Literaturfest:Aus der Dunkelheit zum Licht

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Wer beherrscht die "Sprache von Licht und Schatten"? Die belarussische Autorin Volha Hapeyeva (links) im Gespräch mit Nora Gomringer. (Foto: Catherina Hess)

Der Eröffnungsabend einer "Sommer Edition" des Literaturfests steht für einen Aufbruch in überschatteten Zeiten

Von Antje Weber, München

Wer spricht schon alle Sprachen? Die "Spinnensprache" zum Beispiel, die Sprache von Fahrrädern oder Konfitüre, die "Sprache des Staubs"? Die belarussische Lyrikerin, Übersetzerin und Linguistin Volha Hapeyeva, die wahrlich viele Sprachen beherrscht, beschreibt in einem Gedicht die Sehnsucht, die Welt noch umfassender zu verstehen, bis hin zur "Sprache von Licht und Schatten". Am Eröffnungsabend der "Sommer Edition" des Literaturfests trägt sie es auf der Terrasse der Brasserie Oskar Maria des Literaturhauses vor. Und es zeigt sich, dass nicht nur Hapeyeva in der Sprache von Licht und Schatten bereits sehr bewandert ist; der Gegensatz von Helligkeit und Dunkel ist für diesen Abend insgesamt prägend.

Der Rahmen jedenfalls bietet Anlass zu heller Freude: Nicht nur ist das Wetter am Mittwoch stabil sommerlich - beste Bedingungen für das Experiment eines Open Airs. "Es fühlt sich fast unwirklich an", kommentiert Literaturhaus-Chefin Tanja Graf das Glück, "unfassbar". Aus bekannten Gründen dürfen zwar nur 80 Zuhörer live dabei sein, für weitere Interessierte wird jedoch aufwendig diesmal auch - Vogelgezwitscher und Motorradgeheul inklusive - von draußen gestreamt. Festlichen Glanz bekommt dieser Abend aber auch durch einige Prominenz aus der Literaturszene, wie etwa die Schriftstellerinnen Doris Dörrie und Asta Scheib, bis hin zu mehreren Vertretern der Stadtpolitik. Und in allen Reden wird deutlich, welche Bedeutung dieser Abend hat - als Zeichen des Aufbruchs in überschatteten Zeiten.

"Ich empfinde diesen Abend als überhaupt nicht selbstverständlich", sagt Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und betont die "systemrelevante Bedeutung" der Kultur; das sei während der Pandemie "häufig in Vergessenheit geraten". Auch Kulturreferent Anton Biebl deutet an, wie sehr das vergangene Jahr von "Krisensitzungen" geprägt gewesen sei; so findet das Literaturfest zum zweiten Mal nicht in der gewohnten Form statt. Doch Biebl macht sich für die Literatur stark, die besonders geeignet sei, um den rasanten Veränderungen der Zeit zu begegnen. Sie sei ein "hochwirksames Instrument" gegen extreme Ideologien und Populismus: "Bücher stärken unseren Widerstand gegen jede denkbare Verflachung der Welt." Graf versichert denn auch einmal mehr: "Wir verstehen uns als Haus für gelebte Demokratie."

Das löst dieser Abend gleich ein. Die Einladung der belarussischen Autorin Volha Hapeyeva, die seit kurzem als "Writers in Exile"-Stipendiatin des PEN in München lebt, ist natürlich ein Statement. Und dass die mit Hapeyeva befreundete Lyrikerin Nora Gomringer, die das Gespräch um die Lesungen von Textbeispielen herum einfühlsam moderiert, sich in den Landesfarben weiß und rot angezogen hat, natürlich auch. Die Prägungen eines Lebens in der Diktatur schwingen auch immer wieder mit in den Texten Hapeyevas, vom autobiografischen Roman "Camel Travel" bis zur Lyrik. Für die allerdings braucht sie Distanz: "Im Moment kann ich keine Gedichte über die Situation schreiben." Und auf eine nur politische Autorin will sich Hapeyeva natürlich auch nicht reduzieren lassen: "Alles ist politisch in unserem Leben." Viel geht es in ihren Texten um den Körper, um weibliche Selbstermächtigung; und immer wieder sind sie, auch wenn vom "schwarzen Hund" der Melancholie die Rede ist, durchzogen von leisem Humor.

Diesem schwarzen Hund begegnet man auch im zweiten Teil des Abends wieder, den Nora Gomringer mit dem Musiker Philipp Scholz gestaltet. In ihrer Performance "Peng Peng Peng!" werden die Abgründe der menschlichen Existenz nicht ausgespart; fein erinnert Gomringer dabei an Schriftstellerinnen wie die von den Nazis ermordete Selma Meerbaum-Eisinger, die in einem Gedicht sehnsüchtig "Tage voll Licht" beschwor. Sie rezitiert, von Scholz subtil am Schlagzeug ergänzt, auch eigene Texte und, in einer hinreißenden Hommage, auch Lautpoetisches ihres Vaters Eugen Gomringer. Bei allem wird klar, warum sie sich vor einigen Monaten in einem SZ-Text zur Pandemie als Wesen bezeichnete, "das nur strahlt, wenn angeleuchtet": Sprudelnd virtuos spielt Gomringer mit Mimik, Tonlagen, Rhythmus, sie zischt, jault, kräht, lässt das Rrrr und die Augen rollen. Und so handelt dieser Abend, der die Sprache von Licht und Schatten ausbuchstabiert, auch von der Kunst, das Dunkle hinter sich zu lassen.

© SZ vom 18.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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