Recherche-Projekt:Stadtgeschichte auf Schildern

Recherche-Projekt: Die neuen Zusatzschilder präsentierten (von links): Manuela Strunz, Christof Botzenhart, Bürgermeister Ingo Mehner, Claus Janßen und Julia Stelz.

Die neuen Zusatzschilder präsentierten (von links): Manuela Strunz, Christof Botzenhart, Bürgermeister Ingo Mehner, Claus Janßen und Julia Stelz.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Bad Tölz erklärt auf 191 Zusatztafeln mit je 200 Zeichen die Herkunft der Straßennamen. Dafür hat eine Arbeitsgruppe des Historischen Vereins mit dem Stadtarchiv zwei Jahre lang intensiv recherchiert.

Von Klaus Schieder

Straßennamen sind manchmal ein Rätsel. Wer zum Beispiel war jene Gudrun, nach der in Bad Tölz ein Weg benannt ist, der am Schulzentrum vorbeiführt? Eine bedeutende Philosophin? Die Tochter eines vergessenen Bürgermeisters? Eines Rektors Gattin? Nichts von alledem. Die Bezeichnung geht auf den Chronisten Georg Westermayer zurück, der im 19. Jahrhundert eine Verbindung zwischen seiner Heimatstadt Tölz und dem "Gudrunlied" vermutete, das um 1230 entstanden war. Straßennamen geben nicht nur profan eine Orientierung, um von A nach B zu kommen - sie sind auch ein Stück Stadtgeschichte. Die wird in Bad Tölz bald schlaglichtartig auf 191 Zusatztafeln zu den Straßenschildern beleuchtet.

In den Sommerferien werden die weißen Emaille-Tafeln mit dezent-schwarzer Schrift und einem Stadtwappen peu à peu an Straßenschildern und Hauswänden angehängt, respektive angeschraubt. Mit maximal 200 Buchstaben und Zahlen - inklusive Leerzeichen - sollen sie einen kleinen Einblick in die Lokalgeschichte geben. Verzichtet habe man lediglich auf Erläuterungen von Berg-, Pflanzen- oder Tiernamen, sagte Christof Botzenhart, Dritter Bürgermeister und stellvertretender Vorsitzender des Historischen Vereins, bei der Präsentation im Rathaus. "Denn das ist selbsterklärend und hat keinen historischen Zündstoff." Insgesamt hat Bad Tölz rund 240 Straßen.

Hinter dem Projekt steckt Botzenhart zufolge die Idee, die Straßenschilder in Tölz nicht nur hier und da, sondern "flächendeckend" mit einem Zusatz zu versehen. Die Namen der Wege, Gassen oder Plätze dienten "der Identifikation mit der Stadt", sagte er. Der Historische Verein unter dem Vorsitz von Claus Janßen hat zwei Jahre lang zusammen mit dem Stadtarchiv und dem Stadtmuseum in mitunter mühseliger Detektivarbeit erforscht, was sich hinter all den Persönlichkeiten, den Orten, den Typonymen auf den Straßenschildern verbirgt. Als Quellen dienten vor allem Protokolle des Stadtrats, eigene Unterlagen des Historischen Vereins, Tölzer Chroniken oder Zeitungen, manchmal auch Akten des Archivs. Die Recherche, sagte Stadtarchivar Sebastian Lindmeyr, "ging manchmal schnell, manchmal hat man ums Verrecken nichts gefunden".

Schwierig wurde es auch dann, wenn sich der Name einer Straße in den Zeitläuften änderte. Das gilt vor allem für die Nazi-Jahre zwischen 1933 und 1945. Wie Manuela Strunz vom Stadtarchiv erzählte, gab es in der Kurstadt vor 1933 einmal eine Zugspitzstraße. Unter dem NS-Regime wurde der Weg, der an der später abgerissenen Kaserne vorbeiführte, dann nach Gauleiter Wilhelm Loeper benannt - heute trägt diese Straße die schlichte Bezeichnung "Am Sportpark". Aus der Buchner Straße wurde die Adolf-Hitler-Straße und dann wieder die Buchner Straße.

Für die 1936 errichtete Karwendelsiedlung hatte der damalige Stadtbaumeister Peter Freisl einen anderen Vorschlag: Die Straßen dort wurden nach Ernst Moritz Arndt oder dem Freiherrn vom Stein betitelt. Der Schriftsteller und der Politiker, die Anfang des 19. Jahrhunderts lebten, hatten überhaupt nichts mit Bad Tölz zu tun. Aber sie standen für den Freiheitskampf gegen Napoleon. "Es ist wichtig, dass wir uns der Geschichte stellen", sagte Botzenhart. Allerdings habe man es vermieden, die Namen auf den Schildern in der NS-Zeit nun wieder auf den Zusatztafeln aufzuführen. "Wir wollen ihnen keine Plattform geben", sagte Stadtarchivar Lindmeyr. Sie seien ja in Büchern und Aufsätzen ohnehin publiziert. "Das ist wie mit der Geschichte vom Hitler-Berg."

