Tschechien:Angezählt

Czech Prime Minister Andrej Babis speaks during the Lower House session on no-confidence vote in government at the Cham

"Ich leite Agrofert nicht", Premier Andrej Babiš am Donnerstag im tschechischen Parlament.

(Foto: Michal Krumphanzl/imago)

Wegen seines Interessenskonflikts muss sich Premier Babiš erneut einem Misstrauensvotum stellen. Zudem ermittelt die neu geschaffene EU-Staatsanwaltschaft.

Von Viktoria Großmann, München

Zum dritten Mal musste sich die tschechische Regierung unter der Führung von Premier Andrej Babiš am Donnerstag einem Misstrauensvotum stellen. Der Grund war sein von der EU festgestellter Interessenkonflikt. Weil der Unternehmensgründer aus Sicht der Kommission noch immer entscheidenden Einfluss auf die Agrofert Holding ausübt, dürfen die Firmen keine EU-Subventionen mehr erhalten - solange Babiš als Premier gleichzeitig über deren Verteilung mitentscheidet. Nun wird auch die zum 1. Juni neu geschaffene europäische Staatsanwaltschaft in diesem Fall ermitteln.

"Das Kabinett hat in vielen Dingen versagt, praktisch in allen", sagte der Vorsitzende der konservativen Oppositionspartei ODS der tschechischen Presseagentur ČTK. Von einer "Regierung des Chaos und der enttäuschten Hoffnungen", sprach der Vorsitzende der liberalen Partei STAN, Vít Rakušan, im Parlament. Vor einer "Agrofertisierung" des Staates warnte der Vorsitzende der in Umfragen führenden Piratenpartei Ivan Bartoš. Die schlechte Bewältigung der Pandemie ist einer der Hauptkritikpunkte; mit mehr als 30 000 Toten hat Tschechien gerechnet auf die Bevölkerungszahl dreimal so viele Covid-Opfer zu beklagen wie Deutschland.

"Stoppt Babiš", lautete die schlichte Botschaft der Demonstranten, die am Dienstagabend durch Prag zogen. Ein Schild zeigte Babiš als Vergewaltiger der Demokratie. "Wir weichen nicht zurück", ist das Motto der Organisation "Eine Million Augenblicke für die Demokratie". Sie hat seit Ende April erneut Tausende im ganzen Land auf die Straße gebracht, weitere Großdemos sind geplant. Eine weitere Regierungszeit der Babiš-Partei Ano nach der Wahl im Oktober möchten die Aktivisten verhindern.

Demonstration staged by Million Moments for Democracy NGO entitled March for Just government leading to Czech Justice M

Sie wollen den "Zerfall der Demokratie" aufhalten: Demonstranten in Prag.

(Foto: Michal Kamaryt/imago)

Schon am Vormittag jedoch wurde klar, dass Babiš und seine Regierung auch dieses Misstrauensvotum überstehen würden. Die kommunistische Partei, welche die Minderheitsregierung toleriert, verließ geschlossen den Saal, damit reichten die Stimmen nicht aus.

Doch die Regierung ist angezählt. In der aktuellen Umfrage liegt die Ano mit 23 Prozent auf dem zweiten Platz, weiterhin führt der Zusammenschluss der liberalen Piratenpartei mit der Partei der Bürgermeister und Unabhängigen (STAN). Premier Andrej Babiš bezeichnete die Abstimmung als "brutale Wahlkampagne". An die Piratenpartei gerichtet sagte er im Parlament: "Wir in Tschechien wollen keinen multikulturellen ökofanatischen Piratenstaat. Wir wollen unser Land nicht teilen, wir wollen nicht, dass das Europäische Parlament unser Land regiert." Den Bericht der Kommission erkennt Babiš nicht an. "Niemand aus dem Ausland wird uns hier hineinreden", sagte er nun.

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