SZ-Serie: München erlesen:Vom Neid der braven Gattinnen

SZ-Serie: München erlesen: Schriftstellerin, Salondame und Kämpferin für die Rechte der Frauen: Carry Brachvogel.

Schriftstellerin, Salondame und Kämpferin für die Rechte der Frauen: Carry Brachvogel.

(Foto: Münchner Stadtmuseum)

Carry Brachvogel seziert satirisch die bürgerliche Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts in "Der Kampf um den Mann"

Von Florian Welle

In der Wilhelm-, später in der Ainmiller- und von 1910 an in der Herzogstraße führte Carry Brachvogel jahrzehntelang einen stadtbekannten Salon. "Das eigentlich intime Künstlermünchen lernt man bei den sogenannten ,Tees' kennen", schrieb Rilke und fuhr fort, "auf den Referentensitzen kann man immer (...) Frau Carry Brachvogel entdecken, deren geistvolle Bosheit und deren treffenden Witz man an ihren Teeabenden genießen muss." Geistreich, spitzzüngig, voll Esprit sind auch Brachvogels Bücher, Novellen und Frauen-Biografien, seitdem sie mit "Alltagsmenschen" beim S. Fischer Verlag 1895 ihr viel beachtetes Romandebüt vorlegte.

Damals war die als Karoline Hellmann in eine wohlhabende jüdische Familie hineingeborene Münchnerin 31 Jahre alt, nach dem Tod ihres Mannes bei einem Badeunfall seit drei Jahren Witwe und alleinerziehende Mutter zweier Kinder. In "Alltagsmenschen" hatte sie bereits ihr Lebensthema gefunden, das sie 15 Jahre später in "Der Kampf um den Mann", einem ihrer wichtigsten München-Romane, satirisch noch schärfer ausbuchstabierte: die von der bürgerlichen Gesellschaft erzwungene Rolle der Frau als brave Gattin an der Seite eines respektablen Mannes.

"Der Kampf um den Mann" handelt von der verwitweten Direktorengattin Frau von Merk und ihren Töchtern Olga, Tilde und Franzi. Das "Herzenskind" Olga ist mit einem Rittmeister verheiratet und sieht in der Ehe ihren Lebenszweck erfüllt. Nun gilt es auch die anderen zu vermählen: die schöne, romantisch veranlagte Tilde und das weniger hübsche und eigensinnige Nesthäkchen Franzi. Sie sollen "eine gute Partie" machen. Dabei liegt Mutter Merk weniger das Lebensglück ihrer Töchter am Herzen als der Anspruch, etwas herzumachen. "Die silbernen Glocken des Neides" sollen erklingen - die hübsche Phrase durchzieht als Leitmotiv den Roman.

Den Frauen stehen Männer gegenüber, von denen auch jeder eher Typus als eigenständiger Charakter ist. Der Rittmeister kommt als Kraftkerl daher, dem sein Pferd "Bubi" beim Rennen in Riem zum Verhängnis wird - und Olga zur Witwe macht. Tildes Verlobter, der junge Russe Saranoff aus reichem Hause, entpuppt sich als abgebrannter Spieler. Nur Franzi scheint mit Doktor Benedikt aus Jena ihren Traummann gefunden zu haben. Nach der Hochzeit jedoch muss sie erkennen, dass ihr Mann sie sich als "Paravent" für seine Affäre mit Marie Cholevius zugelegt hat. Von Brachvogel als Parodie einer femme fatale erschaffen, geistert diese als Morphinistin mit "Hexleinlächeln" durch das Buch. Statt dass die silbernen Glocken des Neides ertönen, sinkt die Familie nach all den "Schiffbrüchen" also stetig "im Wert", wird über sie geklatscht und getratscht.

Brachvogels Sittengemälde mag schablonenhaft wirken, ist jedoch eine treffende Sozialstudie Münchens um die Jahrhundertwende. Frau von Merk bewohnt eine Fünfzimmerwohnung "in einer der neuen Straßen" Schwabings. Olga hilft es nichts, dass sie einst "von Lenbach" gemalt wurde: Als Witwe muss sie aus der teuren Wohnung in der Brienner Straße aus- und wieder bei ihrer Mutter einziehen. Der Lebemann Saranoff wiederum residiert in einer "eleganten Wohnung in der Prinzregentenstraße", sein weibliches Pendant Marie Cholevius hat sich in einer Pension in der Maximilianstraße einquartiert. Der hemdsärmelige Kunstmaler Anton Rothauer, dem spät im Roman eine zentrale Rolle zufällt, hat sein Atelier "weit draußen in einer der stillen Straßen des Westens". Sonntagsausflüge gehen nach Tutzing, Eis isst "die müßige Damenwelt" im Hofgarten, Tête-à-Têtes finden beim Aumeister statt.

Es kommen und gehen die Jahreszeiten: "Die Stadt, im Sommer so grün, heiter und fröhlicher Menschen voll, sah grämlich und trostlos aus, wie eine Frau, die ihren Herbst nicht ertragen kann." Was bleibt, ist der Kampf um den Mann. Bis Franzi ausschert und ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Nach ihrer erkämpften Scheidung geht sie nach Wien und Paris, um Geld zu verdienen, unabhängig zu sein. Die Mutter ist empört: "Das fehlte gerade noch! Meine Tochter für Geld arbeiten!" Ebenso Olga: "Sie darf nicht vergessen, was sie uns und unserm Stand schuldig ist!"

Franzi schlägt einen Weg ein, den Carry Brachvogel nach dem Tod ihres Mannes selbst gegangen ist. Statt sich in eine Versorgungsehe zu flüchten, zog sie es vor, alleine für sich und ihre Kinder zu sorgen. Der Erfolg als Schriftstellerin und Salondame gaben ihr Recht. 1903 trat sie dem "Verein für Fraueninteressen" bei, zehn Jahre später war sie Mitbegründerin des ersten Schriftstellerinnenvereins Münchens. Spätestens da war sie nicht mehr nur eine deutschlandweit anerkannte Autorin, sondern auch eine bekannte Frauenrechtlerin. Im Juli 1942 wurde sie gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Historiker Siegmund Hellmann, in das KZ Theresienstadt deportiert, das sie nur kurz überlebten. In Bogenhausen erinnert seit 2012 die Carry-Brachvogel-Straße an die heute leider viel zu wenig bekannte Schriftstellerin und Vorreiterin der Frauenemanzipation. Ihr Roman mag "Der Kampf um den Mann" heißen. Ihr selbst aber ging es ein Leben lang um den Kampf für die Frau.

Carry Brachvogel: Der Kampf um den Mann. Text der Erstausgabe von 1910, Allitera Verlag, München 2014, 280 Seiten, 16,90 Euro

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