Alben der Woche:"Wen, zum Teufel, kümmern meine Albträume?!"

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Halten das Leben für einen Strand: die Briten von "Easy Life". (Foto: Jack Bridgland)

Gute Zeilen zum Zustand der Jugend von "Easy Life" und Olivia Rodrigo. Dazu Rap über Hass von "K.I.Z.", Erfindungen von "Twenty One Pilots" und der alte Großraumdisco-Kram von "Culcha Candela".

(Foto: N/A)

Easy Life - "Life's A Beach" (Universal Music)

Das Album der Woche gleich zu Beginn: Nicht nur, weil "Life's A Beach" (Universal Music) von Easy Life nach dem Sommer klingt, der ums Verrecken nicht kommen will. Vor allem, weil es das so irre locker tut. Sonnengetrockneter R'n'B, hyper-organische Grooves von Bass und Drums, schwüle Keys, fein angedengelte Gitarre, ganz smooth schwingende Nuschel-Sing-Sang-Raps. Ziemlich britischer Kiffer-Humor: "I thought you said you loved the ocean / When we were standing at the shore / You didn't even dip your toes in / I can't belive I just took you hm...". Mac Miller klang in seinen glücklicheren Momenten ungefähr so. Ach so: Die erste beste Zeile zum Zustand der Jugend gibt es auch noch (die zweite beste kommt weiter unten von Olivia Rodrigo): "Who gives a fuck about my nightmares?!" Ja, wer eigentlich? Jakob Biazza

(Foto: N/A)

K.I.Z. - "Rap über Hass" (Vertigo/Universal)

Juhu, ein neues K.I.Z.-Album! K.I.Z. gibt es inzwischen schon so lange, dass ein neues Album von ihnen sich anfühlt, als wäre Weihnachten und man würde seine Cousins wiedertreffen, das eine Mal im Jahr, das man sich eben sieht. Dieses Jahr ist Weihnachten im Mai, K.I.Z. rappen über Hass, teilen fröhlich in alle Richtungen aus und frönen dabei ihrem immer wieder amüsanten Spiel mit Tabu, Tod, Skandal und deren Schaustellern. Die Gangart ist ein wenig rauer als auf etwa "Hurra die Welt geht unter". "Rap über Hass" (Vertigo/Universal) ist laut und eklektizistisch, und damit eher ein Geschenk für Fans der frühen Sachen. "Hahnenkampf" lässt grüßen. Juliane Liebert

(Foto: N/A)

Moby - "Reprise" (Deutsche Grammophon)

Ab hier Krawattenpflicht: Moby veröffentlicht ein Album ausgerechnet bei der altehrwürdigen Deutschen Grammophon, und deren gelbes Emblem auf einer CD schreit natürlich sofort Hochkultur, Pantheon, Klassiker. Ungefähr so ist das Album "Reprise" auch gedacht, es enthält im Wesentlichen neue Versionen von Mobys größten Hits, jetzt mit Orchester und Chor und berühmten Gästen (Kris Kristofferson, Gregory Porter, Mark Lanegan). Kann man natürlich machen. Die eigene Philharmoniesierung finden ja viele Popmusiker ab einem gewissen Alter ganz toll. Aber der Witz an Mobys Über-Hits wie "Why Does My Heart Feel So Bad" war doch, dass da ein Techno-Musiker alte Blues-Samples mit elektronischer Musik verband. Die Spannung lag im Bruch, in der Collage. Und jetzt? Jetzt singt ein großer Gospelchor, die Musik wird live gespielt, eine Soulsängerin schmettert den Refrain. Null Bruch. Eher Kirchentag. Aber gut, als aufgehübschte Ohrwürmer mögen diese Versionen im Autoradio funktionieren. Schmerzhaft wird's bei einem anderen Song, und dazu noch eine kurze Frage: Könnte vielleicht irgendeine supranationale Institution, gern auch die UNO, dafür sorgen, dass David Bowies "Heroes" nicht mehr kaputtgecovert wird? Schon gar nicht in so Nonnenklosterversionen wie hier? Zumindest für die nächsten, sagen wir, 50 Jahre? Danke. Max Fellmann

(Foto: N/A)

Twenty One Pilots - "Scaled and Icy" (Atlantic/Warner)

