Coronavirus:Alle sind sich einig, gestritten wird trotzdem

Coronavirus - vor dem Impfgipfel

"Erster Schritt auf dem Weg in die Hoffnung": Geimpfte haben künftig wieder mehr Rechte - Impfzentrum in den Berliner Messehallen.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Im Bundestag wollen alle Fraktionen, dass Geimpfte und Genesene mehr Freiheiten bekommen. Doch die Debatte zeigt, warum es trotzdem politischen Streit gibt.

Von Angelika Slavik, Berlin

Zu streiten, obwohl man doch eigentlich einer Meinung ist, ist ein rares Kunststück, der Bundestag hat es an diesem Donnerstag mit Leichtigkeit vollbracht. Es sei ja vollkommen klar, argumentierte zunächst die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), dass man Menschen, die niemanden mehr mit dem Coronavirus anstecken könnten, in ihren Grundrechten auch nicht einschränken dürfe. Und weil das Robert-Koch-Institut gezeigt habe, dass keine Gefährdung von Menschen ausgehe, die durch Impfung oder überstandene Infektion immunisiert seien, dürften Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen diese Gruppe eben auch nicht mehr betreffen. "Rechtsstaatliche Grundsätze gelten nicht nur in normalen Zeiten, sondern sie müssen gerade auch in Krisenzeiten gelten", sagte Lambrecht.

Die Frage, wie man damit umgehen soll, dass eine wachsende Zahl an Menschen geimpft ist, während andere wohl noch Wochen oder gar Monate auf ihren Impftermin werden warten müssen, beschäftigt Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht wies am Mittwochabend Eilanträge gegen die in der "Bundesnotbremse" geregelten Ausgangssperren zurück, die Entscheidung im Hauptverfahren ist offen. Der Bundesgesundheitsminister twitterte am Donnerstagmorgen, tags zuvor seien in Deutschland 1,1 Millionen Dosen verimpft worden, damit seien mehr als 25 Millionen Deutsche zumindest erstgeimpft, also 30,6 Prozent der Bevölkerung.

Noch ist der Kreis der zweimal Geimpften gar nicht so groß

Das klingt, als würden die Lockerungen, über die da im Bundestag in aller Einigkeit gestritten wurde, eine große Zahl an Menschen betreffen. Aber ausgenommen von den Ausgangssperren und den Kontaktbeschränkungen ist nur, wer vollständigen Impfschutz genießt - der tritt erst am 15. Tag nach der zweiten Teilimpfung ein. Es ist also keineswegs so, dass sich ein Drittel der Menschen in Deutschland schon auf ein Partywochenende freuen kann. Die Zahl derer, die schon zweimal geimpft wurden, liegt bei 7,1 Millionen, das sind 8,6 Prozent der Bevölkerung - und da ist die zweiwöchige Wartezeit zwischen Impfung und vollem Impfschutz noch gar nicht berücksichtigt. Dazu kommen jene, die in den vergangenen sechs Monaten eine Infektion überstanden haben.

Der stellvertretende Unionsfraktionschef Thorsten Frei (CDU) nannte die Lockerungen dennoch einen "ersten Schritt auf dem Weg in die Hoffnung". Es würden noch weitere Schritte folgen. Die hätte die FDP gerne sofort gesehen, ihr gehen die Lockerungen nicht weit genug. Freiheitsrechte könne man nicht scheibchenweise zurückgeben, sagte die Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus, die gebe es nur als Ganzes. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Öffnung von Gaststätten, Hotels und Freizeiteinrichtungen in der neuen Verordnung völlig ausgeklammert werde. Es gebe keinen Grund, warum ein geimpfter Gastronom sein Lokal nicht für ebenfalls immunisierte Gäste öffnen dürfe. "Unser Grundgesetz schützt in Artikel zwölf auch die Berufsfreiheit", sagte Aschenberg-Dugnus.

"Die Vermeidung von Neid ist kein verfassungsrechtliches Gut."

