Eigener Herd:Er gibt uns Saures

Eigener Herd: Punkt für Punkt: Querschnitt durch eine Rhabarber-Stange.

Punkt für Punkt: Querschnitt durch eine Rhabarber-Stange.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Rhabarber ist dominant und seine heftige Säure nur schwer zu zähmen. Gut so, denn ohne ihn wäre die Küche im Frühjahr sehr viel weniger aufregend.

Von Marten Rolff

Streng genommen ist Rhabarber ein einziges Missverständnis, wenn auch das vielleicht schönste und frischeste der Frühjahrsküche. Es geht schon damit los, dass Rhabarber in Kochbüchern und auf Speisekarten verlässlich zum Obst gerechnet wird. Verständlich bei einem derart kompottfähigen Gemüse, das zudem noch mit der schärfsten Säure des Frühjahrsgartens überrascht. Eine heftige Säure, die geradezu lechzt nach Zähmung; meist durch Zucker, buttrige Streusel und Teig oder fetten Sahnequark, weshalb Rhabarber fast zwangsläufig im Dessert landet und in Großbritannien oft "Pieplant" (Kuchenpflanze) genannt wird.

Außerdem ist es nur einem - glücklichen - Missverständnis zu verdanken, wenn Rhabarber heute so viele eingeschworene Fans hat. Denn nicht Köche oder Gärtner bauten das ursprünglich aus China importierte Kraut im 19. Jahrhundert erstmals in Europa an, sondern englische Apotheker, die es als Heilpflanze verkaufen wollten. Weil damals aber offenbar das falsche Saatgut geliefert wurde, pflanzten sie eine Rhabarbersorte, die sich medizinisch als nutzlos erwies, dafür aber für die Küche umso interessanter war. Der Legende nach ist die Beliebtheit von Rhabarber im viktorianischen England schließlich dem Gemüsehändler Joseph Myatt zu verdanken, der die seltsamen rosa Stangen mit den großen (und im Gegensatz zu den Stielen giftigen) Blättern auf dem Londoner Borough Market hartnäckig angepriesen haben soll, bis auch der letzte Kunde Rhabarber-Pie buk.

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So erklärt sich auch, dass viele besonders gute Rhabarber-Rezepte aus England stammen. Wer tiefer einsteigen möchte, der sollte unbedingt in Mary Priors wunderbares Buch "Rhubarbaria" (Prospect Books, 2009) gucken, eine echte Empfehlung und - in gewisser Weise - ebenfalls ein Missverständnis. Denn Prior, eigentlich in Neuseeland geboren, war Historikerin in Oxford und die Erste, die systematisch die Bedeutung und Rolle von Frauen in der englischen Gesellschaft erforschte. Es ist also nicht ohne Ironie, wenn manche sich an diese feministische Vordenkerin heute ausgerechnet für ihren fantastischen "Russischen Rhabarberkuchen" erinnern. Aber vielleicht ist Priors Spätwerk ja auch nur eine Aufforderung, endlich weniger in Schubladen zu denken. Und außerdem (schließlich ist das hier eine kulinarische Kolumne): Kann es einen wichtigeren Forschungsgegenstand geben als Rhabarberrezepte? Eben.

Es wäre aber ein bisschen schade, sich jetzt nur auf die Nachspeisentauglichkeit von Rhabarber zu konzentrieren. Mindestens ebenso interessant ist es, ihn mit herzhaften und schweren Gerichten wie Schweinsbraten oder fettem Fisch zu kombinieren, Gerichte, die seine messerscharfe Säure sofort leichter wirken lässt. Der schnellste Weg dahin führt über ein simples Chutney, für das man 3 feingehackte Schalotten in etwas Rapsöl anschwitzt und dann 2 bis 3 Stängel gehackten Rhabarber (2 cm lange Stücke) zugibt. Alles abgedeckt bei mittlerer Hitze garen lassen, bis das Gemüse zerfällt, am Ende 3 TL Rotweinessig und 2 TL braunen Zucker zugeben (manche mögen es süßer), noch kurz weiterköcheln lassen und nach Belieben mit Chili (kann auch von Beginn an mitgaren) und/oder einer Prise Salz abschmecken. Dieses Chutney passt nicht nur zu Kottelet, sondern auch gut zu Makrele. Echten Wumms entwickelt Rhabarber-Chutney zu gebratener Blutwurst, auf Brioche ist die Kombi eine schöne Alternative zu Pulled-Pork-Burger.

Rhabarber passt gut zu Roter Bete

Bei Mary Prior ist die Makrelenbegleitung feiner. Sie kocht 450g gehackten Rhabarber mit (mindestens) 8 EL trockener Apfelcidre, einem Spritzer Zitrone und 4 EL braunem Zucker zu Püree, das sie mit ordentlich Muskatnuss, Muskatblüte, Zimt und Salz abschmeckt. Durch ein Sieb gestrichen, wird die Sauce noch ansehnlicher.

In eine völlig andere Richtung geht die Kombination, auf die die amerikanische Küchenlegende Alice Waters zu Recht mit Begeisterung hinweist: Rhabarber und Rote Bete, deren süßliche Erdigkeit die scharfe Säure abfedert. Waters empfiehlt, beides zu garen und daraus süßsaure Salsa zu machen. Man kann das Paar aber auch im Salat mit Chicorée, Orangenfilets und Parmaschinken adeln.

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Wer die Stangen mit dem Sparschäler in dünne Scheiben schneidet und diese im Ofen trocknet, hat Rhabarber-Gewürz für das ganze Jahr.

(Foto: imago images/Westend61)

Wirklich berühmt geworden ist die Kombination aus Rhabarber und Roter Bete aber als Nachspeise. Das Kopenhagener Restaurant "Noma" machte daraus zweierlei Mousse (den Saft mit Gelatine, Zucker, Joghurt, Sahne und Eischnee) und servierte sie zu Schafsjoghurt-Granita. Das Rezept klingt wesentlich komplizierter, als es ist. Sehr gut aufbereitet nachlesen kann man es im Food-Blog Aus-meinem-Kochtopf.de. Das Interessanteste daran ist ohnehin die schlichte, aber bestechend effektive Hülle der Rhabarber-Mousse aus getrockneten Rhabarberbröseln. Dafür muss man lediglich ein paar geputzte Stängel mit dem Sparschäler längs in dünne Scheiben schneiden und diese auf einem mit Backpapier ausgelegten Blech bei etwa 75 Grad (Umluft) für 2 bis 3 Stunden im Ofen trocknen. Zerbröselt oder zu Pulver gemahlen und luftdicht verschlossen gelagert, lässt sich das schöne Rhabarber-Aroma so auch in den Sommer hinüberretten - als Gewürz für Saucen, Pannacotta, Marmelade oder Erdbeerkompott.

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