Extremsport:Schnurgerade zum Pazifik

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Extreme Bedingungen: In Russland würde der Extremsportler Jonas Deichmann, 34, am liebsten bei 10 Grad Minus Rad fahren - der schmelzende Schnee macht für ihn sonst manche Wege nur schwer passierbar. (Foto: Jonas Deichmann/OH)

Bei seinem Triathlon um die Welt hat Jonas Deichmann die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Die harten Bedingungen in Russland erschweren seine nächste Etappe von 5200 Kilometern innerhalb von dreieinhalb Wochen - mit 40 000 Höhenmetern durch das Südsibirische Gebirge.

Von Nadine Regel

Jonas Deichmanns Bart hat solides Halbzeitniveau. Vor etwa sechs Monaten ist er in das wohl größte Abenteuer seines bisherigen Lebens gestartet: einen Triathlon um die Welt, auf dem er jetzt die Hälfte der Strecke zurückgelegt hat. Seinen Bart will er noch über die Ziellinie in München tragen, dem Startpunkt seiner Reise. Und wenn er dann zurückblickt, wird ihm wohl vor allem der Streckenabschnitt vor drei Wochen als schwierigste Herausforderung erscheinen, als er die russische Grenze mit einem Visum für Spitzensportler überquerte. Nur über Kontakte zum Olympischen Komitee konnte er seine Einreise bewirken. Aber die nächste große Hürde bahnt sich schon an: Wie soll er es von Wladiwostok, seinem letzten Ziel auf eurasischem Boden, auf die andere Seite des Pazifiks schaffen?

Glücklich wirkt er, geradezu entspannt, als er am Donnerstag in Zentralasien per Video zugeschaltet ist. Seit drei Wochen schläft der 34-Jährige zum ersten Mal wieder in einem richtigen Hotel, "selbst nach europäischen Maßstäben schön". Sonst übernachtet er abwechselnd in Motels am Straßenrand oder im Zelt, wenn er nicht gerade durch Sumpfgebiet mit hohem Schmelzwasserpegel radelt. Sechs Monate Wildwuchs zaubern ihm den Abenteurer ins Gesicht.

Deichmanns Lauf-Anteil bei der Weltumrundung: 120 Marathons

Jonas Deichmann, der einen Teil seiner Habseligkeiten in München stehen hat, durchfuhr 2018 Nord- und Südamerika, 2019 radelte er vom Nordkap nach Kapstadt - beides in Rekordzeit. Doch auf Bestmarken kommt es ihm dabei nicht an. Im Vordergrund steht das Abenteuer, dass kein Tag dem anderen gleicht. Mit der Umrundung erfüllt Deichmann sich einen Traum: einmal ohne Flugzeug um die Welt. Aktuell ist er in Mariinsk in Zentralsibirien und fährt auf den Spuren seiner ersten Weltrekordreise, 2017 einmal quer durch Eurasien. Beim letzten Gespräch mit der SZ befand sich Deichmann noch in der Türkei und arbeitete an einer Alternativ-Strecke, nachdem ihm Russland die Einreise verweigerte.

Sein neuer Plan sah vor, dass er seine Route einfach andersherum fortsetzt. Also wieder zurück nach Europa, dann von Portugal mit dem Segelschiff über den Atlantik in die USA, wo er seinen Lauf-Anteil der Weltumrundung ableisten würde: 120 Marathons von Ost nach West. Über den Pazifik würde er nach Wladiwostok übersetzen und mit dem Fahrrad bis nach München, seinem Startpunkt, fahren. Den 450 Kilometer langen Schwimmpart des Welt-Triathlons hatte er schon 2020 in der Adria zurückgelegt.

Camping im sibirischen Schnee: Jonas Deichmann übernachtet bei seinem Triathlon um die Welt derzeit abwechselnd in Motels am Straßenrand oder im Zelt. Nur selten verbringt er die Nächte in einem Hotel. (Foto: Jonas Deichmann/OH)

Als er dann doch über die Ukraine nach Russland einreisen durfte, hatte Deichmann durch die Verzögerung mit unerwartet hohen Temperaturen zu tun. "10 Grad Minus wären perfekte Bedingungen zum Radfahren gewesen", sagt Deichmann und grinst, weil er weiß, dass er mit dieser Meinung wohl allein dasteht. Das Problem ist: wenn es tagsüber Plusgrade hat, schmilzt der Schnee und die Wege werden fast unpassierbar. Zunächst mied er Asphaltstraßen, weil die im dichtbesiedelten Westen des Landes lebensgefährlich für Radfahrer sind.

"80 Prozent der Menschen in Russland leben auf 20 Prozent der Fläche", sagt Deichmann. Doch auf den kleineren, unbefestigten Straßen lauerte ein anderer Feind, Matsch. Seinem Fahrrad tat das gar nicht gut. "Das hält im Normalfall 30 000 Kilometern ohne Service stand", sagt er. In Russland reichten 2000 Kilometer, um es einem Totalschaden zuzuführen. In einem Fahrradladen in einem Ort hinter dem Ural ließ er quasi jedes für den Antrieb relevante Teil auswechseln.

Die vergangenen 1500 Kilometer hat Deichmann so gut wie kein Foto gemacht - weil alles gleich aussah

Aktuell fährt er auf der großen asphaltierten Straße schnurgerade zum Pazifik. Sein Visum ist noch dreieinhalb Wochen gültig. Genug Zeit für einen wie Deichmann, um 5200 Kilometer, also 200 Kilometer am Tag, auf dem Rad zurückzulegen. Doch es gab auch genau zwei Tage, an denen er nur 80 Kilometer geschafft hat: Einmal war ein Schneesturm schuld, das andere Mal eine Lebensmittelvergiftung die Ursache. Seither isst er in den Motels kein aufgewärmtes Hühnchen mehr.

Wie es am Pazifik weitergeht, das weiß der gebürtige Stuttgarter noch nicht. Ein Segelboot ist aktuell wegen der Pandemie keine Option - das dürfte nicht anlegen und nach Japan oder Südkorea darf er nicht einreisen. Sein Plan: eine Mitfahrt auf einem Frachtschiff. Wo ihn das dann absetzt, kann er nicht beeinflussen. Kanada? Das wäre perfekt. USA? Einreise eher nicht möglich. Dann bliebe noch Mexiko über die Route Tijuana nach Cancún. Doch dabei hätte er Bedenken: "Mit dem Rad wäre ich in dem Land sicherer unterwegs, weil ich auch bei einem unguten Gefühl mal 50 Kilometer über mein Ziel hinausradeln kann". Aber beim Laufen erreicht er sein körperliches Limit früher und wäre auch in gefährlichen Gegenden weniger flexibel.

Jetzt freut er sich erst einmal auf landschaftliche Abwechslung. "Die vergangenen 1500 Kilometer habe ich quasi kein Foto gemacht, weil alles gleich aussah", sagt er. Nach dem Baikalsee beginne "topografisch der schwierigste Teil in Russland". Deichmann muss vor allem im Südsibirischen Gebirge noch 40 000 Höhenmeter überwinden. Zwischen Tschita und Chabarowsk gibt es zudem auf 2100 Kilometern keine richtige Stadt. Wenn es anstrengend wird, motiviert sich Deichmann mit Musik von den "Scorpions". Am liebsten aber hört er Bossa-Nova. Die sanften Melodien sind die Einstimmung auf das, was auf ihn wartet, wenn er die sibirische Kälte und 120 Ironman-Distanzen hinter sich hat: eine Hängematte in Brasilien.

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