Tatsächlich ist es nicht so, dass es für Geimpfte und Genesene gar keine Einschränkungen mehr gäbe. Die Lockerungen beziehen sich vor allem auf Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Bei Treffen mit anderen Personen werden die Immunisierten sozusagen "nicht mitgezählt", untereinander können sie sich ohne Einschränkungen treffen. Bei Friseurbesuchen und im Handel werden sie negativ Getesteten gleichgestellt. Zudem fallen Quarantäneauflagen weg, die bislang nach dem Kontakt zu nachweislich Infizierten oder bei der Einreise aus dem Ausland gelten - immer vorausgesetzt, sie reisen nicht aus einem Virusvariantengebiet ein. Wer aus einem Land kommt, in dem eine Mutante grassiert, muss sich genau wie alle anderen testen lassen und die Quarantänevorschriften befolgen. Zudem bleiben Abstandsgebot und Maskenpflicht für alle in Kraft.

Dass die Lockerungen nicht umfassender ausfielen, konnte sich FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus nur damit erklären, dass die Bundesregierung fürchte, der Neid auf die Freiheit der Geimpften könnte die Gesellschaft polarisieren. "Aber die Vermeidung von Neid ist kein verfassungsrechtliches Gut."

Bei den Grünen sah man das anders, eine Neiddebatte sei "das Letzte, was diese Gesellschaft braucht", sagte die Abgeordnete Manuela Rottmann. Sie kritisierte auch, dass es nicht längst einen fälschungssicheren Impfnachweis gebe. Nun müssten alle, die vor der Einführung des digitalen Impfzertifikats Ende Juni immunisiert würden, sich mühsam um eine nachträgliche Impfbescheinigung kümmern. Die Rücknahme der Beschränkungen sei dennoch eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit. Das fand auch Ulrich Oehme von der AfD, der aber beklagte, dass trotz der Lockerungen "Millionen andere diskriminiert" würden. Er forderte, wie nicht anders zu erwarten, ein sofortiges Ende des Lockdowns und aller Grundrechtseinschränkungen.

Jens Spahn verzieht keine Miene, als seine Immobiliengeschäfte thematisiert werden

Susanne Ferschl von den Linken sagte, die Aufgabe der Regierung sei es, die Freiheitsrechte aller Menschen schnellstmöglich wiederherzustellen. Dazu müsse schneller geimpft werden, das gelte besonders für Menschen in prekären Wohn- und Arbeitssituationen. Es sei ein Unterschied, ob eine vierköpfige Familie in einer Drei-Zimmer-Wohnung ohne Balkon die Ausgangssperre überstehen müsse oder ob man "in einer Villa in Dahlem mit 1300 Quadratmeter Grund" sitzen könne, sagte Ferschl in Anspielung auf die Immobiliengeschäfte des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU). Der verzog auf der Regierungsbank keine Miene und starrte in sein Handy.

Die neuen Regeln wurden schließlich mit den Stimmen von SPD, Union, Grünen und Linken angenommen, die FDP enthielt sich, die AfD stimmte dagegen. Beendet war die Debatte damit noch nicht, die Liberalen beantragten zusätzlich eine Aktuelle Stunde zum Thema. Marco Buschmann, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, wollte da noch loswerden, dass es nicht die Bevölkerung sei, die dem Staat eine Begründung für ihre Freiheit schulde, sondern dass der Staat eine Begründung für jeden einzelnen Grundrechtseingriff schulde. Es gebe angesichts der Bedrohung durch das Coronavirus durchaus Grundrechtseingriffe, die gerechtfertigt seien. Aber dass man Geimpften und Genesenen nicht erlaube, ohne Einschränkungen einzukaufen oder miteinander Sport zu treiben, sei nicht akzeptabel.

An diesem Freitag bekommt der Bundesrat Gelegenheit zur Debatte, stimmt er zu, könnten die Lockerungen für Geimpfte und Genesene schon am Wochenende gelten.

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