Kurzkritik:Irrlichterndes Glück

Das Münchner Kammerorchester lotet beim Adevantgarde-Festival Grenzen aus

Von Klaus Kalchschmid

Bald wird man im "Schwere Reiter" keine Konzerte mehr erleben können, denn der Neubau daneben ist fast fertig. So war dieses erste Konzert des Münchener Kammerorchesters zum Abschluss des Adevantgarde-Festivals vielleicht eines der letzten an diesem liebgewonnenen, in seiner Schlichtheit akustisch wie atmosphärisch bestechenden Raum. Unter Leitung von Bas Wiegers gab es ausschließlich neue Werke für die Stammbesetzung des Kammerorchesters von bis zu 22 Streichern. Gemäß dem Festival-Motto werden in den fünf konzisen wie intensiven Stücken Grenzen ausgelotet.

Bachs "Wohl mir, dass ich Jesum habe" irrlichtert, kaum je fassbar, durch Markus Lehmann-Horns "Wohl...mir...dass...ICH...?", während Jakob Stillmark in "Anima mea... Kreise ziehend mit Heinrich Schütz" (2017) für Cello (Bridget MacRae) und Streicher das zugrunde liegende Madrigal am Ende wie aus einem Seitenschiff von St. Markus in Venedig hereinwehen lässt: was für ein Glücksmoment! Denn davor und danach macht die bunte, faszinierend wechselnde Geräusch-Kulisse der Dom-Besucher konzentriertes Hören unmöglich.

Beklemmend ist Markus Muenchs "Lakehurst N.Y.5-6-1937"! In acht Minuten wird die 60-Sekunden-Reportage beim Absturz der "Hindenburg" digital verfremdet, in die Zeitlupe gedehnt und mit vielfältigen Streicher-Kommentaren versetzt! Nicht minder beunruhigend, aber in seiner kraftvoll vitalen Attacke Energie und Hoffnung spendend: Samir Odeh-Tamimis 2008 vom MKO uraufgeführter "Aufbruch". Markus Schmitts "hidden path" von 1998 für Cello (Mikayel Hakhnazaryan) erklingt erstmals in der revidierten Fassung von 2021. Weniger hört man die "verschlungenen Pfade" des Titels, als einen schillernden Wechsel von Haupt- und Nebenwegen.

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