Union-Sieg gegen Leipzig:Kruse geht "all in"

Union-Sieg gegen Leipzig: Max Kruse (vorne) feiert ausgelassen seinen Sieg-Treffer.

Max Kruse (vorne) feiert ausgelassen seinen Sieg-Treffer.

(Foto: John MacDougall/AFP)

Ausgerechnet Max Kruse, Kritiker der neuen Conference League, sorgt mit seinem Last-Minute-Treffer für einen Startplatz der Unioner im internationalen Geschäft. Julian Nagelsmann sieht in seinem letzten Spiel bei RB ein Abbild der Saison.

Von Nico Fried, Berlin

Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten, aber die Party an der Alten Försterei in Berlin begann an diesem Samstag schon deutlich früher - und sie währte deutlich länger. Um 14:47 Uhr begrüßten 2000 Zuschauer, geimpft, getestet, genesen, ausgelost, die Mannschaft von Union Berlin zum Aufwärmen und machten Lärm fast wie in einem vollen Stadion. An diesem letzten Spieltag der Saison durfte auch gesungen und gebrüllt werden - anders als im letzten Spiel mit Zuschauern am 24. Oktober 2020, als aus Angst vor Aerosolduschen nur Topfdeckel zum Krachmachen zugelassen waren.

So schallte denn bei der Verlesung der Mannschaftsaufstellung hinter jedem Namen nun auch wieder der Zusatz "Fußballgott" durch Köpenick. Doch das war noch gar nichts, gemessen an dem Lärm nach 93 Minuten Spielzeit. Das 2:1 gegen Leipzig nach einem 0:1-Rückstand sei, so fand Union-Kapitän Christopher Trimmel, "ein Paradebeispiel, wie mit sehr viel Herz und sehr viel Willen ein Spiel zu gewinnen ist".

Trainer Urs Fischer sprach von einem "Drehbuch für Hollywood". So geriet dieser Nachmittag am Ende zu einem geradezu ekstatischen Saisonausklang für Union Berlin, mit Platz sieben in der Abschlusstabelle, der Qualifikation der Eisernen für den Europapokal in der neu geschaffenen Conference League - und einem Matchwinner Max Kruse, den die Zuschauer mit Sprechchören feierten.

Ausgerechnet Kruse. In der ersten Saisonhälfte hatte er die Mannschaft in die vorderen Plätze geführt, mit Witz und Tempo im Mittelfeld und mit zehn Toren. Dann fiel er lange Zeit verletzt aus, kam zurück, fand nicht mehr ganz die alte Stärke, war aber trotzdem ein unermüdlicher Antreiber.

Auch in diesem letzten Spiel der Saison wirkte er von Anfang an wie aufgedreht, lief viel, war stets anspielbar und beschwerte sich voller Ungeduld bei den Mitspielern, wenn die Spielzüge nicht nach seinen Vorstellungen liefen. Der letzte Angriff aber, der in der dritten Minute der Nachspielzeit, der sollte ganz nach seinem Geschmack sein. Der Mann, der vor ein paar Monaten noch freimütig bekannt hatte, dass er eigentlich keinen Bock auf die Conference League habe, schoss sich nun höchstpersönlich in den Wettbewerb.

Union gegen Leipzig, ein beziehungsreiches Spiel: 2019 waren beide Mannschaften im selben Stadion erstmals aufeinandergetroffen. Es war das erste Spiel des FC Union in der Bundesliga - und die Premiere von Julian Nagelsmann als Leipziger Trainer. 4:0 gewannen die Gäste damals. Nun, knapp zwei Jahre später, waren die Berliner auch der Gegner in Nagelsmanns letztem Spiel vor dem Wechsel zum FC Bayern. Und noch dazu war Leipzig die einzige Mannschaft in der Bundesliga, gegen die Union noch nie punkten konnte. Bis zu diesem Samstag.

