Klimaschutz:Bottroper Mission

Lesezeit: 2 min

Als "Klimastadt der Zukunft" hatte sich Bottrop schon 2010 ausgerufen. Im Bild: Abendstimmung über den Faultürmen des Emscherklärwerks. (Foto: Jochen Tack/imago)

Die Stadt im Ruhrgebiet wollte ihren Ausstoß an Treibhausgasen drastisch zu reduzieren. Heute spricht der Oberbürgermeister von einer "wunderbaren Erfolgsgeschichte des klugen Wandels".

Von Jan Bielicki

Es war das letzte Bergwerk im Ruhrrevier, ja sogar in Deutschland, in dem Kumpel noch Steinkohle förderten. Als die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop vor knapp drei Jahren ihren Betrieb einstellte, war es das Ende eine Ära. Doch für Bottrop sollte eine neue da schon längst begonnen haben. Als "Klimastadt der Zukunft" hatte sich die ehemalige Kohlekommune im Norden des Ruhrgebiets bereits 2010 ausgerufen - mit dem ehrgeizigen Ziel, ihren Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid innerhalb von zehn Jahren zu halbieren.

Nun haben die Macher des bundesweit einzigartigen Modellprojekts Bilanz gezogen und das Ergebnis verkündet: Mission erfüllt.

Um genau 50,09 Prozent habe man nach eigenen Berechnungen die CO₂-Emissionen im Projektgebiet gesenkt, erklärte Burkhard Drescher, Geschäftsführer der zuständigen Projektgesellschaft Innovation City, am Dienstag. Bliesen die Bottroper Bürger und Betriebe im Projektgebiet 2009 noch mehr als 340 000 Tonnen Kohlendioxid in den Himmel über der Emscher, waren es diesen Kalkulationen zufolge im vergangenen Jahr nur noch etwa 170 000 Tonnen.

Die vorläufigen Rechnungen der Klimaforscher vom renommierten Wuppertal-Institut kommen auf 47 bis 48,7 Prozent weniger CO₂-Ausstoß. Damit habe sich das Projekt als "erfolgreich" erwiesen, sagte der Institutschef Manfred Fischedick. Oberbürgermeister Bernd Tischler (SPD) sprach von einer "wunderbaren Erfolgsgeschichte des klugen Wandels".

"Ach, wären wir doch alle so weit im Klimaschutz wie Bottrop", lobte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Tatsächlich sind in der gesamten Bundesrepublik die CO₂-Emissionen von 2010 bis 2020 lediglich um 23 Prozent zurückgegangen, das ist nicht einmal die Hälfte des Bottroper Werts. Pro Einwohner wurden demnach 2020 im Bottroper Modellgebiet 2,44 Tonnen CO₂ im Jahr ausgestoßen, bundesweit waren es 6,11 Tonnen.

Nirgendwo in NRW fließt so viel Strom je Einwohner aus Fotovoltaikanlagen

Erreicht wurde das laut Drescher vor allem durch "einen zentralen Hebel", nämlich eine intensive Energieberatung von Bürgern und Betrieben und eine deutlich vereinfachte Vergabe von Fördergeldern.

In der Folge wurden im Projektgebiet, der den urban geprägten Süden der Stadt mit etwa 70 000 Bewohnern umfasste, mehr als jedes dritte der etwa 10 000 Wohnhäuser energetisch saniert, eine Quote, die dreimal so hoch ist wie im Bundesgebiet - und die umso bedeutender ist, da etwa 40 Prozent des ausgestoßenen CO₂ aus Gebäuden stammen. Ebenfalls auf die verstärkte Bürgerberatung führen die Projektmacher zurück, dass in keiner anderen Stadt Nordrhein-Westfalens so viel Strom je Einwohner aus den Fotovoltaikanlagen auf den Dächern der Häuser fließt.

Nicht in den Bottroper Rechnungen enthalten ist freilich der Sektor Verkehr, bundesweit etwa für ein Fünftel des Klimagas-Ausstoßes verantwortlich, aber, so die Begründung der Projektmacher, auf lokaler Ebene nur begrenzt zu beeinflussen. Auch große Bottroper CO₂-Emittenten wie die Kokerei Prosper oder eine überdachte und ganzjährig gekühlte Skipiste, die sich von einer Zechenhalde herunterschlängelt, befinden sich nicht innerhalb der Grenzen des Projektgebiets. Das gilt andererseits aber auch für das Bergwerk Prosper-Haniel, dessen Schließung sich daher nicht positiv auf das Ergebnis des Projekts auswirkte. Die deutlichen CO₂-Einsparungen in der Industrie gehen in erster Linie auf die Sanierung des örtlichen Klärwerks.

In 241 umgesetzte Einzelprojekte flossen demnach 732 Millionen Euro, 222 Millionen davon aus öffentlicher Hand. Projektleiter Drescher, Sozialdemokrat, ehemaliger Oberbürgermeister der Nachbarstadt Oberhausen, Immobilienmanager und immer noch Aufsichtsrat des Wohnungskonzern Vonovia, sieht darin ein "Gegenmodell" zu einer auf Bundesebene "überparteilich" vertretenen Auffassung von Klimaschutz als Belastung. Das Beispiel Bottrop zeige jedoch, dass Klimaschutz im Gegenteil Entlastung auch "im eigenen Portemonnaie der Bürger" bedeutete, sich aber nur "von unten" organisieren lasse. Er hoffe, dass daraus "auch in in Berlin Denkprozesse entstehen", sagte er: "Die können von Bottrop lernen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: