Bildung im Lockdown:Kaum dazugelernt

Schule und Corona: In einem leeren Klassenraum einer Grundschule sind die Stühle auf die Bänke gestellt

Fernlernen 2021: Eine ifo-Studie warnt vor weiteren Bildungsverlusten.

(Foto: Inderlied/Kirchner-Media/Imago)

Anfang 2021 waren die Schulen wieder zu und die Frage offen: Klappen Distanzunterricht und Homeschooling inzwischen besser? Das Ifo-Institut hat Eltern befragt - das Ergebnis ist ernüchternd.

Von Marc-Julien Heinsch

Auch in der zweiten Phase pandemiebedingter Schulschließungen haben Schülerinnen und Schüler in Deutschland viel Lernzeit verloren. Da der Distanzunterricht die offene Schule nicht ersetzen konnte, fehlten Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu normalen Schuljahren zahlreiche Wochenstunden. Zudem war das Homeschooling wieder für viele Eltern und Schüler eine Belastung. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag veröffentlichte repräsentative Studie des Münchner Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, kurz Ifo-Institut.

Demnach haben sich Schüler vor der Pandemie im Durchschnitt siebeneinhalb Stunden täglich mit Schulstoff beschäftigt, während der Schulschließungen Anfang 2021 jedoch nur knapp dreieinhalb Stunden - rund eine halbe Stunde mehr als im ersten Lockdown 2020. Zum Vergleich: Knapp drei Stunden täglich verbrachten die Schüler während der Schulschließungen mit Lesen oder Bewegung, viereinhalb Stunden mit Fernsehen, Videospielen oder Social Media.

Homeschooling in Deutschland? "Durchaus ernüchternd"

Für die Studie ließen Forscher rund um den Leiter des Ifo-Zentrums für Bildungsökonomik, Ludger Wößmann, zwischen Februar und März 2021 über 2000 Eltern befragen. Bereits nach den ersten Schulschließungen 2020 hatten sie auf diese Weise Daten gesammelt. So konnten sie die Ergebnisse beider Studien vergleichen - und stellen auch dem Homeschooling in diesem Jahr ein schwaches Zeugnis aus.

Täglich Unterricht mit der ganzen Klasse - etwa per Videochat - hatten im ersten Lockdown gerade einmal sechs Prozent der Schüler. Zwischen Februar und März 2021 stieg diese Zahl auf rund ein Viertel. Die meiste Zeit im Distanzunterricht arbeiteten Schülerinnen und Schüler an Material wie Arbeitsblättern. Täglich persönliche Rückmeldung von ihrer Lehrkraft erhielten aber nur 13 Prozent der Schülerinnen und Schüler. Die Ifo-Forscher nennen das "durchaus ernüchternd". Trotz der langen Vorlaufzeit hätten Schulen keine "angemessene Beschulung aller Kinder und Jugendlichen" sicherstellen können. Im ersten Lockdown konnten die Schulen manche Kinder gar nicht erreichen. 2021 seien diese Mädchen und Jungen zwar besser eingebunden worden, sagte Bildungsökonom Ludger Wößmann am Dienstag auf einer Online-Pressekonferenz, "meiner persönlichen Interpretation nach ist es aber eine Enttäuschung, wenn nur jedes vierte Kind täglich Onlineunterricht hat und 39 Prozent nur einmal in der Woche eine gemeinsame Sitzung haben."

Gut die Hälfte der befragten Mütter und Väter gab an, geschlossene Schulen seien für sie beziehungsweise ihr Kind eine große psychische Belastung. Am schlimmsten würden Jungen und Mädchen darunter leiden, nicht wie gewohnt ihre Freunde treffen zu können. Mehr als die Hälfte stimmte der Aussage zu, dass die Schulschließungen den sozialen Fähigkeiten ihres Kindes geschadet habe. Positiv hoben dagegen viele Eltern den erlernten Umgang mit digitalen Technologien oder das selbstständige Arbeiten ihrer Kinder hervor.

Die förderbedürftigsten Schüler leiden am meisten

Ludger Wößmann und seine Kollegen warnen vor "enormen Folgekosten" der Schulschließungen. Diese entstünden, wenn der Distanzunterricht Schüler in ihrer Entwicklung um Monate oder gar Jahre zurückwirft, und sie deshalb später wegen niedrigerer Bildungsabschlüsse den Einstieg in gut bezahlte Berufe verpassen. Wenn die Gestaltung des Distanzunterrichts weiter den einzelnen Schulen und Lehrkräften überlassen werde, müsse man fürchten, dass Lernverluste noch weiter ansteigen. Die Studienautoren fordern einheitliche Konzepte für den Distanzunterricht, eine länderübergreifende Lösung für Videokonferenzen und Fördermaßnahmen, die "besser als bisher auf benachteiligte Gruppen" zugeschnitten sind. "Die Rahmenbedingungen für den Distanzunterricht sind eine politische Aufgabe", so Wößmann, "da darf die Verantwortung nicht einfach nach unten weitergegeben werden. Doch das ist fast überall geschehen."

Eltern von leistungsschwächeren Schülern und Eltern ohne Hochschulabschluss beurteilten gleichermaßen die Auswirkungen des Homeschoolings auf ihr Kind negativer als Eltern mit akademischem Hintergrund. Sie schätzten die Lernleistung als geringer ein und berichteten häufiger von Problemen wie Ängsten oder Nervosität. Gerade die besonders förderbedürftigen Schüler würden unter dem Distanzunterricht leiden und zu selten im Fokus von Fördermaßnahmen stehen, betonen die Forscher. Akademikerkinder hätten deutlich häufiger schulische Förderangebote in Anspruch genommen als andere Kinder. Ein Beispiel sind die Ferienkurse, die viele Schulen im letzten Sommer angeboten hatten, so Katharina Werner, einer der an der Studie beteiligten Ifo-Forscherinnen. Elf Prozent der Akademikerkinder besuchten mindestens einen solchen Kurs. Bei den Kindern ohne akademischen Hintergrund waren es gerade einmal zwei Prozent. "Und das, obwohl Dreiviertel der befragten Eltern keine Akademiker waren."

Veranstaltungshinweis

Zum Thema "Masterplan Schule und Corona" diskutiert Ann-Kathrin Eckardt, Chefin vom Dienst im Ressort Gesellschaft und Wochenende, am Dienstag, 27.04.2021 um 20 Uhr mit Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU), Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani und Micha Pallesche, Schulleiter der mehrfach ausgezeichneten Ernst-Reuter-Gemeinschaftschule in Karlsruhe. Was können wir gegen die zunehmende Bildungsungerechtigkeit jetzt tun? Hier können Sie sich kostenlos zum Livestream anmelden und mitdiskutieren.

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