Straßenschild Tölz Namenserklärung Zusatzschild

Warum trägt die Sankt-Korbinian-Straße ihren Namen? Der Historische Verein hat recherchiert.

(Foto: oh)

Die Schilder an den Tölzer Straßen spiegeln jedoch mehr wider als nur die schreckliche Zeit der Nazi-Herrschaft. In den Tiefen der Tölzer Historie kennt sich Janßen aus. Die Marktstraße habe früher einmal Marktgasse geheißen, erzählte der Vorsitzende des Historischen Vereins. Aber nicht deshalb, weil sie enger gewesen wäre. "Straßen im Ort wurden als Gassen bezeichnet, Straßen waren die Verbindungswege zwischen den Orten." Dann gab es auch Bezeichnungen für Stadtteile wie etwa "Im Gries" oder "Vor der Brücke". Von 1800 an wurden die Häuser in den Straßenzügen in mehreren Phasen nummeriert. Der Badeteil erhielt Janßen zufolge 300er-Nummern, bald folgten Anhängsel wie a, b oder c, dann auch 300 1/6 oder 1/7. Mit Hilfe des Historischen Vereins wurde später alles umgetauft und vereinfacht, wobei man alte Flurnamen oder historische Personen auswählte. Der "Berliner Platz" im Kurviertel stammt übrigens aus dem Jahr 1962. Der Name ist auf einen "Freundeskreis der Berliner" zurückzuführen, der seinerzeit in Bad Tölz existierte und damit ein Jahr nach dem Mauerbau ein Zeichen der Solidarität setzen wollte.

In anderen Fällen wird ein althergebrachter Straßenname durch das Projekt erstmals sichtbar gemacht. Den Hans-Carossa-Weg am Kalvarienberg gibt es zwar schon lange, im Volksmund und offiziell in den Stadtplänen. Ein Schild, das auf den in Bad Tölz zur Welt gekommenen Schriftsteller hinweist, sucht man jedoch vergeblich. Ähnlich verhält es sich mit dem Franz-Edler-von-Koch-Weg, der an den ehemaligen Direktor der "Krankenheiler Jodquellen AG" erinnert. Oder mit dem Le-Feubure-Steig, der vom Stadtpark "Taubenloch" hinauf zur Fröhlichgasse führt. Dort wohnte Carl le Feubure (1847 - 1911) am Ende seines Lebens. Der akademische Kunstmaler kommt namentlich im "Tölzer Schützenmarsch" vor.

Die Recherche-Ergebnisse in gerade einmal 200 Zeilen zu pressen, war alles andere als einfach. Umso mehr, als Akronyme oder ähnliche Hilfsmittel tabu waren. "Es war uns sprachlich ein Anliegen, einen ausformulierten Text zu bieten", sagte Botzenhart. Außerdem habe man auch darauf geachtet, Tölzer Begrifflichkeiten wie etwa "Werkvolksiedlung" aufzugreifen und mit Jahreszahlen zu arbeiten. Und all dies so zu layouten, dass es leicht zu lesen ist. "Um es ein wenig hochtrabend zu sagen: Wir wollen eine kleine Geschichte in 200 Zeichen erzählen", sagte Botzenhart.

Das Design der Zusatzschilder stammt von Julia Stelz, die schon die Info-Stelen am Hindenburgweg gestaltet hat. Die neuen Tafeln seien aus Emaille, weil dieses Material länger halte als etwa Blech, sagte sie. "Es hat eine gewisse Wertigkeit, welche die Qualität dieses Projekts wiedergibt." Außerdem sollen die neuen Schilder keine Negativschrift tragen, zum Beispiel weiße Buchstaben auf blauem Grund, wie dies bislang in Tölz gebräuchlich ist. "Das liest sich nicht so gut", sagte Stelz. Mit schwarzer Schrift auf Weiß komme man in Kontrast, aber nicht in Konflikt mit den Straßenschildern. Faszinierend war für Designerin Stelz, wie sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe engagiert haben. "Der Prozess war spannend, denn teilweise wurde um jedes Wort gekämpft." Bürgermeister Ingo Mehner (CSU) zeigte sich erfreut, "dass wir Menschen in der Stadt haben, die eine historische Einordnung, eine historische Erklärung in 200 Zeichen schaffen können."

Für Botzenhart gibt es allerdings ein Manko, wenn er sich die Straßennamen in Bad Tölz vor Augen hält. "Es herrscht ein eklatantes Missverhältnis zwischen Männer- und Frauennamen", sagte er. Nur sechs Frauen tauchen auf den Schildern in der Kurstadt auf, dafür 49 Männer. Wenn in Tölz künftig Straßen neu oder anders benannt werden, "dann wären massiv die Frauen dran", sagte er. Welche Frauen er da im Sinn habe? "Wir wollen unser Pulver nicht zu früh verschießen."

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