Transgender im Sport:Heben und leben

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Neuseelands Favoritin: Gewichtheberin Laurel Hubbard bei den Commonwealth Spielen 2018 in Australien. (Foto: Morgan Hancock/Action Plus/Imago)

Laurel Hubbard wird wahrscheinlich die erste Transgender-Athletin in der Geschichte der Olympischen Spiele sein. Der Druck auf das IOC nimmt zu: Es muss eine richtungsweisende Entscheidung treffen.

Von Lukas Brems

Die Olympischen Spiele in Tokio werden in vielerlei Hinsicht besonders. Vielleicht werden es sogar die Spiele, in denen das Gewichtheben der Frauen viel Aufmerksamkeit erhält. Denn Laurel Hubbard, eine Gewichtheberin aus Neuseeland, wird voraussichtlich die erste Transgender-Athletin in der Geschichte bei Olympia. Für die einen ist das der Anfang vom Ende des Frauensports, für die anderen ein willkommenes Zeichen für Inklusion.

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Wer für Neuseeland nach Tokio reist, wird zwar offiziell erst im Juni bekannt gegeben, das neuseeländische Olympische Komitee bezeichnete es am Donnerstag aber als "sehr wahrscheinlich", dass Hubbard dabei sein wird. Möglich machen das die angepassten Qualifikations-Regelungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das damit auf pandemiebedingte Wettkampfausfälle reagiert.

Hubbard wurde bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen. Sie trat zunächst gegen Männer an und stellte sogar einen neuseeländischen Jugendrekord auf. Ihren ersten größeren internationalen Wettkampf bestritt sie jedoch erst 2017 gegen Frauen, fünf Jahre nach ihrer Geschlechtsangleichung. Hubbard war damals bereits 39 Jahre alt. Trotz ihres Alters zählt sie bei den Spielen zu den Medaillenanwärterinnen. Damit werden einmal mehr Fragen aufgeworfen, die Sportverbände noch nicht eindeutig beantworten können.

Vorteile? Nachteile? Wissenschaftler sehen einen Mangel an Daten

In kaum einem anderen Bereich der Gesellschaft ist das binäre Geschlechtersystem so verankert wie im Sport. Wie dort mit Transgeschlechtlichkeit umgegangen werden soll, ist eine vielschichtige Frage. Es geht dabei um Fairness, Inklusion, aber auch um Verhältnismäßigkeit. Organisationen wie Fair Play for Women sehen den Frauensport in Gefahr und wollen strikte Regeln, damit Transfrauen den Leistungssport nicht dominieren. Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums fordern LGBTQ-Aktivisten deren bedingungslose Inklusion.

Ob Transgender-Athletinnen einen unfairen Vorteil haben, weil sie meist die männliche Pubertät durchliefen, ist bisher nicht abschließend geklärt worden. Die International Federation of Sports Medicine, ein Zusammenschluss nationaler sportmedizinischer Verbände, betonte zuletzt den "deutlichen Mangel" an Daten. Einige Studien deuten jedoch darauf hin, dass Kraftvorteile im Vergleich zu anderen Frauen auch nach drei Jahren Hormontherapie bestehen bleiben.

Die Anzahl an Transgender-Sportlerinnen im Spitzensport ist trotzdem verschwindend gering. Die Wissenschaftlerin Joanna Harper führte dies im Guardian auf "soziologische Nachteile" zurück. In einer Studie der Deutschen Sporthochschule Köln gaben 90 Prozent der Befragten aus der LGBTQ-Community an, dass Homo- und Transphobie ein aktuelles Problem im Sport sind. Über die Hälfte der befragten Transpersonen fühlte sich zudem ausgeschlossen oder zog sich aufgrund von Geschlechtsidentität aus dem Sport zurück.

Auch Laurel Hubbard musste viel Kritik über sich ergehen lassen. "Egal, wie wir es betrachten, es handelt sich um einen Mann. Und es ist schockierend, dass dies überhaupt erlaubt wurde", sagte der samoanische Premierminister Tuilaepa Sailele Malielegaoi, nachdem sich Hubbard im Finale der Pacific Games 2019 gegen eine Samoanerin durchsetzte. "Ich denke, selbst vor zehn Jahren war die Welt noch nicht bereit für eine Athletin wie mich, und vielleicht ist sie es auch jetzt nicht", sagte Hubbard vor vier Jahren.

Seit 2015 ist sie nach IOC-Regeln startberechtigt, wenn ihr Testosteronspiegel in den 12 Monaten vor einem Wettkampf unter 10 nmol pro Liter liegt. Die Regelung ist umstritten, einige Wissenschaftler halten es für angebracht, den Grenzwert zu halbieren. "Irgendwie müssen wir eine faire Balance finden", sagte Richard Budgett, Medizinischer Direktor des IOC, laut ESPN. Ursprünglich sollten die Richtlinien noch vor den Olympischen Spielen in Tokio verschärft werden, doch Ende 2019 fand das einberufene Gremium von Wissenschaftlern keinen Konsens. Die Entscheidung wurde daraufhin auf die Zeit nach den Spielen vertagt. Budgett betonte, es gebe keine einfache Antwort. Das IOC wird trotzdem eine finden müssen, erst recht, nachdem Laurel Hubbard die olympische Bühne betreten hat.

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