EU und Russland:Gefangen in der Abwärtsspirale

EU und Russland: Hat "politische Optionen" für den Umgang mit Russland ausgearbeitet: Europas Außenbeauftragter Josep Borrell.

Hat "politische Optionen" für den Umgang mit Russland ausgearbeitet: Europas Außenbeauftragter Josep Borrell.

(Foto: John Thys/AFP)

Die Kommissionschefin wünscht sich ein "berechenbares Verhältnis" zu Moskau. Doch der Außenbeauftragte Josep Borrell erwartet , dass die Beziehungen noch schlechter werden. Findet Europa einen Ausweg?

Von Matthias Kolb, Brüssel

Kurz bevor sich Russlands Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden in Genf die Hände schütteln, beginnt in Brüssel der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell eine Pressekonferenz. Am Dienstag hatte er mit seiner Chefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel am Gipfel mit Biden teilgenommen, zu dessen Themen auch die miserablen Beziehungen zu Russland gehörten. "Wir würden gerne ein berechenbareres Verhältnis erreichen", sagte die Chefin der EU-Kommission danach und borgte sich eine Formulierung Bidens.

Dies ist leichter gesagt als getan. Eine zentrale Rolle beim Versuch, die Beziehungen der EU zu ihrem größten Nachbarn zu stabilisieren, spielt Borrell. Nach einer dreistündigen Debatte der Staats- und Regierungschefs über Russland beim EU-Sondergipfel im Mai wurde der Spanier beauftragt, einen "Bericht mit politischen Optionen" vorzulegen. Eine Woche vor Abgabetermin, nämlich dem regulären EU-Gipfel in der nächsten Woche Ende Juni, stellt er diesen nun vor.

Wie düster die Aussicht ist, zeigt Borrells wahrscheinlichstes Szenario: "Wir müssen uns auf noch schlechtere Beziehungen einstellen." Wegen der Parlamentswahl im September hat sich die Lage für die Zivilgesellschaft und freie Medien in Russland weiter verschlechtert; vorher rechnet Brüssel mit keinem Ende des immer härteren Vorgehens des Putin-Regimes. Lang ist die Liste der disruptiven Aktionen: etwa der Hackerangriff auf den Bundestag, die "direkte militärische und hybride Einmischung" in der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau sowie die Unterstützung für Machthaber Alexander Lukaschenko in Belarus - dort will Russland laut Kommission "seine Kontrolle über das autoritäre Regime behalten".

Sowohl in der Überschrift des Berichts als auch in seinem Auftritt verwendet Borrell jene drei Verben, mit denen er seit seinem desaströsen Besuch in Moskau seinen Ansatz umschreibt. Man werde sich "wehren", wenn Russland Völkerrecht und Menschenrechte verletze und Versuche "eindämmen", durch Desinformationskampagnen oder Cyberangriffe die EU oder einzelne Mitglieder zu destabilisieren. Das Angebot, sich zu "engagieren", gelte für Bereiche wie Abrüstung, Klimaschutz oder der Förderung von persönlichen Kontakten.

"Wir überprüfen ständig unseren Werkzeugkasten", sagt ein hoher EU-Beamter

Auch Borrell weiß, dass Putin und dessen Außenminister Sergej Lawrow die EU nicht als ebenbürtig ansehen, sondern bevorzugt direkt Deutschland, Frankreich oder auch Ungarn kontaktieren. "Sie haben mir gesagt, dass Russland kein Interesse hat an einem Engagement mit der EU, sondern lieber mit den für sie relevanten Mitgliedstaaten spricht", sagt der 74-Jährige mit der ihm eigenen Ehrlichkeit. Daher sei es wichtig, dass die EU-Länder geschlossen auftreten und Moskau immer wieder sagen: "Ihr müsst mit der EU sprechen."

Dass die umfangreichen Sanktionen, die die EU seit der russischen Annektierung der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 aufrechterhält, noch ausgeweitet werden könnten, deutet der Bericht an. Auf die Frage, ob die EU künftig auf Geldwäsche und Korruption wie die USA mit Sanktionen reagieren könnte, sagt ein hochrangiger EU-Beamter: "Wir überprüfen ständig unseren Werkzeugkasten." Bis zum Herbst könnte die rechtliche Prüfung beendet sein. Dass allzu konkrete Vorschläge fehlen, liegt an der Art, wie die EU Politik macht: Die nächste Diskussion unter den Staats- und Regierungschefs soll von der Leyen und Borrell zeigen, in welche Richtung weitere Maßnahmen gehen könnten.

Sergey Lagodinsky, der russlandpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, sieht in den Empfehlungen "eher Bestandsaufnahme als Zukunftsvision". Er kritisiert, dass unklar bleibe, wie der dreigleisige Ansatz wirken solle: "Sie beziehen sich nicht aufeinander." Auch unter den Mitgliedstaaten fällt die erste Reaktion eher verhalten aus. "Wenig Neues", kommentieren EU-Diplomaten. Kritisch sehen einige, dass Borrells Motto "Wehren, eindämmen, engagieren" anders als der gültige EU-Ansatz "Fünf Prinzipien" nicht mehr eindeutig die Ukraine erwähnt. Bisher gilt die Erfüllung des Minsk-Abkommens durch Russland als Voraussetzung für ein Ende der europäischen Sanktionen. Diesem Eindruck widerspricht Borrell: Die EU werde Kiew weiter unterstützen.

Zum Schluss betont Borrell, dass die EU gegenüber Moskau "einen sehr großen Hebel" habe: Man sei der wichtigste Handelspartner und verantwortlich für drei Viertel der ausländischen Direktinvestitionen. 40 Prozent des russischen Haushalts würden aktuell mit dem Export von Öl und Gas erwirtschaftet: Wenn in den EU-Staaten künftig mehr Wind- und Sonnenenergie genutzt werden, verringert sich diese Abhängigkeit deutlich, argumentiert Borrell. Dies würde auch in Moskau nicht unbemerkt bleiben.

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