Wohnungsnot:Gesucht: faire Vermieter

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Mit Geldprämien und Garantien lockt die Stadt Eigentümer, ihre Wohnungen zu gedeckelten Preisen anzubieten - aber sie findet kaum welche. Immobilienbesitzer scheuen Menschen mit geringem Einkommen. Und deren Lage wird immer schlimmer.

Von Bernd Kastner

Desaströs ist die Lage auf dem Münchner Wohnungsmarkt, das spüren vor allem Menschen mit wenig Geld. Und die Lage verschlimmert sich weiter, beschleunigt durch Corona. Vermutlich mehr als 20 000 Haushalte haben ein Anrecht auf eine Sozialwohnung - doch pro Jahr werden nur gut 3000 vergeben. Genau weiß niemand, wie viele Menschen warten, weil im völlig überlasteten Wohnungsamt rund 18 000 unbearbeitete Anträge liegen.

In diesem Jahr dürften voraussichtlich fast doppelt so viele neue Anträge eingehen wie 2015. Und nun zeichnet sich ab, dass ein Programm der Stadt, mit dem sie die Not ein wenig lindern will, das ursprüngliche Ziel weit verfehlt: Die Stadt erwirbt Belegrechte für Wohnungen, um sie an Menschen mit geringem Einkommen zu vermitteln. Vorgegeben hatte der Stadtrat für die Jahre 2017 bis 2021 ein Ziel von 500. Bisher wurden erst 85 Belegrechte akquiriert.

Das Sozialreferat bemüht sich seit Jahren, Belegrechte für Bestandswohnungen zu erwerben - und tut sich schwer damit. Von 2007 bis 2011 kamen 120 Wohnungen zusammen, geplant waren 600. Im folgenden Fünf-Jahres-Programm gelang es gerade mal, Belegrechte für neun Wohnungen zu erwerben - geplant waren 500. Im Rahmen des Plans "Wohnen in München VI" nahm die Stadt einen neuen Anlauf. Man wollte "Schwachstellen" des Programms beheben und es attraktiver für Vermieter machen. Das Ziel blieb gleich: je 100 Wohnungen pro Jahr, mit einer Bindung für zehn oder 15 Jahre.

Es dauerte, bis das Programm überhaupt startete. Zwei Jahre vergingen, ehe das Sozialreferat dem Stadtrat eine Beschlussvorlage vorlegte. Das Referat begründet die Verzögerung mit juristischen Prüfungen. Zunächst habe man den Verein "Münchner Freiwillige" als Partner aufnehmen wollen. Dann aber sei aus dem damaligen rot-schwarzen Rathausbündnis der Wunsch geäußert worden, die städtische Wohnbaugesellschaft Gewofag für Zwischenvermietungen einzubeziehen. Dieses Umdisponieren habe Zeit gekostet.

Erst im Oktober 2018 also beschloss der Stadtrat das aktuelle Belegrecht-Programm. Dann dauerte es nochmals ein Jahr, ehe die ersten Werbeplakate hingen. Diese aber hätten "noch nicht die gewünschte Resonanz" gebracht, erklärt das Sozialreferat. Ein weiteres halbes Jahr verging, ehe nach einer Ausschreibung eine Agentur mit einer Werbekampagne beauftragt wurde, sie läuft seit einem Jahr. "Sorgen Sie für Schlüsselmomente": Mit diesem Slogan wirbt die Stadt um Vermieter.

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"Die Resonanz ist gut", sagt Monika Betzenbichler, Vize-Chefin des Wohnungsamtes. Seit die Kampagne laufe, gebe es positive Rückmeldungen von Vermietern. Für 25 Wohnungen habe man von Privatvermietern Belegrechte erworben. Als großer Erfolg gilt die erste Vereinbarung mit einem sogenannten Bestandshalter. Neuerdings kooperiert die Stadt mit der Vonovia, einem der bundesweit größten Immobilienunternehmen. Der Dax-Konzern besitzt rund 5500 Wohnungen in München und gibt Belegrechte für 60 Wohnungen an die Stadt, für einen Zeitraum von 25 Jahren sogar. Bislang seien 15 Mietverträge abgeschlossen, weitere sollen noch heuer folgen. Betzenbichler hofft, sich bis Jahresende der Marke von insgesamt 100 Belegrechten zu nähern. Das Programm wolle man gerne über 2021 hinaus fortsetzen.

