Botanik:Was blüht denn hier?

Botanik: Eine Blütenvielfalt im Garten ist nicht nur etwas fürs menschliche Auge, sondern auch gut für den Klimaschutz.

Eine Blütenvielfalt im Garten ist nicht nur etwas fürs menschliche Auge, sondern auch gut für den Klimaschutz.

(Foto: Arnulf Hettrich/imago images)

Eine Pflanzenbestimmungs-App für Laien macht Furore unter Botanikern. Die Entwickler sehen ganz neue Möglichkeiten zur Überwachung der Artenvielfalt.

Von Benjamin von Brackel

Wer nur noch am Smartphone hängt, verliert den Kontakt zur Natur, heißt es. Aber auch das Gegenteil ist möglich, wie die Naturbestimmungs-Apps beweisen: Massenhaft stehen Leute in der Landschaft und halten ihre Geräte vor Bäume, Blumen und Vögel, um herauszufinden, mit wem sie es da zu tun haben. Genau darum ging es den Entwicklern der Flora-Incognita-App, die im Jahr 2018 startete. Aus drei Perspektiven fotografieren Laien eine Wildpflanze und erhalten einen Vorschlag samt Art-Beschreibung. Weil die automatische Erkennung so weit fortgeschritten ist, sich Millionen Beobachtungen angehäuft und viele Nutzer anonymisiert ihren Standort angegeben haben, ergaben sich für die Wissenschaftler nun ganz neue Möglichkeiten. "Wir haben uns gefragt, ob wir mit den Daten aus nur zwei Jahren Flora-Incognita-Nutzung ähnliche großräumige ökologische Muster erkennen können wie mit Daten aus der Langzeit-Kartierung der deutschen Flora", sagt Jana Wäldchen vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI).

Zusammen mit Informatikern und Ökologen ließ sie die Daten des Laienheers gegen Daten antreten, die mehr als 5000 Experten in 70 Jahren gesammelt hatten. Eigentlich ein unfairer Kampf, zumal die App-Nutzer ziemlich wahllos vorgehen. "Die meisten wollen einfach nur wissen, was da Hübsches blüht", sagt Miguel Mahecha, Professor für Modellierungsverfahren in der Fernerkundung an der Universität Leipzig und Hauptautor der neuen Studie im Fachjournal Ecography. Umso überraschender das Ergebnis: Die makroökologischen Muster, also wie sich Arten zum Beispiel entlang des Nord-Süd-Gefälles oder von Steigungen verteilen, stimmten weitgehend überein.

Die Bestimmungen konzentrieren sich bisher noch auf Städte oder beliebte Ausflugsziele

Durchs Raster fallen dabei allerdings die seltenen und unbekannten Arten. Um diese zu bestimmen, braucht es die Erfahrung der Taxonomen. Als Schwachstelle sehen die Autoren das nicht. "Wir wollen die professionelle Kartierung ja nicht ersetzen", sagt Wäldchen. "Die vielen Nutzer der App können aber viel mehr Daten aufnehmen, was uns dann erlaubt, andere Schwerpunkte zu setzen."

Neuere Studien weisen darauf hin, dass auch die Zahl der mittelhäufigen Arten einbricht, dafür könnte Flora Incognita wertvolle Daten liefern. Auch Veränderungen in der Phänologie, also wann im Jahr eine Pflanze blüht, oder die Ausbreitung von invasiven Arten könnte die App schneller aufdecken. Das größte Manko vielleicht: Die Bestimmungen konzentrierten sich auf Städte oder beliebte Ausflugsziele. "Auf einem Acker in Mitteldeutschland kommt keiner auf die Idee, die App zu benutzen", sagt Mahecha.

Inzwischen nutzen sogar Botaniker die App, wenngleich unter Vorbehalt. "Ich bin mir noch nicht sicher, ob die App genial oder trivial ist", sagt der Botaniker und Pflanzengeograph Gerald Parolly von der FU-Berlin. Trivial, weil vielleicht schon 200 Pflanzenarten genügt hätten, um ökologische Grundmuster aufzuzeigen. Und auch, weil hin und wieder die App doch gewaltig daneben liegt (weshalb beim Kräutersammeln Vorsicht geboten ist, wenn sich der identifizierte Bärlauch am Ende als hochgiftige Herbstzeitlose entpuppt). Genial, weil das Werkzeug inzwischen eine Trefferquote von fast 90 Prozent erzielt. "Die Algorithmen könnten tatsächlich helfen, die Erosion in den biologischen Kenntnissen zu kompensieren und Laien heranzuziehen, um eine große Zahl von Pflanzen zu beobachten."

Ein Lernwerkzeug sei die App aber nur bedingt, da sie nicht wie ein Bestimmungsschlüssel Schritt für Schritt vorgehe, sondern ihr neuronales Netzwerk Muster erkennt und mit einer riesigen Bilderdatenbank abgleicht. Und das können ganz andere Muster sein, als die, nach denen Biologen suchen.

Wobei: Ganz so weit auseinander liegt die Arbeitsweise zwischen Mensch und Maschine dann doch wieder nicht. "Manchmal erkenne ich schon im Auto beim Vorbeifahren mit ziemlich hoher Trefferquote eine Pflanzenart, indem ich Tausende von internen Bildern in meinem visuellen Gedächtnis unbewusst damit abgleiche", sagt Parolly. "Der Ansatz steckt wohl in unserem Genom."

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