"NSU 2.0"-Drohschreiben:Noch keine Belege für Mittäter bei der Polizei

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Wegen Abfragen an Polizeicomputern in Frankfurt am Main, Wiesbaden und Berlin war die Polizei unter großen Druck geraten. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Es besteht laut Staatsanwaltschaft aber weiter der Verdacht, dass sich der im Fall der rechtsextremen "NSU 2.0"-Drohschreiben Festgenommene als Beamter ausgegeben habe, um private Adressdaten abzufragen.

Im Fall der rechtsextremen "NSU 2.0"-Drohschreiben gibt es weiterhin keine Belege für Mittäter aus den Reihen der Polizei - aber auch weiterhin keine Belege dafür, dass der mutmaßliche Täter sich als Beamter ausgegeben und so private Adressdaten bei Polizeidienststellen erfragt haben könnte. Dieser Verdacht bestehe weiterhin, sagte der Frankfurter Oberstaatsanwalt Michael Loer bei einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft und des Hessischen Landeskriminalamts. Ob der Verdacht begründet sei, "bedarf nach wie vor der Klärung". Es gebe keine Hinweise darauf, dass Polizeibedienstete "an der Abfassung und der Versendung" der Schreiben beteiligt waren.

Am Montagabend war in Berlin ein 53 Jahre alter Mann festgenommen worden. Er steht den Ermittlern zufolge im dringenden Verdacht, seit August 2018 bundesweit eine Serie von Drohschreiben mit volksverhetzenden, beleidigenden und drohenden Inhalten verschickt zu haben. Unterzeichnet waren die Schreiben mit "NSU 2.0" in Anspielung an die Mordserie der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

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Den Ermittlern zufolge erscheint es trotz der dafür fehlenden Belege naheliegend, dass der Mann sich am Telefon als Behördenmitarbeiter ausgab, um bei verschiedenen Polizeirevieren nicht öffentlich zugängliche Personendaten für die Drohschreiben zu erfragen. Wegen der Abfragen an den Polizeicomputern in Frankfurt am Main, Wiesbaden und Berlin war die Polizei unter großen Druck geraten.

Ermittlungen sollen "mit derselben Intensität wie bisher fortgesetzt werden"

Sonderermittler Hanspeter Mehner sagte bei der Pressekonferenz, dass "ein schwebender allgemeiner Verdacht gegen die hessische Polizei bislang nicht erhärtet werden konnte". Staatsanwalt Loer erklärte zudem, es gebe "keine Hinweise" auf einen Zusammenhang zwischen den Drohschreiben und einer rechtsextremen Chatgruppe unter hessischen Polizisten, die im Jahr 2018 bekannt geworden war.

Zudem stehe nun fest, dass ein im vergangenen Jahr festgenommener ehemaliger Polizist nicht der Verfasser war. Loer betonte, dass die Ermittlungen "mitnichten" erledigt seien. Man werte jetzt die "umfangreichen Daten" aus, die in der Wohnung des Beschuldigten sichergestellt wurden.

Die Festnahme sei absichtlich am späteren Abend erfolgt, um den eingeschalteten Rechner des Beschuldigten sicherstellen zu können, erklärte der Staatsanwalt und zuständige Dezernent Sinan Akdogan. Nach Beginn der Auswertung seiner Datenträger sei der "dringende Tatverdacht noch erhärtet", so Akdogan. Allerdings seien "sehr große Datenmengen vorhanden", deren Auswertung noch andauere. Der Beschuldigte sei nun in Berlin inhaftiert. Er sei einschlägig vorbestraft und habe auch schon in Haft gesessen.

Es bleibt also offen, ob der Verdächtige Unterstützer hatte. Insbesondere zu Mittätern und Helfern gebe es "offene Fragen", bekräftigte auch der Leitende Oberstaatsanwalt Albrecht Schreiber. Das seit 2018 andauernde Verfahren sei geprägt von "hoher Komplexität". Es habe "aus Sicht der Geschädigten viel zu lange" bis zu diesem Ermittlungserfolg gedauert. Er zeige aber: "Der Tarnmantel des Internets ist zunehmend löchrig" und dies könnten sich Ermittler zunutze machen, so Schreiber. Er betonte, dass die Ermittlungen "mit derselben Intensität wie bisher fortgesetzt werden" sollen.

Mitte März hatte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) von insgesamt 133 verschickten Drohschreiben berichtet. Dabei rechneten die Ermittler 115 dieser Schreiben demselben Absender zu, die restlichen 18 seien mutmaßlich von Trittbrettfahrern verfasst und versendet worden.

Empfänger der Drohschreiben waren überwiegend Personen des öffentlichen Lebens, vor allem aus der Medienwelt und der Politik, darunter Abgeordnete des Bundestags und des Hessischen Landtags. Zu den Betroffenen zählte die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız. Anfang März hatte sie gesagt, sie habe mehr als ein Dutzend "NSU-2.0"-Drohschreiben erhalten. Sie hatte immer wieder mangelnde Unterstützung durch die Polizei und fehlende Ermittlungsergebnisse in dem Fall angeprangert. Opfer waren auch die Kabarettistin İdil Baydar und die aus Hessen stammende heutige Linken-Chefin Janine Wissler.

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