Dinge, die die Twenty One Pilots erfunden haben: die "Extreme phone pinching"-Challenge. Und den Alternative-Electropop-Synth-Rap-Rock-Electronica-Indie-Hip-Hop-Reggae. Beim extrem phone pinching handelt es sich um eine exorbitant dämliche (aber damit natürlich erstaunlich reizvolle und kurzzeitig schwer beliebte) Mutprobe, bei der man sein Mobiltelefon mit nur zwei Fingern festhält und über irgendetwas reckt, das es für den Fall des Entgleitens garantiert zerstört: tiefer Abgrund, Wasserfall, Aufzugschacht, Müllschlucker. Millionenabrufe bei Youtube. Der Alternative-Electropop-Synth-Rap-Rock-Electronica-Indie-Hip-Hop-Reggae ist, glaubt man den Kritikern der sehr ernsten Indie-Presse, im Grunde dasselbe. Hauptvorwurf an Tyler Joseph und Josh Dun, das Duo, das 2015 mit dem Album "Blurryface" seinen Durchbruch hatte: Musik, die es allen zu jeder Zeit zu sehr recht machen will. In der Ästhetik ein bisschen, als würde ein etwas fußlahmer Eminem über von Linkin Park aufgeblasene Elton-John-Piano-Grooves singen. Das stimmt schon. Allerdings waren ein paar der Songs damit eben auch erstaunlich reizvolle Pop-Hits. Kurzzeitig schwer beliebt. Zu Recht. Auf "Scaled and Icy" (Atlantic/Warner), ihrem neuen Album, will die Band ziemlich genau da weitermachen, wo sie mit "Trench" 2018 aufgehört hat, das da weitergemacht hat, wo "Blurryface" aufgehört hatte. Und auch hier sind die Parallelen zur "Phone pinching"-Challenge auffällig: Auf die Dauer ist es als Kick womöglich doch etwas zu simple. Jakob Biazza

(Foto: N/A)

Counting Crows - "Butter Miracle Suite One" (BMG Rights Management/Warner)

Dinge, die die Counting Crows (mit)erfunden haben: Rockstarstatus ohne Starstatus. Und womöglich auch ohne Rock. Die Band aus Berkeley, Kalifornien, spielt ja seit der Gründung im Jahr 1991 angenehm posenlose Gitarrenmusik (schon klar: Posenfreiheit ist irgendwann auch eine Pose). Frontmann Adam Duritz strich bei Konzerten sogar mal den Über-Hit "Mr. Jones" von der Setlist, weil er nicht mehr hinter dem Drang nach Ruhm stehen konnte, der sich durch den Text zieht. Weil auch die EP "Butter Miracle Suite One" (BMG Rights Management/Warner) klingt, wie die Band schon immer klang - sonnensatter, ewigfreundlicher und irre sympathischer Knarz-Rock für mild-melancholische Hochsommertage - nur der Vollständigkeit halber noch dies nachgereicht: Fehlende Pose hin, Flauschrock her, das Internet führt trotzdem eine Liste mit Frauen, die Duritz seit Bandgründung gedated haben soll. Ganz schön lang. Jakob Biazza

(Foto: N/A)

Her tree - "Don't Try, Be Beautiful" (Her tree)

Her tree hat eine Art eigenes Genre erfunden. Nennen wir es Wald-Wave. Nein, Tree-Techno. Baum-Bass'n'Drum? Erlen-Electro? Jungle? Jedenfalls: Alexandra Cumfe hat für "Don't Try, Be Beautiful" (Her tree) Wald-Geräusche aufgenommen, nicht nur deutsche, auch österreichische, slowenische und thailändische, und sie anschließend elektronisch verfremdet und in Beats und Basslines verwandelt. Dann haucht sie ein paar ziemlich schöne Melodien und Chöre drüber, et voilà: Holz-House. Nein, Birken-Breakbeat. Jedenfalls: fein. Und nicht ganz so ätherisch, wie man im ersten Moment denken würde. Jakob Biazza

(Foto: N/A)

Olivia Rodrigo - "Sour" (Interscope/Universal Music)

Olivia Rodrigo hat sich selbst neu erfunden. Der ehemalige Disney-Star ("High School Musical - Das Musical: Die Serie") macht auf "Sour" (Interscope/Universal Music) phasenweise ganz wunderbar wütenden Rumpel-Pop-Punk-Alternativ. Und bringt auf dem Opener "brutal" womöglich das Gefühl von Millionen Corona-Jugendlichen auf die ganz locker hingerotzte Zeile: "I'm so sick of 17 / Where's my fucking teenage dream?" Jakob Biazza

(Foto: N/A)

Culcha Candela - "Top Ten" (Sony Music/Culcha Sound)

Culcha Candela haben nichts erfunden. Sie haben früher Reggae, Dancehall und Worldmusic imitiert und für die Großraumdisco aufgepustet. Auf "Top Ten" (Sony Music/Culcha Sound) imitieren sie dazu jetzt auch noch ein bisschen deutsche Gangsta-Rapper, die amerikanische Gangsta-Rapper imitieren, die über Autos und Uhren rappen. Klingt auch ansonsten ungefähr so, wie Erdbeer-Limes zu 50 Cent je 2-cl-Shot schmeckt. Jakob Biazza

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