Olympische Spiele in Tokio:Treffen der mutierten Virusstämme aus aller Welt

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Der Widerstand lässt nicht nach: Demonstranten in Japan fordern die Absage der Olympischen Spiele. (Foto: Stanislav Kogiku/ZUMA Wire/Imago)

In Tokio wird der Corona-Notstand bis zum 20. Juni verlängert, japanische Ärzte warnen vor Risiken, die Bevölkerung ist mehrheitlich gegen Olympia - doch die Mahnungen verpuffen, die Spiele scheinen zu kommen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Aufmerksamkeit zu erregen in Tokio, war der Plan. Aber dass ihre Petition gegen den olympischen Public-Viewing-Platz im Yoyogi-Park gleich so einschlagen würde, hätte Rochelle Kopp nicht gedacht. Strammen Schrittes spaziert die 56 Jahre alte Unternehmensberaterin durch die weitläufige Grünanlage im Bezirk Shibuya, an den Bäumen vorbei, die sie vor den Sägen der Platz-Anleger bewahren will. Die Sonne scheint. Sie wirkt wie von einer Welle aus Zustimmung getragen. Zehntausende von Unterschriften hat sie schon zusammen, Fernsehen und Radio haben sie interviewt.

Sie hofft immer, dass die Leute in Tokio dankbar sind, wenn sie als Wahl-Japanerin mit amerikanischer Zivilcourage das Schweigen der Kollektivgesellschaft bricht. Aber diesmal ist der Rückenwind besonders stark. Wegen der Bäume? Kopp macht sich nichts vor. Es geht um die Sommerspiele, die trotz Coronavirus in knapp zwei Monaten stattfinden sollen. "Die Menschen haben es satt", sagt Kopp. Ihr Kampf gegen das Spiele-Kino ist ein Symbol für die Ablehnung des olympischen Pandemie-Theaters.

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Der Streit um Olympia in Tokio hört nicht auf. In dieser Woche war er sogar besonders turbulent. Die Gegner haben gute Argumente, denn auch wenn im reichen Westen allmählich die Impfprogramme greifen - anderswo ist die Krise lebendig. Auch in Japan.

Erst 2,4 Prozent der Einwohner von Japan sind vollständig geimpft

Am Freitag hat Premierminister Yoshihide Suga den Corona-Notstand für Tokio und acht weitere Präfekturen bis zum 20. Juni verlängert. Die Selbstverteidigungskräfte haben zwar Massen-Impfzentren in Tokio und Osaka eröffnet - trotzdem sind erst 2,4 Prozent der 126 Millionen Menschen im Inselstaat vollständig immunisiert. Und Seiko Hashimoto, die Präsidentin des Organisationskomitees Tocog, hat mittlerweile gesagt, so schnell könne man nicht entscheiden, ob zumindest einheimische Zuschauer zu den Spielen dürften. Man brauche mehr Wissen. "Die Entscheidung sollte so schnell wie möglich fallen", sagte Hashimoto. Dass die Spiele-Eröffnung für den 23. Juli vorgesehen ist, weiß sie.

Es gibt neue Mahnungen. Am Donnerstag rief die japanische Ärzte-Union zur Absage auf, weil ein Fest mit Zehntausenden Aktiven, Funktionären und Medienschaffenden aus aller Welt zu riskant sei. Präsident Naoto Ueyama warnte: "Alle verschiedenen Arten von mutierten Stämmen des Virus, die an verschiedenen Orten existieren, werden hier in Tokio konzentriert." Die Zeitung Asahi, ein Spiele-Sponsor, titelte am Mittwoch: "Premierminister Suga, bitte sagen Sie die Spiele im Sommer ab." Zuvor hatte die US-Regierung eine Reisewarnung für Japan ausgegeben. Und dass die Mehrheit im Land dagegen ist, hat in diesem Jahr bisher jede Umfrage gezeigt.

"Man hat das Gefühl, dass es Mächte gibt, die das gar nicht stoppen wollen"

"Was ich ja interessant finde", sagt Rochelle Kopp im Yoyogi Park, "so viele in den sozialen Medien und von meinen Freunden sagen: So muss sich das im Zweiten Weltkrieg angefühlt haben, als die Regierung verrückte Sachen machte, von denen alle wussten, dass sie keinen Sinn ergeben, aber man keine Macht hatte, sie aufzuhalten." Sie mag den Vergleich mit dem kriegstreibenden Kaiserreich nicht. Bezeichnend findet sie ihn trotzdem: "Man hat das Gefühl, die Regierung ist sehr weit weg von den Menschen."

Aber die Mahnungen verpuffen, die Spiele scheinen zu kommen. Die letzten Aufbauarbeiten laufen. Verbände und Staaten zeigen keine Bedenken. Nach der Reisewarnung erklärte die US-Regierung, an der amerikanischen Olympia-Teilnahme ändere sich nichts. Nach dem kritischen Leitartikel stellte Asahis Geschäftsebene klar: "Wir setzen unsere Aktivitäten als offizieller Partner fort." Suga ist unbeirrt. Und eine A-Prominente, die kürzlich "nicht wirklich sicher" war wegen Olympia, hat sich vorerst still gelegt. Japans Tennis-Idol Naomi Osaka gibt bei den French Open keine Pressekonferenzen.

Die kritischen Geister geben trotzdem ihr Bestes. Rochelle Kopp läuft durch den Yoyogi-Park und beschreibt die Lage unjapanisch direkt. "Man hat das Gefühl, sie können das nicht mehr stoppen", sagt sie, "und dass es Mächte gibt, die das auch gar nicht stoppen wollen, und dass das die Mächte sind, die Geld aus dieser Konstruktion ziehen." Sie weiß jetzt, dass viele denken wie sie. Am Freitagabend stand ihre Petition bei mehr als 103 000 Unterschriften.

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