Maskenball:Arena im Rückspiegel

18 Uhr, Anpfiff in Sankt Petersburg, das war der Plan für die Anreise aus Selenogorsk zum Stadion. Bis der Taxifahrer sagt: "Ich kenne mich hier nicht aus."

Von Sebastian Fischer und - Glosse

Man hätte schon ahnen können, wie alles schiefgehen würde, als Abdiraimow plötzlich rückwärts fuhr. Abdiraimow ist ein Taxifahrer in Russland, auf der App "Yandex", die Reisenden aus dem Ausland empfohlen wird, ist er mit 4,91 Sternen bewertet. Er trägt während der Fahrt im Skoda Octavia, Economy-Klasse, einen Anzug aus Leinen, das erkennt man schon auf seinem Profilfoto. Es sieht sehr vertrauenswürdig aus.

Die Fahrt aus Selenogorsk, wo man während dieser EM den Finnen beim Training zuschauen kann, eine Stunde zurück nach Sankt Petersburg, wo am Abend die Polen gegen die Slowaken spielten, war Abdiraimow unbedingt zuzutrauen. Allerdings begann die Reise in Selenogorsk, wo die Bahnen unregelmäßig fahren (auf jeden Fall ein Taxi nehmen, rieten die freundlichen Finnen), mit einer Fahrt in eine Sackgasse. Rückwärtsgang, weiter geht's, kann ja mal passieren ...

Die Gazprom-Arena im Nordosten von Sankt Petersburg liegt in einer für Taxis verbotenen Zone, warum auch immer, aber das war schon in der App zu sehen. Deshalb wählten wir - ein fließend russisch sprechender Kollege war auch dabei - einen dem Stadion möglichst nahen Zielort, wie uns nahegelegt wurde. "Wir müssen zur Gazprom-Arena, zum Fußballstadion", sagten wir zur Sicherheit beim Einsteigen. Abdiraimow nickte.

Die Fahrt führte über die Mautstraße, an der Rush Hour vorbei, damit es nicht zu knapp werden würde. Die voraussichtliche Ankunftszeit lag gut eine Stunde vor Anpfiff. Der Skoda Octavia, Economy-Klasse, fuhr pünktlich auf die Gazprom-Arena zu, sie war in Sichtweite. Dann fuhr er an der Gazprom-Arena vorbei.

Irgendwann bringt einen der Fahrer doch zum Ziel - aber nicht zum gewünschten

In London müssen Taxifahrer für ihre Lizenz einen Test bestehen, für den sie die Landkarte der Stadt auswendig lernen müssen. In Berlin haben sie immerhin oft die Straßen und ihre Kneipen intensiver studiert als die Bücher während ihres Germanistik-Bachelors. In Sankt Petersburg sagte Abdiraimow, vom dem wir dachten, er werde die richtige Zufahrtsstraße schon kennen, während die Gazprom-Arena im Rückspiegel kleiner wurde: "Ich kenne mich hier nicht aus."

Wir verloren noch nicht die Hoffnung, als er vermutete, es gebe nun leider erst viele Kilometer später die nächste Abfahrt. Wir verloren sie allerdings, als er uns aufforderte, einen neuen, passenderen, der Arena näheren Ankunftsort in die App einzugeben. Denn, wie gesagt, das ging ja nicht. Abdiraimow fuhr derweil weiter geradeaus. Als wir ihm sehr deutlich sagten, so könne es jetzt nicht weitergehen, stellte er sich auf den Seitenstreifen.

Als er dort wenig später zum zweiten Mal parkte, hatte sich die Lage dramatisch verschlechtert. Wir waren inzwischen im Süden Sankt-Petersburgs angelangt. Und es war noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. Wir sagten, er möge uns bei der nächsten Metrostation rauslassen. Wo die sich befand, das wusste er auch nicht.

Er ließ uns schließlich an einer Bahn raus, die uns gerade so zum Anstoß zu einem Restaurant bringen sollte, in dem das Spiel im Fernseher lief - an dieser Stelle die Bitte um Verzeihung, liebe Leserinnen und Leser. Nachdem wir ihn für seine Dienste entlohnt hatten, fuhr Abdiraimow in seinem weißen Skoda Octavia davon, keine Falte in seinem Anzug, um den nächsten Fahrgast abzuholen.

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