Pipers Welt:Freiheit und Coca-Cola

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Große Unternehmen verfolgen heute oft hehre politische Ziele. Trotzdem bleibt Misstrauen gegen wirtschaftliche Macht gerechtfertigt.

Von Nikolaus Piper

Wirtschaftliche Macht ist ein Problem. Erfolgreiche Unternehmen werden mächtig, das liegt in der Natur der Sache. Werden sie aber zu mächtig, können sie genau die Wettbewerbsordnung zerstören, die ihren Erfolg einst möglich gemacht hatte. "Besitz von Macht provoziert Willkürakte, gefährdet die Freiheit anderer Menschen, zerstört gewachsene und gute Ordnungen," schrieb der deutsche neoliberale Ökonom Walter Eucken 1949. Sicherung des Wettbewerbs ist daher Pflicht in der Wirtschaftspolitik. Höchstes Misstrauen ist geboten, wenn Unternehmen selbst Politik machen, wenn sie also zur wirtschaftlichen auch noch politische Macht hinzufügen wollen.

So steht es in den Büchern, und die meisten Ökonomen würden dem wohl zustimmen. Aber die Wirklichkeit ist komplizierter, besonders in Amerika. Das zeigt eine schöne Geschichte aus dem Spätherbst 1964. Sie spielt in Atlanta, der Hauptstadt des Bundesstaats Georgia. Der Bürgerrechtler Martin Luther King hatte gerade den Friedensnobelpreis bekommen für seinen gewaltlosen Protest gegen die Rassentrennung in den USA . Der Bürgermeister von Kings Heimatstadt Atlanta, Ivan Allen, wollte aus diesem Anlass die Honoratioren der Stadt zu einem festlichen Abendessen einladen. Atlantas weiße Elite jedoch hatte keine Lust, an einem Dinner teilzunehmen, das "integriert" war, wie man damals sagte, bei dem also Schwarze und Weiße an einem Tisch saßen. Für die Veranstaltung wurden fast keine Tickets verkauft.

Der Bürgermeister fürchtete eine Riesenblamage und wandte sich in seiner Not an J. Paul Austin, den damaligen Chef von Coca-Cola, Atlantas wichtigstem Arbeitgeber und Steuerzahler. Austin sorgte dafür, dass die ganze Stadt wusste, wie er über das Thema dachte. "Coca-Cola kann nicht in einer Stadt bleiben, die so eine Reaktion an den Tag legt und nicht in der Lage ist, den Friedensnobelpreisträger zu ehren", soll Austin gesagt haben. Wie auch immer der genaue Wortlaut gewesen sein mag, Coca-Colas wirtschaftliche Macht übersetzte sich höchst effektiv in politische. Binnen Kurzem war das Dinner ausverkauft. Fast 1600 Gäste versammelten sich im Festsaal des Dinkler-Hotels, King hielt eine Dankesrede, und zum Schluss sang der Saal stehend die Bürgerrechtshymne "We shall overcome". Coca-Cola hat Atlanta so dauerhaft zum Besseren verändert, schreibt der Journalist Frederick Allen in seinem Buch über den Aufstieg der Stadt zu einer internationalen Metropole ("Atlanta Rising: The Invention of an International City" ).

Die mehr als ein halbes Jahrhundert alte Geschichte ist heute wieder sehr aktuell. Anfang April haben große Unternehmen mit Sitz in Atlanta erneut in die Politik eingegriffen. Sie stellten sich öffentlich gegen das hoch umstrittene neue Wahlgesetz, das die republikanische Mehrheit in der Legislative Georgias (sie entspricht einem Landtag) beschlossen hatte. Das Gesetz soll, sagen seine Befürworter, die "Integrität" von Wahlen sichern. Kritiker glauben dagegen, dass hier nichts gesichert werden soll - außer republikanische Mehrheiten. Das Gesetz erschwere Schwarzen, die in ihrer großen Mehrheit Demokraten wählen, die Stimmabgabe. Etwa durch höhere Hürden für Briefwähler, die in dicht besiedelten Wahlbezirken wohnen. Oder die kleine Gemeinheit, dass man Wartenden, die in der Schlange vor einem Wahllokal stehen, kein Wasser und keine Sandwiches bringen darf.

Gegen das Gesetz wandten sich nicht nur der mächtige amerikanische Baseball-Verband MLB, auch die Konzerne Delta Airlines und Coca-Cola meldeten sich. Der Chef von Coca-Cola, James Quincey, erklärte dazu wörtlich: "Um es glasklar und unzweideutig zu sagen: Wir sind enttäuscht vom Ausgang des Gesetzgebungsverfahrens." Das Unternehmen werde jetzt in Washington Gesetze gegen die Behinderung von Wählern unterstützen. "Wir alle haben die Pflicht, das Wahlrecht für alle zu schützen. Und wir werden weiterhin für das einstehen, was recht und billig ist, in Georgia und in den gesamten USA." So eindeutig haben sich Spitzenmanager selten gegen die Republikaner gestellt.

Unternehmen müssen sich anstrengen, um die besten Leute zu gewinnen, unabhängig von ihrer Hautfarbe

Klar ist, dass die Konzerne dabei im wohlverstandenen Eigeninteresse handelten. Hätte Coca-Cola sich anders geäußert oder gar nicht, hätte das Unternehmen mit massiven Protesten und Boykott rechnen müssen. Seit dem Tod von George Floyd ist nicht mehr nur Rassismus selbst schlecht fürs Geschäft, sondern allein schon der Verdacht, das Management wäre bei dem Thema halbherzig. Es geht dabei aber nicht nur um Demonstrationen, die dem Image schaden, sondern um die Zukunft der Firma. Talente sind knapp auf der Welt, jedes Unternehmen muss sich anstrengen, um die besten Leute zu gewinnen, unabhängig von ihrer Hautfarbe. Würde ein Unternehmen den Eindruck entstehen lassen, ihm sei Diskriminierung gleichgültig, könnte es die Talentsuche gleich bleiben lassen.

Eigentlich ist es ein Grund zur Freude, wenn wirtschaftliche Macht zum Schutz von Freiheit und Demokratie eingesetzt wird. Nur kann dies nicht das grundsätzliche Misstrauen gegenüber Macht in der Wirtschaft ausräumen. Warum das so ist, zeigt sich, sobald es um andere Themen geht. Ungeachtet des Engagements von Coca-Cola bleibt die Tatsache, dass süße Limonaden schlecht für die Zähne und das Körpergewicht sind, weshalb das Unternehmen immer wieder mit Gesundheitsbehörden in Konflikt geraten wird. Auch die vorbildliche Haltung von Delta ändert nichts daran, dass aus Klimagründen der Flugverkehr eingeschränkt werden sollte. Auseinandersetzungen sind bei diesen Themen unausweichlich. Dass die Unternehmen dabei ihre Interessen vertreten, ist völlig legitim. Nur ist es eben Lobbyismus der Mächtigen und sollte als solcher mit der gebotenen Vorsicht behandelt werden.

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