Der eingewechselte Nkunku trifft nach Sekunden für Leipzig

Dabei hatten die Leipziger erkennbar nicht vor, das Match abzuschenken, spielten in der ersten Halbzeit druckvoller als die Gastgeber. "Es war nicht so, dass sie keinen Bock hatten", sagte Trainer Nagelsmann über seine Spieler. Vor allem Stürmer Justin Kluivert stellte die Union-Abwehr vor immer neue Aufgaben, die sie oft mit viel Einsatz, einmal aber auch nur mit Hilfe eines Fouls an der Strafraumkante erledigte, das Schiedsrichter Guido Winkmann in seinem letzten Bundesliga-Spiel übersah.

Auf der anderen Seite wäre so ein Foul lange Zeit kaum möglich gewesen, weil die Unioner selten auch nur in die Nähe des Leipziger Strafraums kamen. Erst in der 34. Minute erspielten sie sich die erste große Chance, als zunächst Max Kruse und dann Christopher Lenz den Ball jeweils mit der Fußspitze weiterleiten konnten, ehe Petar Musa in seinem Abschiedsspiel für die Berliner doch nur den Pfosten traf.

Auf der anderen Seite hatte Leipzig kurz vor der Pause binnen zehn Sekunden eine Kette von Chancen, die auch mal für zwei Spiele reichen kann. Doch nacheinander brachten erst Emil Forsberg und Hee Chan Hwang den Ball nicht durch die vielbeinige Union-Abwehr, ehe dann auch noch Marcel Sabitzer knapp links am Tor vorbeischoss.

Nach dem Wechsel wirkten die Berliner entschlossener, mutiger. Wenn aber zu den Qualitäten eines Trainers auch eine gute Hand beim Einwechseln gehört, dann erwies sich Nagelsmann in dieser Hinsicht alsbald als großer Coach. Nach 54 Minuten brachte er Christopher Nkunku, der nur Sekunden später mit seiner ersten Ballberührung Kluivert in Szene setzte, der die Leipziger Führung erzielte.

Doch die Berliner hielten dagegen. In der 67. Minute half ihnen wieder einmal ein Standard von Christopher Trimmel. Die Ecke des Mannschaftskapitäns nahm Marvin Friedrich direkt ab und knallte den Ball in den rechten Winkel des Leipziger Tores. Was folgte, war ein wildes Spiel. Ein weiterer Chancen-Dreierpack der Leipziger führte dazu, dass Andreas Luthe auf seiner Torlinie hin- und herhechtend einen Ball nach dem anderen aus den Ecken fischte. In dieser Phase habe "der Torwart acht Arme gebraucht", lobte Trainer Fischer nach dem Spiel. Gegenüber traf Union-Stürmer Taiwo Awoniyi auch nur den Torwart, wieder auf der anderen Seite Nkunku schließlich nur den Pfosten.

Nagelsmann fährt schon am Sonntag nach München

Und dann die 93. Minute. "All in" seien die Unioner gegangen, so Trainer Fischer, alles nach vorne. Dann Flanke des eingewechselten Geraldo Becker von rechts auf den frei stehenden Kruse, der seinen Kopfball Richtung kurzes Eck platzierte, genau an den Innenpfosten, ins Tor. Es sei "Weltklasse", sagte der Torschütze hinterher, dass die Mannschaft sich so für eine "sensationelle Saison" belohnt habe: "Letztes Spiel, letzte Minute, besser kann man die Geschichte nicht schreiben."

Jede Menge Chancen, zu viele davon liegen gelassen und am Ende unterlegen, so fasste Julian Nagelsmann die Partie zusammen. Er sah darin ein "bisschen ein Abbild der Saison". Vizemeister, DFB-Pokalfinale verloren, am Ende kein Titel. Nagelsmann, der sich schon am Vortag in Leipzig vom Verein verabschiedet hatte, wollte am Samstag noch in sein Büro fahren, aufräumen und dann am Sonntag nach München fahren.

Während er das vor der Presse schilderte, spazierte der Trainer-Kollege von Union Berlin noch einmal kurz übers Spielfeld. Von der inzwischen leer gewordenen Tribüne rief ihm ein einsamer Fan ein letztes Mal an diesem denkwürdigen Tag zu: "Urs Fischer, Fußballgott."

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