Machtmissbrauch in der Kulturbranche:Göttin der Gerechtigkeit

Machtmissbrauch in der Kulturbranche: Eva Hubert, geschäftsführende Vorständin von Themis, der Beratungsstelle gegen sexuelle Belästigung in der Bühnen-, Fernseh- und Filmbranche.

Eva Hubert, geschäftsführende Vorständin von Themis, der Beratungsstelle gegen sexuelle Belästigung in der Bühnen-, Fernseh- und Filmbranche.

(Foto: Bina Engel)

Die Existenz von Themis, der Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Film-, Theater- und Fernsehbranche, ist für drei Jahre gesichert.

Von Susan Vahabzadeh

Als Hollywood vom Weinstein-Skandal erschüttert wurde, erschien das alles zunächst einmal sehr weit weg. Bald aber gab es Vorwürfe gegen Dieter Wedel, die immer noch die Münchner Staatsanwaltschaft beschäftigen, und es wurde schnell klar: Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe gibt es auch an deutschen Sets und Bühnen. Seither sind eine ganze Reihe von Fällen bekannt geworden - aber einen Strukturwandel löst eine Umbesetzung in einer Intendanz ja nicht aus. Dafür hatten die Gewerkschaften und Verbände aber durchaus sehr schnell eine Idee - eine Vertrauensstelle, die Betroffene berät und ihnen hilft, sich zur Wehr zu setzen. Sie wurde Themis getauft, nach der Titanin aus der griechischen Mythologie, die für Recht und Anstand zuständig war.

Am Donnerstag haben zwei Vorstandsmitglieder des Vereins Themis, Eva Hubert und Horst Brendel, bei einer Veranstaltung der Deutschen Akademie für Fernsehen erste Bilanz gezogen. Finanziert werden die juristische und psychologische Beratung aus einem Topf, in den eine BKM-Förderung und Beiträge von Sendern und Verbänden, von der Schauspielgewerkschaft bis ProQuote Film, fließen. Auch Netflix und Amazon beteiligen sich. Es gibt eine Zusage der BKM-Förderung für die nächsten drei Jahre. Demnächst wird eine zweite Juristin eingestellt, der Vorstand hofft, auch eine zweite Psychologen-Stelle einrichten zu können. 2020 wurden 177 Fälle angenommen, die 404 Beratungen erforderten. Von Anfang dieses Jahres bis April waren es, der Pandemie zum Trotz, schon 88 Fälle und 236 Beratungen.

Ein Wunder ist der Zulauf nicht, denn ob am Theater oder in der Film- und Fernsehwelt: Die meisten arbeiten freiberuflich, in kurzen Arbeitsverhältnissen - um sie kümmert sich keine Personalabteilung. Das Aufkommen ist so hoch, dass der Vorstand einstweilen keine Möglichkeit sieht, weiteren BKM-Wünschen nachzukommen: die Beratung auch für weitere Kulturbranchen anzubieten. Da würden auch noch die gesamte Musikbranche und die Verlage dazugehören.

Die Vertrauensstelle ist zwar für mehr als nur für körperliche Übergriffe zuständig, denn sexuelle Belästigung kann auch verbal ablaufen - aber die Grenze zum Mobbing müsste klar gezogen werden, sagt der Jurist Brendel. Es geht auch nicht darum, Fälle aufzuklären - das muss am Ende im Zweifelsfall eine Filmproduktion oder ein Theater selbst tun. Die Vertrauensstelle konzentriert sich auf die Bedürfnisse ihrer Ratsuchenden und gibt selbst keinerlei Informationen weiter. Nicht einmal der Vorstand weiß, über welche Sender oder Firmen Beschwerden vorliegen. Im Gegensatz zu einer innerbetrieblichen Beschwerdestelle steht Themis nicht unter Handlungszwang - am Anfang steht meist, erzählen die Vorstände, eine Einordnung, weil die Betroffenen gar nicht so recht wissen, wie sie mit den Vorfällen umgehen sollen. Die dunkle Seite ist, sagt Brendel, dass es eben auch viele Rückzieher gibt. Schauspielerinnen beispielsweise, die sich gegen eine gerechtfertigte Beschwerde entscheiden, damit sie nicht als zickig gelten und danach nicht mehr besetzt werden. Der tiefgreifende Strukturwandel lässt also noch auf sich warten. Andererseits: Themis bietet jetzt auch Webinare zur Prävention an, und es gab gleich zu Beginn zweihundert Interessenten. Das lässt hoffen.

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