Lithiumproduktion:Die L-Frage

Lithiumproduktion: In der Uyuni-Salzwüste Boliviens lagern Schätzungen zufolge etwa zehn Milliarden Tonnen Salz und mehrere Millionen Tonnen Lithium.

In der Uyuni-Salzwüste Boliviens lagern Schätzungen zufolge etwa zehn Milliarden Tonnen Salz und mehrere Millionen Tonnen Lithium.

(Foto: Martin Bernetti/AFP)

Woher kommen die Rohstoffe für Elektroautos - und wie nachhaltig werden sie abgebaut? Das Beispiel Lithium zeigt, wie schnell die Verkehrswende ins Stocken geraten könnte.

Von Josephine Kanefend

Kein grüner Fleck, nirgends. So weit das Auge reicht, bedecken Salzkristalle den Boden. Was aussieht wie Zuckerguss, ist ein Hoffnungsträger des 21. Jahrhunderts: Unter der glitzernden Kruste des Atacama-Salzsees liegen die größten Lithiumreserven der Welt. Etwa zehn Kilogramm des Leichtmetalls stecken in einem Lithium-Ionen-Akku, wie ihn Tesla in seinem Model S verwendet.

Batterieautos sind gefragter denn je: Im ersten Halbjahr lag ihr Marktanteil in Deutschland bei über 20 Prozent. Bis 2030 wollen die deutschen Autohersteller mehr als jedes zweite Auto mit einem reinem E-Antrieb verkaufen. Volkswagen plant sogar einen Elektro-Anteil von 70 Prozent und will bis zum Ende der Dekade sechs Zellfabriken bauen: Jede einzelne so groß wie Teslas Gigafactory in der Wüste Nevadas - zusammen mit einem Ausstoß von insgesamt 240 Gigawattstunden (GWh).

Eine temporäre Verknappung ist nicht auszuschließen

Nicht wenige Experten fragen sich, wie die Rohstoffe für die rasante Verkehrswende so schnell abgebaut werden sollen. "Für 2030 sind weltweit Batteriezellenwerke mit mehr als 2000 Gigawattstunden angekündigt. Woher zum Beispiel das Lithium für all diese Batteriezellen kommen soll, ist mir nicht klar", so der Roland-Berger-Berater Wolfgang Bernhart. Auch die chilenische Kupferkommission rechnet damit, dass sich die globale Nachfrage nach dem Rohstoff bis 2030 mehr als vervierfachen wird.

"Rein geologisch betrachtet sind auf jeden Fall ausreichend Lithiumressourcen vorhanden", sagt Peter Dolega, Senior Researcher im Bereich Ressourcen und Mobilität am Öko-Institut e.V. "Dass es aber zu einer temporären Verknappung kommen kann, ist nicht auszuschließen." Schätzungen der US-Geologie-Behörde zufolge liegen die weltweiten Lithiumressourcen bei 86 Millionen Tonnen, bisher sind davon aber nur 21 Millionen Tonnen erschlossen - rund drei Viertel liegen also noch unberührt in Südamerikas Salzseen oder in Australiens Gesteinen. Die Frage ist, zu welchem Marktpreis und mit welchen Umweltauflagen sich der Abbau lohnt.

So zum Beispiel in Lateinamerika: Im sogenannten Lithiumdreieck zwischen Argentinien, Bolivien und Chile lagert mehr als die Hälfte der globalen Ressourcen. Das ist der weltweit einzigartigen Kombination aus vulkanischer, geothermaler Aktivität und dem extrem trockenen Klima der Hochebene zu verdanken. Wegen eines Überangebots und niedriger Preise wurde dort jedoch zuletzt wenig in den Ausbau der Produktion und die Erschließung neuer Quellen investiert. Ob es tatsächlich zu einer temporären Verknappung von Lithium kommt, hängt also unter anderem davon ab, ob und wie schnell neue Reservoirs erschlossen werden.

Bolivien will bis 2030 rund 40 Prozent der globalen Nachfrage decken können

Die größten, bisher weitestgehend unberührten, Lithiumvorkommen besitzt Bolivien: Im Uyuni-Salzsee lagern schätzungsweise 24 Prozent der globalen Ressourcen. Dementsprechend groß ist die internationale Aufmerksamkeit, die der kleine Andenstaat seit ein paar Jahren erfährt. Die Lithium-Förderung geht dort jedoch nur schleppend voran. Obwohl Ex-Präsident Evo Morales ambitionierte Pläne hatte, wurden bisher nur kleine Mengen für experimentelle Zwecke abgebaut.

Das soll sich nun ändern: Morales Nachfolger Luis Arce kündigte kürzlich an, Bolivien wolle bis 2030 rund 40 Prozent der globalen Lithiumnachfrage decken können. Bei einer Zeitspanne von bis zu sieben Jahren von der Erschließung bis zur Produktion ist jedoch fraglich, ob dieses Ziel realistisch ist, zumal in Bolivien bisher nur eine Pilotanlage gebaut wurde. "Zumindest sind die Ziele der bolivianischen Regierung sehr ambitioniert", sagt Elisabeth Clausen. Sie ist Sprecherin der Fachgruppe Rohstoffe und Entsorgungstechnik an der RWTH Aachen und Leiterin des Instituts für Advanced Mining Technologies.