Geplant sei, weitere Immobilienfirmen und andere große Eigentümer anzusprechen, Sparkassen oder Kirchen etwa. Ansonsten ziele man weiter auf private Vermieter, die sozial eingestellt sind und nicht die Maximalrendite aus ihrer Eigentumswohnung herausholen wollen. Um Kontakt zu ihnen zu finden, wolle man sich an Rotary Club und Lion's Club wenden. Zudem sei ein Radiospot vorgesehen sowie Werbung auf Infoscreens in Gaststätten.

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500 Wohnungen wollte die Stadt zu Sozialwohnungen machen, indem sie Belegrechte mit Vermietern vereinbart. Wenig, und sie bekam selbst davon nur einen Bruchteil. Damit kann niemand zufrieden sein.

Kommentar von Bernd Kastner

Ein "Rundum-sorglos-Paket" hatte sich der Stadtrat für kooperierende Vermieter gewünscht. Betzenbichler erläutert gerne die Vorzüge des Programms: Der Eigentümer könne aus mehreren Bewerbern auswählen. Die Einnahmen seien sicher, weil die Stadt, wenn nötig, die Mieten bezuschusse und, je nach Vereinbarung, auch die Bewohner betreue und für Mietausfälle und mögliche Schäden aufkomme. Als "Belohnung" erhalten Vermieter eine Prämie, die, je nach Größe der Wohnung und Dauer der Bindung, bis zu 46 500 Euro reicht.

Dass es der Stadt, bei insgesamt gut 800 000 Wohnungen in München, nicht gelingt, mehr Belegrechte zu erwerben, liege vermutlich am Geld, sagt Betzenbichler. Immer wieder machten Vermieter einen Rückzieher, wenn sie hören, dass sie maximal bis zur Mietspiegelmiete gehen könnten, und dass die bei 15 Euro pro Quadratmeter gedeckelt ist. Viele Eigentümer aber wollten Marktpreise erzielen, und die liegen meist deutlich darüber. So kämen vor allem Wohnungen ins Programm, die abbezahlt, älter und damit günstiger seien.

Bernd Schreyer, Stadtrat der Grünen, hat bis zu seiner Rente selbst im Wohnungsamt gearbeitet und vor Jahren das Belegrechte-Programm konzipiert. Er wünscht sich, dass die Stadt die Betreuung für Mieter erweitere. Viele Menschen, die aus der Wohnungslosigkeit kommen, hätten die erste Zeit in einer eigenen Wohnung Bedarf an Unterstützung. Dieses Angebot sollte die Stadt auch stärker publik machen - und überhaupt mehr Werbung schalten: Man müsse das Belegrechte-Programm offensiver vermarkten, wünscht sich Schreyer. Es gelte, sozial orientierte Vermieter gezielter anzusprechen.

Rudolf Stürzer, Chef des einflussreichen Haus- und Grundbesitzervereins, klingt nicht so, als würde er die Werbetrommel für das Ansinnen der Stadt rühren wollen. Ihm fallen weitere Gründe für die verhaltene Resonanz ein: Neben finanziellen Einbußen seien es vor allem psychologische Gründe. Viele Vermieter scheuten sich, sich auf ein Modell einzulassen, das sie im weiteren Sinne mit dem einstigen sozialen Wohnungsbau in Verbindung brächten. Zudem wolle sich der klassische kleine Vermieter, der sich ohnehin oft über staatliche Vorgaben ärgere, nicht auch noch bei der Auswahl der Mieter beschränken lassen. "Ich weiß, wie die Eigentümer ticken", sagt Stürzer. "Die wollen sich ungern dreinreden lassen."

© SZ vom 05.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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