Tassilo:Großes Zutrauen in die kleinen Hände

Tassilo: Neben Pinseln vertraut Tanja König ihren jungen Atelier-Schülern auch Ton, Schablonen, Schwämme oder sogar Heißkleber an- sie ermutigt sie, Neues auszuprobieren und ohne Druck kreativ zu sein.

Neben Pinseln vertraut Tanja König ihren jungen Atelier-Schülern auch Ton, Schablonen, Schwämme oder sogar Heißkleber an- sie ermutigt sie, Neues auszuprobieren und ohne Druck kreativ zu sein.

(Foto: Claus Schunk)

Tanja König betreibt seit 2016 den Kunstraum Baierbrunn - ein Kinderatelier, das die jungen Teilnehmer mit vielfältigen Materialien zu freier Entfaltung anregt. Die unkonventionelle Künstlerin sitzt zudem im Gemeinderat und ist Kulturreferentin

Von Franziska Gerlach, Baierbrunn

Malschule? Bitte nicht. Der "Kunstraum Baierbrunn" - kurz: Kuba - korrigiert Tanja König, sei ein Kinderatelier. Und als die freie Künstlerin und Grünen-Gemeinderätin den schlichten weißen Schrank öffnet, ahnt man, dass das hier nichts mit Malen nach Zahlen, dafür aber viel mit einer freien Auswahl der Materialien zu tun hat: Unten stehen Flaschen mit knallbunter Acrylfarbe, oben Schachteln mit Washi-Tape, Pipetten, Glitzer und Pompons, an der Innenseite der Türen kleben Bilder, Postkarten und Briefe, die die Kinder ihrer "Tanni" gemalt oder geschrieben haben. Nein, der Begriff "Malschule" passt wirklich nicht, auch wenn Tanja König ihr Kinderatelier im Werkraum der Grundschule Baierbrunn abhält. Zumindest, wenn die Infektionszahlen das zulassen. Sonst weicht das Kinderatelier ins Internet aus.

An diesem Aprilmorgen hat sich eine schwere Wolkendecke über den Baierbrunner Himmel geschoben. Tanja König, Kapuzenpullover und Doc Martens, sitzt im Werkraum auf einem der stabilen Tische, und erzählt die Geschichte ihres Ateliers, die irgendwie auch die Geschichte einer freiheitsliebenden Frau ist, die sich nicht in ein Schema pressen lässt. Aufgewachsen in Baierbrunn, führt sie ihr Lebensweg nach Stationen in Hamburg und in Afrika letztlich wieder ins Isartal zurück. Nach der Schule sei sie zunächst aber froh gewesen, dass sie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg angenommen wurde und der Enge der kleinen bayerischen Gemeinde entkommen konnte. Seit Mai 2020 sitzt die 52-jährige Mutter zweier Kinder für die Grünen im Gemeinderat und hat das neu geschaffene Amt der Kulturreferentin übernommen. Der Maßnahmen gegen Corona wegen gab es vergangenes Jahr noch nicht so viel zu tun. Diesen Sommer aber seien erste Freiluft-Veranstaltungen geplant, sofern erlaubt. Kunst mit Kindern oder Jugendlichen macht die Frau mit den halblangen Locken, die sich einiges an Jugendlichkeit bewahrt hat, aber schon lange. Sie hat mit Kindergartenkindern gemalt und gab von der Jahrtausendwende an auch Graffiti-Workshops für Mädchen in der "Färberei", einer Einrichtung des Kreisjugendrings München-Stadt (KJR) in Untergiesing, später sprühte sie mit jungen Flüchtlingen in der Bayernkaserne. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie lange in einer Patentanwaltskanzlei, sie ist dort für Datenbankschulungen zuständig, und fühlt sich wohl in ihrem Job. Erst der Wechsel in einen Verlag, wo sie weniger zufrieden ist mit Aufgaben und Arbeitsklima, motiviert sie zu einem beruflichen Neuanfang. Sie macht sich selbständig - und beginnt Ende 2016 mit Kindern in der leer stehenden Personalwohnung des Gasthofs zur Post zu malen. Weil der saniert werden sollte, fand Königs Kinderatelier in der Grundschule Baierbrunn ein neues Zuhause.

Heute mietet König deren Werkraum an drei Nachmittagen pro Woche, ungefähr 50 Kinder im Alter von vier bis 14 Jahren kommen dort regelmäßig in kleinen Gruppen zusammen. Manchmal werde sie von Eltern gefragt, was ihr Kind denn bei ihr lerne? "Dein Kind lernt bei mir, dass es okay ist, so wie es ist", erklärt sie ihnen dann. Wichtig ist nicht das Ergebnis, sondern die Freude am kreativen Tun. Freie Entfaltung, ohne Druck, ohne Erwartungen. König springt vom Tisch und läuft zum Schrank, Tür auf, Tür zu, dann zieht sie die Schublade einer kleinen Kommode auf, hält eine Palette mit Wasserfarben hoch, schließt die Schublade wieder, trägt eine Mappe zur Fensterfront. Farben fluten den Raum, als König nun eine Zeichnung nach der anderen daraus hervorzieht, mit Wasserfarben und Wachsmalkreiden haben die Kinder gemalt, Salamander, Fische und Einhörner, auch ein Seepferdchen mit einem Einhorn ist entstanden. Die Phrase von der grenzenlosen Fantasie erfährt hier ausnahmsweise mal echte Daseinsberechtigung. Zu Ostern einen Osterhasen malen? Zu Weihnachten das Christkind? Das wird es bei König vermutlich nie geben. Die Künstlerin, in deren eigenen Atelier vor allem Frauenporträts entstehen, lässt die Kinder auf Basis der Materialien ihre eigene Kreativität entdecken, vertraut ihren kleinen Händen Ton, Schablonen und Schwämme an, wonach auch immer ihnen gerade der Sinn steht, und wenn ein Siebenjähriger sich mal am Heißkleber versuchen will, dann soll er: "Man muss den Kindern etwas zutrauen", sagt König. Sie ermutigt die Kinder, die Herausforderungen anzunehmen. Sich an Neues zu wagen. Gelingt es, stärkt das den Selbstwert.

Über befreundete Berliner Künstlerinnen wurde König vor einigen Jahren auf den Kunstpädagogen Arno Stern aufmerksam, einen nach Frankreich emigrierten Juden deutscher Herkunft. In den Fünfzigern schuf er in Paris einen "Malort", an dem Kinder künstlerisch ihr Innerstes ausleben sollten.

Nicht alles lässt sich allerdings in der Praxis umsetzen. Das Konzept sehe etwa vor, dass man stets nur eine Farbe mit dem Pinsel von einer Palette aufnehme, die auf einem Tisch steht. Das habe den Kindern dann oft zu lange gedauert. "Ich habe mir von ihm den Ansatz genommen, dass man die Kinder einfach machen lässt. Und sie dabei nicht immer beurteilt", erläutert König. Sie klingt jetzt energisch. Und wer weiß, dass sie als Teenager nicht nur Zuspruch erfahren hat, als sie sich in Baierbrunn so ähnlich kleidete wie Nina Hagen oder Madonna, der erkennt darin womöglich jene trotzige Kraft, mit der sie sich über Konventionen hinwegzusetzen vermag. Ihr Kunststudium brach sie ab, reparierte daraufhin lieber für einige Jahre ein Segelboot am Strand in Senegal. Das nennt man wohl den Mut, sein eigenes Ding zu machen. Im Leben - und in der Kunst.

Bis zum 30. April haben Leserinnen und Leser noch Zeit, unter tassilo@sz.de weitere Kandidaten-Vorschläge zu schicken.

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