Amateurfußball:Rechnung mit Härtefällen

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"Wenn du so lange oben stehst, willst du natürlich auch den Aufstieg mitnehmen", sagt Jochen Jaschke, Trainer von Eintracht Karlsfeld. Im Hintergrund sein Kollege Sebastian Stangl. (Foto: Lackovic/imago images)

Der Verband will die Quotientenregel anwenden, um beim Saisonabbruch die Tabellen in den Ligen zu berechnen. Vereine wie Eintracht Karlsfeld, TSV Eching oder der ASV Dachau fühlen sich dadurch ungerecht behandelt.

Von Stefan Galler, Karlsfeld/Eching

Wie in jeder Krise profitieren auch in der aktuellen Pandemie eine ganze Reihe von Leuten oder Branchen von der gegenwärtigen Situation. Etwa Maskenproduzenten, Streaming-Portale, Bringdienste für Lebensmittel. Gewinner und Verlierer durch Corona gibt es auch im Sport und speziell im bayerischen Amateurfußball, wo man praktisch täglich darauf wartet, dass die Mammutsaison 2019-21 komplett abgebrochen wird. Für diesen Fall hat der Bayerische Fußball-Verband (BFV) bereits im August einen neuen Paragrafen 93 in die Spielordnung eingefügt. Dieser besagt, dass bei Abbruch die Quotienten-Regel über die Tabellenplatzierungen entscheidet. Es werden also die bislang erspielten Punkte durch die Zahl der absolvierten Partien geteilt.

Dass es bei Anwendung dieser Regel eine Vielzahl an Härtefällen geben würde, dürfte den Verbandsvertretern klar gewesen sein. Und auch dass diese schon aufbegehren, bevor der Paragraf Anwendung findet. Denn es ist zum Teil heftig, welche Auswirkungen eine solche Neuberechnung haben würde. Beispiel Eintracht Karlsfeld, Tabellenführer der Landesliga Südost, 28 absolvierte Spiele, 52 Punkte, Quotient 1,857. Das Problem ist, dass die Verfolger zwar weniger Punkte haben, jedoch beim Zweiten VfB Hallbergmoos (1,926) und auch beim Dritten SV Erlbach (1,88) der Quotient einen höheren Wert aufweist. Aus ihrer Sicht sei das ungerecht, klagen die Eintracht-Verantwortlichen, man sei "Leidtragender der Regelung" und halte diese für "Wettbewerbsverzerrung", sagt etwa Niko Sternberg, Technischer Leiter und kommissarischer Abteilungsleiter. "Wenn die Saison nicht zu Ende gespielt werden kann, wollen wir ein faires sportliches Ergebnis."

Karlsfeld führt die Liga an, dann geht der Topscorer. Und im Herbst punktet die Konkurrenz üppiger als die Eintracht

Eine Ansicht, die Jochen Jaschke, der zusammen mit Sebastian Stangl das Karlsfelder Trainerduo bildet, absolut unterstreicht. "Wir warten vergeblich auf ein Signal vom Verband, weil die Leute dort wahrscheinlich selbst nicht recht wissen, was sie tun sollen", sagt der Coach, der um die Früchte seiner Arbeit bangt: "Wenn du so lange oben stehst und eine so gute Saison spielst dann willst du natürlich auch den Aufstieg mitnehmen." So sei die Eintracht nach der Vorrunde und auch im März 2020, als die Verlängerung der Saison beschlossen wurde, klar Erster gewesen. Dann kam die Wechselperiode im Sommer und Topscorer Andreas Gasteiger ging zu Bayernliga-Tabellenführer Pipinsried. Ein Grund dafür, dass man dann eben im Herbst "nicht mehr so gepunktet" habe wie die Konkurrenz, sagt Jaschke.

Er hoffe sehr, dass der Verband eine gerechte Lösung findet. Ein Dreierturnier, um den Aufsteiger zu ermitteln, wie das in der Regionalliga nun umgesetzt wird, sei keine Option, sagt Jaschke: "Dazu bräuchten wir vier, fünf Wochen Vorbereitung, das geht nicht." Abteilungsleiter Sternberg behält sich schon mal rechtliche Schritte vor. "Aber wir hoffen immer noch auf eine sportlich faire Lösung."

Der ASV beteiligt sich an einem offenen Brief, der sich gegen die Quotientenregel bei der Bestimmung von Absteigern richtet

Da ergeht es ihm nicht anders als den handelnden Personen beim TSV Eching, dem Tabellenführer der Bezirksliga Nord. Denn auch das Team aus dem Landkreis Freising würde mit seinen 49 Punkten aus 24 Spielen bei einem Abbruch mit Quotientenregel in die Röhre schauen, der Quotient beträgt 2,04 und liegt unter jenem der Sportfreunde Schwaig (2,18), die 48 Zähler in nur 22 Partien gesammelt haben. "Wir werden dafür bestraft, dass wir mehr Spiele ausgetragen haben", sagt der TSV-Vorsitzende Rudolf Hauke, das sei "ein Witz". Dabei wäre der Aufstieg die Belohnung für die Aufbauarbeit in den letzten Jahren, in denen der Verein entschuldet und ein neues Vereinsheim auf den Weg gebracht wurde. Bei der Kaderplanung setze man noch mehr auf den eigenen Nachwuchs als zuvor, fördere die Identifikation. Auch der im Sommer folgende Trainerwechsel - Michael Schütz übernimmt von Gerhard Lösch - sei "geregelt", wie Hauke betont. Allerdings wurde zuletzt bekannt, dass fünf wichtige Leistungsträger mit dem scheidenden Coach zum FSV Pfaffenhofen abwandern. "Das ist im Fußball nichts Neues, wir werden das kompensieren", sagt Hauke, der keine große Hoffnung hat, dass seine Echinger doch aufsteigen: "Vielleicht wird ja der Abstieg ausgesetzt, aber dass wir als Zweiter in die Landesliga dürfen, daran glaube ich nicht so recht."

Dass es keine Absteiger geben könnte, das ist die Hoffnung von Michael Dietrich, Fußball-Abteilungsleiter beim ASV Dachau. Sein Klub würde bei Abbruch wohl den Klassenerhalt in der Landesliga verpassen, weil der Quotient um 0,08 geringer ist als der des TSV Ampfing. "Ich bin mir sicher, dass man einen anderen Weg finden könnte, der gerechter ist", sagt Dietrich. Der ASV hat sich vor drei Wochen einer Initiative von 49 bayerischen Klubs angeschlossen, die sich gegen die Quotientenregel bei der Bestimmung von Absteigern richtet. In einem offenen Brief an den Verband haben die Vereinen, zu denen aus der Region München unter anderem auch der TSV Gräfelfing, Grüne Heide Ismaning, BSC Sendling und SV Sulzemoos gehören, klargestellt, dass sich die komplexe Ergänzung der Spielordnung während einer Saison "mit staatlichen Rechtsgrundsätzen nicht vereinbaren" lasse und drohten dem BFV mit einer Klagewelle. Bislang warte man auf vergeblich eine Antwort, sagt ASV-Spartenleiter Michael Dietrich, der kritisiert, dass sich der Verband bisher vor allem um Lösungen für Regionalliga und Toto-Pokal bemühe. "Bei uns herrscht weniger Wut als tiefe Enttäuschung."

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