A worker throws salt at Uyuni salt lake

Gefährdung der indigenen Bevölkerung: Menschenrechtler kritisieren den Lithiumabbau im Salar de Uyuni.

(Foto: Gaston Brito/REUTERS)

Außerdem will die sozialistische Regierung Boliviens den Abbau und die Verarbeitung des Lithiums unter allen Umständen in staatlicher Hand wissen, Kooperationen mit ausländischen Privatunternehmen steht sie skeptisch gegenüber. Immerhin: Unter Arce wurden die Gespräche über ein Joint Venture zwischen dem bolivianischen Staatskonzern Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) und dem baden-württembergischen Unternehmen ACI Systems wieder aufgenommen. Morales hatte den Vertrag auf Druck der bolivianischen Bevölkerung kurz vor seinem Rücktritt einseitig aufgekündigt. Damit würde sich Deutschland im internationalen Wettstreit um den begehrten Rohstoff einen Vorteil sichern.

Europa sucht nach neuen Quellen: Lohnt die Lithium-Produktion im Oberrheingraben?

Trotzdem sei es wichtig, sich nicht nur auf den Uyuni-Salzsee zu fokussieren, meint Peter Dolega vom Öko Institut e.V. Denn zum einen sei der bolivianische Rohstoff im Vergleich zum chilenischen Lithium weniger hochwertig, und zum anderen sei die Gewinnung nicht so flexibel wie in Australien, das derzeit der weltweit größte Lithiumproduzent ist.

Auch Clausen möchte den Blick weiten: "Man sollte einmal die Frage stellen, inwiefern das Potenzial auch in Europa vorhanden ist." Derzeit gäbe es durchaus vielversprechende europäische Projekte, eines davon im Oberrheingraben, wo die größten Lithiumvorkommen Europas lagern. Anders als bei der Gewinnung aus Hartgesteinen oder Salzlaugen soll der Rohstoff hier aus unterirdischen Thermalwasserreservoirs gezogen werden. Wenn die Lagerstätten in Europa erschlossen würden, könnte ein Teil des europäischen Bedarfs daraus gedeckt werden, meint Clausen. Mit entsprechenden Fördermengen sei jedoch voraussichtlich nicht vor 2025 zu rechnen.

Lithium wird von der Europäischen Kommission als kritischer Rohstoff geführt, hat also innerhalb der EU eine große wirtschaftliche Bedeutung und ist gleichzeitig einem relativ hohen Versorgungsrisiko ausgesetzt. Dementsprechend sei das Interesse der EU groß, sich von Importen unabhängig zu machen und einen Teil des Lithiumbedarfs aus heimischer Produktion zu decken, sagt Clausen.

Ein Sieg für die Umwelt, ein Risiko für die Importeure

Egal wo abgebaut wird - wenn Lithium zur klimaschonenden Mobilität verhelfen soll, muss auch die Gewinnung umweltverträglich sein. Ob die vorgesehenen sozialökologischen Standards eingehalten werden können, ist zudem fraglich. In Europa sei davon auszugehen, sagt Clausen. In Südamerika sieht das schon anders aus: Dort steht die Lithiumförderung aufgrund des hohen Wasserverbrauchs in der Kritik, weil das Absinken des Grundwasserspiegels das lokale Ökosystem und damit auch die indigene Bevölkerung gefährdet. Zumal das zentrale Hochland der Anden ohnehin unter Wassermangel leidet: Die Atacama-Wüste ist einer der trockensten Orte der Welt.

In Chile wird derzeit eine neue Verfassung ausgearbeitet. Möglicherweise werden die lithiumreichen Salzseen künftig als Wasserreservoirs statt als Mineralienvorkommen definiert und besonders geschützt. Für die Umwelt und die chilenische Bevölkerung wäre das ein Sieg - für die Lithiumabnehmer eher ein Risiko: Chile ist hinter Australien der zweitgrößte Lithiumproduzent, die EU bezieht den Rohstoff zu 78 Prozent aus dem südamerikanischen Land.

Laut Prognosen der Internationalen Energieagentur IEA, lässt sich mit den bis dato erschlossenen Reserven und den momentan im Bau befindlichen Projekten nur etwa die Hälfte des bis 2030 prognostizierten globalen Lithiumbedarfs decken. Schätzungen der Deutschen Rohstoffagentur zufolge wird ein Zuwachs der Lithiumförderung in den kommenden Jahren um den Faktor drei bis sechs notwendig sein, um die globale Nachfrage zu befriedigen.

Das bedeutet Investitionen im Milliardenbereich, die mit keinem geringen Risiko verbunden sind. Die Automobilindustrie sei in dieser Hinsicht bisher eher zurückhaltend, so Clausen: "Vielfach wird kein Interesse daran gezeigt, sich an der Gewinnung von Lithium zu beteiligen. Die zentrale Frage bleibt: Wer ist bereit, dieses Investment auf sich zu nehmen und wann? An diesem Punkt stehen wir gerade."

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