Stream-Kritik:Jubel in der Leere

Wie der "Vetter aus Dingsda" zum perfekten Hörerlebnis wurde

Von Egbert Tholl, Nürnberg

Das Ende ist fabelhaft. Wenn alles vorbei ist, schickt die Regisseurin Vera Nemirova die Solistinnen und Solisten an die Rampe, Applaus brandet auf, man hört Pfeifen und Johlen, akustische Zeichen höchster Begeisterung, die Sängerinnen verteilen Kusshände, die Jungs winken, alle hüpfen strahlend herum, strahlen in den Zuschauerraum - und der ist leer. Vollkommen leer. Der Applaus kam vom Band. Dort, in der Staatsoper Nürnberg, ist niemand, darf ja niemand sein. Ein grandioses Zeichen für die aktuelle Lage der Kunst und die Sehnsucht der Zuschauer, die keine Zuschauer mehr sein dürfen. Nur zu Hause. Vor dem Computer.

Das Staatstheater Nürnberg stieg vergleichsweise spät ein ins Streaming-Geschäft als derzeit allein mögliche Erscheinungsform der Bühnenkünste. Nun gibt es da einen gewissen Nachholbedarf. Zumindest besteht die digitale Premiere von Eduard Künnekes Ulk-Operette "Der Vetter aus Dingsda" nicht aus irgendeinem elektronischen Experiment, ist keine filmische Aufbereitung. Sie ist einfach abgefilmtes Theater, das genau so vor Zuschauern stattfände, dürfte es vor Zuschauern stattfinden. Das offenbart einen gewissen Trotz - und hat in Nemirovas gut aufgeräumter Inszenierung den Effekt, dass man es sehr gut anhören kann, aber eigentlich nicht ansehen will. Die Kamera zeigt Totale und Close-ups, guckt manchmal zur Staatsphilharmonie und deren Leiter Lutz de Veer in den Graben, auf der Bühne sind alle flott zugange, aber ihren Charme versprüht die Produktion vor allem, wenn man Andromahi Raptis, Paula Meisinger und allen anderen zuhört. Dann ist es perfekt klingender Unsinn.

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