SZ-Serie: Das erste Jahr:Wenn da nicht die Mauer wäre

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Lieber Fahrrad statt Dienstwagen: So kennen die Grafinger ihren Bürgermeister Christian Bauer. Bürgernah gibt er sich auch sonst - sogar seine Handynummer steht auf der Homepage. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

An Bürgermeister Christian Bauer (CSU) haben zurzeit nicht einmal die Grafinger Grünen etwas zu bekritteln. Nur eine Sache ist nicht so gut gelaufen

Von Thorsten Rienth, Grafing

Als an jenem 29. März 2020 im Max-Mannheimer-Gymnasium die 13 Grafinger Stichwahlbezirke ausgezählt sind, verkündet Grafings Wahlleiter Leonhard Kogler eine kleine Sensation: Mit 54 Prozent gewinnt der langjährige Kämmerer Christian Bauer gegen die amtierende Grünen-Bürgermeisterin Angelika Obermayr. Das ist zwar nicht ganz so deutlich wie die etwa 60 Prozent, mit der Obermayr ihrerseits sechs Jahre zuvor die CSU-Kandidatin Susanne Linhart besiegt hatte. Aber deutlich genug, dass auch die Grünen nicht mehr von einer knappen Entscheidung sprechen.

Bauer jedenfalls macht das, was er immer macht, wenn am Abend in der Stadt eine Veranstaltung zu Ende ist: Er setzt sich aufs Radl und fährt nach Hause. Das Bild kennen die Grafinger von ihrem neuen Bürgermeister. Anders als prominentere Kollegen aus dem Ortsverband war Bauer nicht mit einem Bauer-E-Auto im Wahlkampf herumgefahren, das anschließend unauffällig wieder zurückgegeben wurde. Symbolpolitik war Bauers Sache auch schon als Kämmerer nicht.

Auch als sich ein paar Tage später die Parteien für die Verhandlungen um den zweiten und dritten Bürgermeisterposten in Stellung bringen, biegt Bauer unkonventionell ab. Er lädt Johannes Oswald, designierter Grünen-Kandidat fürs erste Stellvertreteramt, zu sich in den Wintergarten ein. Zwischenmenschliche Wellenlänge ist ihm wichtiger als das Kalkül von Parteistrategen. Als sich wiederum Oswald aufs Radl setzt und heimfährt steht fest: Frequenz und Amplitude passen.

Für Bauer steht jedoch erst mal ein internes Kräftemessen an. Eine Selbstverständlichkeit für ihn, dass der zweitgrößten Fraktion im Stadtrat, also den Grünen, auch der erste Stellvertreterposten gebührt. Doch einige aus seiner CSU wollen Oswald verhindern. Er gilt als potenzieller Grünen-Kandidat für die Bürgermeisterwahl 2026.

Obwohl Oswald bei der Wahl zum Zweiten Bürgermeister keinen Gegenkandidaten hat, landen fünf Stimmzettel unausgefüllt in der Wahlurne. Auf zweien steht gar der Name des bisherigen Zweiten Bürgermeisters Josef Rothmoser (CSU) geschrieben, der gar nicht zur Wahl steht. Macht hier eine CSU-Fraktion ihrem Bürgermeister schon bei der ersten Abstimmung das Leben schwer? Zumindest in Bauers erstem Jahr sollte es die einzige derartige Situation bleiben.

Nach der Sommerpause macht Bauer sich das Leben selber schwer. Parteikollege und CSU-Kreisvorsitzender Thomas Huber will im Stadtpark zum Denkmal an 30 Jahre deutscher Einheit vier Einheitsbäume aufstellen. Bauer genehmigt die Sache auf dem Verwaltungsweg. Rechtlich ist das nicht zu beanstanden. Der Stadtrat allerdings ist brüskiert. Wer, wenn nicht er, sollte entscheiden, ob, - und wenn ja auf welche Weise - der Stadtpark um ein Denkmal erweitert werden soll?

Von den vier Bäumen redet bald niemand mehr. Eine stilisierte Mauerstele entzündet Ärger. Sie ist als Notlösung aufgestellt - weil die CSU die vergoldete Plakette der Baum-Spender nicht in dieselben nageln wollte. Nachts fahren Mitglieder der Grünen Jugend an der Mauer vorbei: "Herr Bauer, wir sind sauer über ihre Mauer", sprayen sie, schwarz auf grün, auf den Beton. Jetzt ist der Bürgermeister brüskiert.

Mit stoischer Dickköpfigkeit versucht Bauer den selbst unter vielen CSUlern als unvermeidbar geltenden Mauer-Rückbau auszusitzen.

Der Bürgermeister riskiert sogar, dass sich die Rechtsaufsicht im Landratsamt mit der Sache beschäftigt - weil er sich weigert, einen form- und fristgerecht eingereichten Abriss-Antrag einer Stadtratsmehrheit überhaupt auf die Tagesordnung zu setzen. Am Ende ist es ein informeller Bürger-Arbeitskreis, der einer sich über ein halbes Jahr ziehenden Posse ein Ende setzt. Zurück bleibt ein Stadtrat, den die Sorge umtreibt, dass Bauers kumpelhafter Umgang womöglich schon dann endet, wenn es um ein Denkmal seines Parteifreunds Huber geht.

Wie eine Nebelkerze verdeckt die Mauer-Posse den Blick darauf, dass Bauer seine Verwaltung durchaus erfolgreich durch Pandemie-Zeiten manövriert. Durch den gesamten Haushalt lässt er die Budgets kürzen oder auf der Zeitachse strecken. Selbst als unangreifbar geltende Projekte sind davon betroffen. Zuerst bekommen etwa die Kinderzentrumsplanungen in der Forellenstraße eine Tektur. Als das nicht reicht, traut sich Bauer gar, das gesamte Vorhaben zur Disposition zu stellen. "Vielleicht müssen wir uns ganz neue Gedanken machen." Das ist mutig. Das ist es auch, dass Bauer seine Handynummer auf der Rathaus-Homepage veröffentlicht und daneben schreibt: "Gerne bin ich für Sie telefonisch erreichbar."

Das Rathaus bekommt Home-Office-Abläufe, für den Parteienverkehr gibt's ein Terminvergabesystem, für Senioren einen Fahrservice zu den Impfterminen. Der TSV Grafing bekommt auf dem Sportgelände sogar vorübergehend ein eigenes Corona-Testzelt.

Auch politisch läuft es für Bauer: Die Erweiterung der Freibad-Liegefläche geht durch, das Zamworking-Projekt - immerhin das erste Co-Working im Landkreis - ebenfalls. Bauers Agenda zur Minimalsanierung der Stadthalle erhält im Stadtrat über die Fraktionsgrenzen hinweg eine breite Mehrheit.

Zugute kommt Bauer bei alldem, dass er im Stadtrat kaum inhaltliche Kritik fürchten muss. Seit langjährige Mitglieder wie Angelika Obermayr oder Wolfgang Huber dort nicht mehr sitzen, ist die Grünen-Opposition mehr oder weniger abgemeldet. In Bauers erstem Bürgermeisterjahr blieb von der mit Abstand zweitgrößten Fraktion gerade einmal die Waldkindergarten-Initiative (Roswitha Singer) und die Mauer-Abriss-Initiative (Keno Maierhofer) in Erinnerung. Selbst innerhalb der CSU sind manche überrascht darüber, wie einfach die Grünen es Bauer gerade machen.

© SZ vom 16.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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