Merkel und die Unions-Fraktion:Immer wieder dienstags

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Merkel auf dem Weg zu einer Fraktionssitzung im Herbst 2020. (Foto: dpa)

Kanzlerin Merkel hat zum letzten Mal in einer regulären Sitzungswoche des Bundestages als Kanzlerin an einer Fraktionssitzung der Union teilgenommen. Die war schon immer ein extra komplexes Gebilde.

Von Nico Fried, Berlin

Fraktion war ihr immer wichtig. Dienstagnachmittags in Sitzungswochen des Bundestages, wenn die Amtsgeschäfte es erlaubten, begab sich die Kanzlerin zu den Abgeordneten von CDU und CSU. Sie ging meist durch einen Hintereingang in den Saal. Den öffentlichen Auftritt überließ sie dem Vorsitzenden. Das gebot schon der Respekt vor der formalen Eigenständigkeit der Fraktion.

Am Dienstag nahm Merkel zum letzten Mal in einer regulären Sitzungswoche des Bundestages als Kanzlerin und gewählte Abgeordnete an einer Fraktionssitzung teil. Wegen der Corona-Pandemie war sie wie schon mehrmals zuvor per Video zugeschaltet. Im September wird es nur noch eine Sondersitzung geben. Wohl auch deshalb sind salbungsvolle Abschiedsworte noch nicht überliefert, auch wenn es viel zu sagen gäbe über die Geschichte Merkels und dieses besonderen Gremiums. Hier dokumentierte sie 2002 mit der Übernahme des Fraktionsvorsitzes von Friedrich Merz ihren Machtanspruch. Hier begann mit der Niederlage ihres langjährigen Vertrauten Volker Kauder gegen den heutigen Fraktionschef Ralph Brinkhaus 2018 ihre Macht zu bröckeln.

Regierungschef und Abgeordnete einer Fraktion pflegen im parlamentarischen System der Bundesrepublik immer ein kompliziertes Verhältnis. Das beginnt schon bei der Wahl des Kanzlers oder der Kanzlerin, die nicht durch das Volk, sondern durch dessen Vertreter erfolgt. 51 Stimmen der ersten großen Koalition fehlten Merkel bei ihrer ersten Wahl 2005, und wohl niemand vermutete damals, dass sich in der geheimen Abstimmung ausschließlich Sozialdemokraten verweigert hätten.

Die Fraktion verschafft der Regierung die Mehrheiten, will aber nicht nur als ausführendes Organ des Kanzlers gesehen werden. Schon zu Konrad Adenauers Zeiten beschwerte sich ein CDU-Abgeordneter, man wolle nicht wie Stimmvieh behandelt werden und zu den Entscheidungen des Kanzlers nur noch Ja und Amen sagen. Adenauer antwortete trocken: "Es genügt, wenn Sie Ja sagen."

Volker Kauder, 13 Jahre lang Merkels Fraktionschef, trimmte seine Truppe auf Loyalität zu ihrer Regierung. Das gelang meistens, wenn auch nicht immer ohne Murren. In der Euro-Krise gerieten Kauder und die Kanzlerin an ihre Grenzen: 65 Unions-Abgeordnete, so viele wie davor noch nie und danach nicht mehr, verweigerten 2015 die Zustimmung zu einem dritten Hilfspaket für Griechenland. Der Koalitionspartner SPD stand fast geschlossen zu Merkel.

Die Unions-Fraktion ist ein extra komplexes Gebilde, weil sie sich aus Abgeordneten zweier Parteien bildet: CDU und CSU. Das hatte schon früher zu Problemen geführt. In Merkels Regierungszeit schlingerte die Fraktionsgemeinschaft 2018 im Streit um die Flüchtlingspolitik einem Bruch entgegen, als die CSU-Landesgruppe zeitweilig den gemeinsamen Sitzungssaal verließ.

Helmut Kohl, so berichtete es Wolfgang Schäuble einmal, hat seine Jahre als Fraktionsvorsitzender im Rückblick als "die mit Abstand schwierigsten meines politischen Lebens" bezeichnet - noch vor den Jahren der Kanzlerschaft. Dass Merkel im Herbst zum selben Ergebnis kommt, ist spätestens nach der Corona-Pandemie eher unwahrscheinlich.

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