Influenzaviren:Die Grippewelle ist ausgeblieben

Influenzaviren: Heimsleiterin Astrid Ziller (links) und Bewohnerin Barbara Wallau haben die Abstandsregelungen in den vergangenen Monaten streng eingehalten. Jetzt freuen sie sich auf mehr soziale Kontakte.

Heimsleiterin Astrid Ziller (links) und Bewohnerin Barbara Wallau haben die Abstandsregelungen in den vergangenen Monaten streng eingehalten. Jetzt freuen sie sich auf mehr soziale Kontakte.

(Foto: Toni Heigl)

Im Landkreis Dachau gab es in den Senioren- und Altenheime im vergangenen Winter weniger Influenzafälle. Einige Einrichtungen überlegen daher nun, das Tragen der Masken beizubehalten. Andere Betreiber indes sorgen sich um die psychische Gesundheit der Bewohner.

Von Katja Gerland, Altomünster

Seit drei Jahren lebt Barbara Wallau, 67, nun schon im "SeniorenWohnen" in Altomünster. In den vergangenen Wintern waren dort immer wieder Bewohner von der Grippe geplagt. Doch in diesem Jahr, erzählt Wallau, sei das anders. Erst sei es ihr gar nicht aufgefallen, schließlich überwog die Angst vor dem Coronavirus, doch mittlerweile sei ihr klar: Grippesymptome habe in diesem Jahr kein einziger ihrer Stationsnachbarn gezeigt. Und damit ist das Seniorenwohnheim in Altomünster kein Einzelfall: Die Grippewelle ist im gesamten Landkreis in diesem Winter mild ausgefallen.

"Die Grippewelle fordert bei uns oftmals mehrere Tote", so Susanne Reichl, Geschäftsführerin der Tagespflege Villa Sonnenschein. Menschen mit Vorerkrankungen, seien oft zu schwach, um die Krankheit zu überleben. Ein umso erfreulicheres Fazit kann Reichl zur diesjährigen Saison ziehen. In der Villa Sonnenschein hätten weder die Bewohner noch das Pflegepersonal mit dem Influenzavirus zu kämpfen gehabt. "Gar nichts war dieses Jahr", freut sich Reichl. Auch Sigrun Wedler, Sprecherin des Franziskuswerks Schönbrunn, berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Die Bewohner der Schönbrunner Wohngemeinschaften für Menschen mit Behinderung blieben dieses Jahr ebenfalls von der Grippe verschont.

Was die Einrichtungen im Landkreis einstimmig schildern, lässt sich auch darüber hinaus beobachten. Bundesweit zirkulierten die Influenzaviren in diesem Jahr "auf einem extrem niedrigen Niveau", so die Arbeitsgemeinschaft Influenza des Robert-Koch-Instituts (RKI) in ihrem aktuellen Wochenbericht. Bislang registrierte das RKI lediglich 564 Grippeerkrankungen. Zum Vergleich: Über 186 000 Influenzafälle waren es bis zum Mai 2020. Der Landkreis Dachau bildet hier keine Ausnahme. Zwar könne laut einer Sprecherin des Landratsamts keine genaue Angabe zu der Zahl der Grippefälle gegeben werden, den-noch gelte auch für Landkreis, dass die Grippewelle in diesem Jahr ausgeblieben ist.

Laut RKI-Chef Lothar Wieler ist das kein Zufall. Er macht dafür bereits im Februar die pandemiebedingten Hygienemaßnahmen verantwortlich. "Kontaktreduktion, das Abstand halten, das Maske tragen, die Händehygiene und das Lüften verhindern eben auch, dass wir uns mit anderen Erregern anstecken", so Wieler bei einer Pressekonferenz des RKI. In den Pflegeeinrichtungen des Landkreises ist man sich ebenfalls sicher, dass die Hygienemaßnahmen ihren Teil zu den wenigen Krankheitsfällen unter den Bewohnern beigetragen haben. "Wir haben die AHA-Regeln immer konsequent eingehalten, das zahlt sich jetzt eben aus", erklärt Wedler.

Hinzu kommt, dass die Kontakte der Bewohner besonders zu Beginn der Pandemie und in den Herbst- und Wintermonaten stark eingeschränkt waren. Um die Gepflegten vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen, wurde das Essen in Altomünster anfänglich aufs Zimmer gebracht. Mittlerweile können sie wieder außerhalb ihres Zimmers, aber lediglich "in Zweierbesetzung an einem Tisch" speisen, erzählt Heimleiterin Astrid Ziller. Auch Besuche von Angehörigen waren in den Einrichtungen seit Beginn der Pandemie nur mit Einschränkungen möglich. Das sei zwar eine schwierige Zeit für die Bewohner, im Endeffekt lohne sich die Vorsicht aber nicht nur im Hinblick auf das Coronavirus, sondern auch auf andere Krankheiten, so Wedler vom Franziskuswerk.

Die diesjährige Grippewelle konnte mit Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen somit gut umgangen werden. Für Susanne Reichl ist das ein eindeutiges Zeichen, zumindest das Tragen von Masken im Umgang mit den Bewohnern auch in den folgenden Grippesaisons beizubehalten. Sobald der Herbst losgeht, erzählt Reichl, würden sie und ihre Mitarbeiter bei der Arbeit wieder einen Mund-Nasen-Schutz aufziehen, "und zwar ganz unabhängig vom Verlauf der Pandemie". Die positive Erfahrung dieses Jahres habe schlichtweg gezeigt, dass das auch in den nächsten Grippezeiten sinnvoll sei, so Reichl.

In anderen Einrichtungen steht man dieser Idee skeptischer gegenüber. "Das ist ein ganz schwieriges Thema", findet Ziller. Auch sie sehe den positiven Effekt der Hygienemaßnahmen; für die Mitarbeiter der Einrichtungen sei es über die letzten Monate jedoch eine Belastung gewesen, über die gesamte Arbeitszeit hinweg eine FFP2-Maske tragen zu müssen. Schwerhörige Bewohner seien zudem darauf angewiesen, die Lippen der Pflegenden zu lesen. Und auch der soziale Aspekt, der durch die Masken abhanden kommt, macht Ziller Sorgen. "Man sieht den Leuten gar nicht mehr ins Gesicht, das ist für die Bewohner nicht einfach."

Im Franziskuswerk Schönbrunn will man sich noch nicht festlegen. Doch das ständige Tragen des Mund-Nasen-Schutzes hat laut Wedler in den vergangenen Monaten ein Problem dargestellt: Viele Bewohner mit einer geistigen Behinderung müssten die Mimik der Pflegenden und Assistenten erkennen, um sich ausreichend verständigen zu können, so Wedler. Den Gesichtsausdruck und die Lippenbewegungen des Personals auch nach der Pandemie weiterhin zu verdecken, stelle sie sich deshalb schwierig vor.

Doch wie sieht es auf der Bewohnerseite aus? "Ich würde mich sicherer fühlen", sagt Barbara Wallau. Allerdings ist sich die 67-Jährige auch darüber im Klaren, dass eine harte Zeit hinter den Mitarbeitern und den Bewohnern der Einrichtung liegen. Ob sie dem Personal auch weiterhin die Masken zumuten will, kann sie deshalb nicht eindeutig beantworten. Eines aber weiß sie mit Sicherheit: "Ich bin froh, dass nach den letzten Monaten nun ein wenig mehr Kontakt mit den Bewohnern möglich ist."

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