Geldpolitik:Die Zinsen bleiben unten

December 1, 2020, Washington, District of Columbia, USA: Jerome H. Powell, Chair of the Board of Governors of the Federa

Fed-Chef Jerome Powell hatte in den vergangenen Wochen wiederholt betont, dass er die jüngsten Preisanstiege für ein vorübergehendes Phänomen hält.

(Foto: Al Drago/Imago)

Die höchste Inflationsrate seit der Finanzkrise, eine neue Strategie und Vorwürfe aus der Politik: Dennoch entscheidet die US-Notenbank, bis auf Weiteres bei ihrem Kurs der lockeren Geldpolitik zu bleiben.

Von Claus Hulverscheidt

Alle drei Monate veröffentlicht der geldpolitische Ausschuss der US-Notenbank Fed ein drollig ausschauendes Punktediagramm, das Bürgern, Firmen und Finanzmärkten einen Eindruck vermitteln soll, wie sich die Leitzinsen auf mittlere Sicht entwickeln könnten. Jeder Punkt steht dabei für die Prognose eines der derzeit 18 Ausschuss-Mitglieder, wobei sich zuletzt meist das Bild eines frisch gefällten Baums ergab: Zur Überwindung der Corona-Rezession, so die Meinung fast aller Notenbanker, werden die Leitsätze noch lange Zeit bei null bleiben müssen.

Doch das war vor der Veröffentlichung der jüngsten Inflationsdaten, die die Finanzwelt und den Washingtoner Politikbetrieb ordentlich aufgerüttelt haben: Satte fünf Prozent betrug die Teuerung zuletzt, die sogenannte Kernrate, bei der die stark schwankenden Preise für Lebensmittel und Energie herausgerechnet werden, legte mit 3,8 Prozent sogar so heftig zu wie seit 1992 nicht mehr. Nicht wenige Experten glauben seither, dass sich der Punkte-Baumstamm schon bald aufrichten und die Form einer Tanne annehmen könnte. Oder anders gesagt: Die erste Leitzinserhöhung seit Anfang 2019 steht womöglich früher ins Haus als bisher gedacht.

Am Mittwochabend erteilte Fed-Chef Jerome Powell solchen Spekulationen allerdings erst einmal eine Absage. Um die Kreditvergabe der Banken zu befeuern, werde die Notenbank ihre Leitsätze bei null lassen und ihre Käufe von Wertpapieren fortsetzen, bis sich der Arbeitsmarkt von den Rückschlägen der Krise erholt habe, sagte er nach einer Routinesitzung des geldpolitischen Ausschusses. Er verwies darauf, dass die Erwerbslosenquote noch deutlich über jenen Werten liege, die vor Beginn der Pandemie üblich gewesen seien.

Immerhin räumte Powell aber ein, dass die Inflationsrate derzeit höher sei, als er und seine Kollegen dies erwartet hätten. Entsprechend ähnelt zumindest eins der drei Punktediagramme, die die Fed am Mittwoch vorlegte, tatsächlich wieder einem Baum - allerdings nur das für 2023: Immerhin 13 der 18 Ausschussmitglieder erwarten, dass es bis dahin mindestens eine Zinserhöhung gegeben haben wird, einige rechnen gar mit einer ganzen Serie von Schritten. Powell betonte allerdings, dies sei keine Ankündigung, sondern lediglich die persönliche Einschätzungen der einzelnen Ausschussmitglieder. Dennoch reichte die Veröffentlichung aus, um die New Yorker Börse auf Talfahrt zu schicken.

Nach den Worten ihres Chefs ist die Fed im Bemühen um Vollbeschäftigung bereit, Preisanstiege oberhalb ihres Inflationsziels von zwei Prozent eine Zeit lang zu tolerieren. Ja, mehr noch: Die Notenbank strebe die höheren Raten sogar an, weil die Teuerung zuvor lange unter diesem Wert gelegen habe. Das entspricht in der Tat der neuen Strategie der Fed: Demnach wird sie künftig die Leitzinsen nicht mehr vorbeugend erhöhen, nur um zu verhindern, dass die Inflation die bisherige Zielmarke überschreitet. Stattdessen reicht es, wenn die Rate nur noch im Durchschnitt bei zwei Prozent liegt, wenn das zu mehr Beschäftigung beiträgt. Tatsächlich haben mehrere Millionen Menschen, die in der Corona-Krise ihren Arbeitsplatz verloren haben, immer noch keinen neuen Job. Eine verfrühte Leitzinserhöhung zur Eindämmung der Inflation könnte die Konjunktur abwürgen und die höhere Arbeitslosigkeit zementieren. Auch für Präsident Joe Biden, der seine vielen Billionen Dollar schweren Wirtschafts- und Sozialprogramme zumindest teilweise auf Pump finanzieren will, wäre ein rascher Zinsanstieg ein Desaster.

Ob sich die Arbeitslosigkeit allerdings wirklich mit Niedrigzinsen bekämpfen lässt, ist im konkreten Fall strittig. Manche Experten glauben, dass sich viele Arbeitnehmer derzeit gar nicht aktiv darum bemühen, in ihren alten Job zurückzukehren - weil sie umgezogen sind, weil sie auf eine besser bezahlte andere Stelle hoffen, weil sie Kinder zu betreuen haben oder weil sie wegen des vorübergehend deutlich erhöhten Arbeitslosengelds einfach nicht arbeiten müssen. In all diesen Fällen können niedrige Leitzinsen nicht helfen.

Powell betonte zugleich, dass er die jüngsten Preisanstiege für ein vorübergehendes Phänomen hält. Tatsächlich dürfte zumindest ein Teil der Erhöhungen darauf zurückgehen, dass die US-Bürger nach dem Wegfall fast aller Corona-Beschränkungen erstmals wieder in großem Stil Waren und Dienstleistungen nachfragen, bei deren Produktion es noch hakt oder die noch nicht in vollem Umfang wieder zur Verfügung stehen. Ein solcher Mangel an Angeboten treibt naturgemäß die Preise. So sind etwa Reisen und Gebrauchtwagen zuletzt deutlich teurer geworden. Zudem waren in den ersten Pandemiemonaten vor gut einem Jahr einige Preise auch gesunken, was jetzt den statistischen Effekt hat, dass der Anstieg besonders heftig erscheint. Auch sind teurere Produkte allein noch kein Problem: Erst wenn sich aus den Einzelfällen eine Spirale aus allgemein steigenden Preisen und Löhnen entwickelt, wird es für die Volkswirtschaft gefährlich.

Dennoch haben die Republikaner die hohen Inflationsraten bereits als politisches Kampfinstrument für sich entdeckt. Aus ihrer Sicht zeigen die starken Preisanstiege, dass Bidens kreditfinanzierte Reformpakete unverantwortlich sind. Und auch die Fed kriegt ihr Fett weg: Angesichts ihrer neuen Strategie und des Glaubens, die Preiserhöhungen seien nur vorübergehender Natur, so Senator Pat Toomey aus Pennsylvania, sei für den Fall einer Fehleinschätzung "praktisch garantiert", dass die Notenbank den richtigen Moment für eine Zinswende verpassen werde.

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