SZ-Pflegekolumne: Auf Station, Folge 1:Das Klatschen nach dem Piepen

Corona-Intensivstation in der München Klinik Schwabing, Schwabinger Krankenhaus

Symbolfoto.

(Foto: Florian Peljak)

Julia Rettenberger berichtet in einer neuen Kolumne aus der Kreisklinik Ebersberg. Folge 1: Wie sich im Frühjahr 2020 der Ton im Pflegeberuf veränderte.

Protokoll: Johanna Feckl

Dü-dü-dü-dü-dü! Wenn man das in einem schnellen Tempo und mit hoher Stimmlage spricht, dann kommt das dem Piepen eines Infusomaten schon recht nahe. Das ist eine Pumpe, die Infusionen dosiert. Düüü-düüü-düüü-düüü - dieses Mal mit tiefer Stimme und langgezogen gesprochen - und man hat das Piepen einer Beatmungsmaschine. Jede Maschine auf der Intensivstation klingt anders, ich kann bestimmt 100 Pieptöne voneinander unterscheiden und zuordnen. Eines haben die Piepser aber gemeinsam: Es sind akustische Meldungen. Hallo-hallo, hier stimmt was nicht, schau mal her! Wenn ich ein Piepen wahrnehme, dann erfordert das eine Reaktion von mir, ich muss sofort aktiv werden. Ansonsten schaut es schlecht für den Patienten aus.

Im Frühjahr 2020 kam ein völlig neues Geräusch hinzu, das weder ich noch meine Kolleginnen oder Kollegen so kannten: Klatschen. Eigentlich habe ich das als schön empfunden. Endlich haben viele Menschen gesehen, was wir täglich leisten. Zuvor war eine Intensivstation wie ein blinder Fleck: Du kommst krank hin und gehst gesund wieder nach Hause. Aber was in der Zwischenzeit passiert, wussten nur die Betroffenen und wir Angestellten. Auf einmal war das anders. Die Leute haben uns wirklich gesehen und uns eine besondere Anerkennung gezeigt. Auch die Arbeit von Verkäuferinnen an der Supermarktkasse gehört wie die unsere zur Grundversorgung einer Gesellschaft, oder die von Müllwerkern und Reinigungskräften. Geklatscht wurde aber nur für uns.

Intensivpflege Fachkraft Kreisklinik Ebersberg

Julia Rettenberger arbeitet seit 2014 auf der Intensivstation an der Ebersberger Kreisklinik.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Und trotzdem bin ich müde geworden. Die erste Corona-Welle war noch in Ordnung, auch die zweite ist irgendwie vorüber gegangen. Aber jetzt merke ich, wie es mir stetig schwerer fällt, die emotionale Distanz zu meiner Arbeit zu wahren. Die Patienten werden immer jünger - mein jüngster war gerade einmal 40 Jahre alt. Es ist eine andere Situation als noch vor einem Jahr. Wenn ich nun zu Hause bin, mache ich mir viel mehr Gedanken über die Menschen, die ich ein paar Stunden zuvor versorgt habe. Ob mein Patient in der Bauchlage wohl schon mehr Sauerstoff aufnehmen kann? Ob mein vorhin aufgenommener Covid-19-Patient mittlerweile schon beatmet werden muss?

Während ich über solche Dinge grüble, wird über Öffnungsschritte, Ausgangssperren und Notbremsen diskutiert. Alle wünschen sich so sehr eine Normalität zurück. Ich verstehe das, das wünsche ich mir ja auch. Aber Normalität bedeutet auch, dass es kein Klatschen gibt. Es passiert schließlich nichts Außergewöhnliches mehr. Einen Applaus kann ich genießen - zunächst, denn er verschallt. Heute klatscht niemand mehr. Die Maschinen auf unserer Station piepen aber immer noch.

Julia Rettenberger ist Intensivfachpflegerin. In dieser Kolumne erzählt die 27-Jährige jeden Montag von ihrer Arbeit an der Ebersberger Kreisklinik.

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