Thailand gesperrt, wo sie in den kommenden Wochen demütigende Teamspiele absolvieren werden, um am Ende 100 000 Euro und die "goldene Kokosnuss" zu gewinnen, was nicht umsonst nach dem Schmähpreis eines überalterten Karnevalsvereins klingt. Giulia Siegel ist die Erste im Haus und tränt schon beim einsamen Öffnen der Prosecco-Flasche: "Auf dass es nicht so schlimm wird wie letztes Jahr."

Zu Beginn der Pandemie war die erste Staffel von Promis unter Palmen zum Fernsehereignis mutiert, weil das Reality-Format erfreulich wenig mit der unerfreulichen Realität zu tun hatte. Was Seuche und Sendung jedoch einte: Man unterschätzte das Eskalationspotenzial.

Der als "Richter Gnadenlos" bekannt gewordene Ronald Schill rieb sich wie ein brunftiger Basset an seinen Mitbewohnerinnen, überschritt so oft die Grenze zur sexuellen Belästigung, dass eine Triggerwarnung angemessen gewesen wäre. Stattdessen hielt die Kamera drauf, ohne Distanz, ohne Einordnung. Ähnlich war es auch, als in Folge fünf die robuste Boutiquebesitzerin Claudia Obert vom totäugigen Selbstoptimierungsmännlein Sebastian Yotta und dessen willfähriger Entourage so sehr gemobbt wurde, dass selbst der beherzte Griff in den immer vollen Schampus-Kühlschrank nichts mehr half, sie stumm weinend auf dem Fußboden nächtigte und kurz darauf auszog. Ihr Peiniger gewann die Show.

Sat 1 castet auf Eskalation, auch die Twitter-Statements sind scheinheilig

Es war der Moment, in dem die Sat-1-Sendung der Millionenspiel-Dystopie wohl am nächsten kam. Es gab Jäger und Gejagte und ein Publikum, dessen ironische Verzückung in Entrüstung kippte. Von einem "Negativ-Meilenstein" sprach der schundkundige Oliver Kalkofe. "Schauen Sie das nicht!", warnte Trash-Expertin Anja Rützel im Spiegel. Häufigster Vorwurf: Der Sender habe keine Verantwortung für die Kandidaten übernommen und seine Editiermacht nicht genutzt.

Sat 1 verbannte Folge fünf vorübergehend aus dem Digitalangebot. Sie landete im Giftschrank. Nur ist dieser in der Ära des Trash-TV kein Salzstock mehr, sondern eine verwahrloste Hausbar, in die Produzenten nach Belieben hineingreifen, um aus den sehr bunten, sehr klebrigen Flüssigkeiten einen neuen Kopfschmerz-Cocktail zu mixen, zum Beispiel Weißwein-Red Bull.

Dieses "Getränk" konsumieren die Kandidaten der zweiten Staffel nun so ausdauernd, dass sie tags darauf den Traumstrand vollspeien, und damit ist das Grundgefühl von Promis unter Palmen ganz gut beschrieben. Es ist Marcus Prinz von Anhalt, Fantasieadeliger und Bordellunternehmer, der nach abendlicher Druckbetankung dermaßen homofeindlichen Schmutz von sich gibt, dass man sich ganz unironisch die Ohren abschneiden möchte.

"Auf dass es nicht so schlimm wird wie letztes Jahr": Patricia Blanco (l.) und Katy Bähm in der Traumvilla. (Foto: © SAT.1)

Aus Sendungen geschnitten wurden Kandidaten schon wegen deutlich weniger. Oder eben gar nicht erst eingeladen. Sat 1 jedoch castet auf Eskalation und begleitet die Dynamik der Abwertung mit ein paar Wortwitzen aus dem Off, die intellektuell irgendwo zwischen Bauer sucht Frau und den Teletubbies rangieren. Später wird dem Pöbelprinz nach Kollaps in der prallen Sonne minutenlang ins dampfende Gesicht gefilmt. Der Kameramann ist schneller bei ihm als die Sanitäterin. Schaut her, da bekommt einer, was er verdient!

Verantwortung ist ein großes Wort, vor allem, wenn es um Trash geht. Promis unter Palmen ist all das, was dem Format immer unterstellt wird, kalkuliert und niederträchtig, flankiert von scheinheiligen Statements: "Alle Menschen sind gleich", twitterte Sat 1 im Auge des Shitstorms, als könnte man Menschenfeindlichkeit irgendwie diskutieren.

Was gutes von schlechtem Trash-TV unterscheidet, mag für Formatfremde mitunter schwer auszumachen sein. Wo Menschliches grell ausgeleuchtet wird, gibt es Schlagschatten. Mittlerweile hat sich ein eigener Berufsstand gebildet, der von lebensimitierender Fernsehunterhaltung lebt, eine neue Gattung Sinfluencer, die ihre menschlichen Schwächen gegen Geld inszeniert.

In Premium-Formaten wie dem Dschungelcamp wird Devianz jedoch nicht ausgestellt und reproduziert, sondern kommentiert, entlarvt, verurteilt. Wer gewinnt, bestimmen die Zuschauer. Meist ist es der am wenigsten verdorbene Kandidat. Promis unter Palmen ist das Stanford-Prison-Experiment unter den Trash-Sendungen: Kontrollverlust statt Konfro-Lust. Und natürlich - das gehört zur Wahrheit - mit Top-Quoten. Verantwortung hört ja beim Zuschauer nicht auf.

Als Das Millionenspiel am 18. Oktober 1970 in der ARD ausgestrahlt wurde, wirkte der Film so real, dass viele Zuschauer glaubten, sie hätten es tatsächlich mit einer neuen, perversen Spielshow zu tun. Die meisten waren entsetzt, aber einige riefen die eingeblendete, fiktive Telefonnummer an, um sich als Jäger oder Gejagter anzumelden. Wie viele der heute Empörten wohl nächste Woche wieder einschalten?

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