Analytiker Dennis Meadows:"Es geht darum, weniger zu konsumieren"

US-Systemanalytiker Dennis Meadows über eine Abkehr vom Wachstumscredo und die Frage, warum die Finanzkrise Umweltprobleme verschärft.

S. Boehringer

Dennis Meadows, 66, hat einen Großteil seines Berufslebens für eine bessere Welt gekämpft. Drei Bücher zu den "Grenzen des Wachstums", die der amerikanische Systemanalytiker mit seiner Frau Donella seit 1972 publizierte, waren vieldiskutierte Bestseller. "Die Menschen verlangen der Erde so viel ab, dass ihre Tragfähigkeit überschritten ist", lautet die Kernthese Meadows. Er gehörte lange Jahre zu den Vordenkern des Club of Rome, einer internationalen Vereinigung, die sich mit den Zukunftsfragen der Menschheit beschäftigt. Meadows glaubt, dass nur ein radikaler Schrumpfungsprozess hilft, die Welt vor einem Kollaps zu retten. Das Finanzsystem hält der Universitätsprofessor von Grund auf für instabil. Den Club of Rome hat er verlassen.

Analytiker Dennis Meadows: Meadows-Bestseller "Die Grenzen des Wachstums": Der Vordenker hat den Club of Rome inzwischen verlassen.

Meadows-Bestseller "Die Grenzen des Wachstums": Der Vordenker hat den Club of Rome inzwischen verlassen.

(Foto: Foto: oh)

SZ: Herr Meadows, Sie haben vorhergesagt, dass die Zivilisation spätestens 2050 zusammenbricht, wenn die Welt nicht endlich etwas gegen Bevölkerungswachstum, die Umweltbelastung und Energieverschwendung tut. Zwischen 2010 und 2020 würden die Grenzen des Wachstums erstmals sichtbar werden, hieß es. Sind wir mit der Finanzkrise vielleicht schon etwas früher ans Limit gekommen als gedacht?

Dennis Meadows: Die Aussagen über die Grenzen des Wachstums gelten, egal welche Finanzordnung gerade herrscht. Es kann zwar sein, dass die aktuelle Misere an den Finanzmärkten wie ein Katalysator wirkt und die Krise früher kommt, weil das Geld für Investitionen in neue Energieträger oder Entlastungssysteme für die Umwelt fehlt. Die monetären Probleme können aber auch etwas verzögernd wirken, weil in der Rezession zunächst weniger knappe Ressourcen nachgefragt werden. Das ändert jedoch nichts an der langfristige Perspektive: Systeme, die exponentiell wachsen, also mit steigender Rate größer werden, stoßen an eine natürliche Grenze, wenn man nicht rechtzeitig etwas dagegen unternimmt. Wird ein bestimmtes Niveau überschritten, kommt es zum Kollaps, alles bricht zusammen.

SZ: Das klingt sehr theoretisch, ein Beispiel bitte.

Meadows: Nehmen wir die Bevölkerung. Nach mehreren hunderttausend Jahren, in denen es Menschen auf der Erde gab, hatte die Bevölkerung 1970 gut drei Milliarden erreicht. Jetzt, 40 Jahre später, sind es mehr als sechs Milliarden. Und die meisten Experten prognostizieren, dass es bis in den nächsten paar Jahrzehnten neun Milliarden Menschen sein werden. Der Zeitraum für die nächsten drei Milliarden wird jedenfalls deutlich kürzer sein als für die letzten drei Milliarden. Bei einem westlichen Lebensstandard reichen Energie und Lebensmittel aber höchstens für etwa 2,5 Milliarden Menschen. Die Folge: In den ärmeren Regionen der Welt verhungern immer mehr Menschen, während die Reichen noch ihre Haustiere abfüttern. Wenn in den Industrienationen dann noch das Öl knapp und damit horrend teuer wird, ist es auch bei uns endgültig vorbei mit dem hohen Wirtschaftswachstum.

SZ: Aber die Weltwirtschaft und damit auch der gesamte Wohlstand basiert doch auf Wachstum, und bislang hat dies doch gut funktioniert!

Meadows: Es ist gut gegangen, weil wir bei wichtigen Grundgrößen wie Bevölkerung und Ressourcen noch im harmloseren Bereich der Wachstumskurve waren und weil uns technischer Fortschritt half, Knappheitsgrenzen hinauszuzögern. Dies gilt auch für das Finanzsystem...

SZ: Inwiefern berühren Ihre Thesen das Finanzsystem?

Meadows: Unser Geldsystem ist auf Kredit aufgebaut. Geld wird geschaffen, indem jemand ein Darlehen bekommt und dafür Zinsen zahlt. Um eine Schuld abzubezahlen, ist Wachstum notwendig, weil der Schuldner ja nicht nur die geliehene Summe, sondern darüber hinaus auch den Zins plus idealerweise noch einen eigenen Gewinn erwirtschaften möchte. Es geht jeweils um prozentuale Steigerungen und damit um exponentiell steigende Beträge. Schrumpfen ist nicht vorgesehen, das macht die Sache so instabil. Das System hat überhaupt nur solange funktioniert, weil wir Amerikaner es geschafft haben, einen großen Teil der Kredite nach Europa und Asien zu verkaufen. Verbriefung nennt sich der technische Fortschritt, der uns diese Verzögerung des Kollapses ermöglicht hat.

SZ: Was muss getan werden, um gegenzusteuern?

Meadows: Zur Gesundung des Finanzsystems würde eine lange Periode der Deflation benötigt, um die Kredite zurückzuführen. Aber statt dessen werden noch mehr Schulden gemacht, um das bestehende System zu retten. Generell muss ich sagen: Wir hätten uns spätestens in den frühen 80er Jahren von dem Postulat des ständigen Wachstums verabschieden müssen, um den Kollaps zu verhindern. Damals verbrauchten die Menschen noch weniger Ressourcen, als die Erde nachliefern konnte. Seitdem ist unser Niveau auf 125 Prozent dessen gewachsen, was regenerierbar, also nachhaltig ist.

SZ: Warum reden Sie im Konjunktiv?

Meadows: Weil es zu spät ist, um mit wohldurchdachten langfristigen Lösungen zu agieren. In den meisten Fällen, siehe beim Finanzsystem oder auch bald beim Energieverbrauch sind die Probleme schon länger bekannt, nur die Verantwortlichen kümmern sich nicht darum. Später sind sie dann gezwungen, ganz schnell zu reagieren, und mit Notfallplänen, weil sonst der Zusammenbruch naht. Diese schnell gestrickten Ansätze bieten aber in der Regel keine dauerhafte Lösung. Für langfristige Alternativen fehlen aber die Zeit und dann meist auch die Mittel.

SZ: Das Energiethema wird aber sehr wohl diskutiert, und hier ist noch nichts zusammengebrochen.

Meadows: Der Ölpreis ist aber nicht umsonst zwischenzeitlich auf mehr als 140 Dollar pro Fass gestiegen. Ich denke zudem, wir haben den Höhepunkt der Ölförderung bereits vor ein, zwei Jahren erreicht. Eine ähnlich effiziente Alternative ist aber nicht in Sicht. Wenn wir auch hier warten, bis die weltweite Energiegewinnung sinkt, ist es zu spät. Schließlich hängt am Öl, mehr als am Finanzsystem, unser ganzer Wohlstand.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Dennis Meadows langfristig die Weichen stellen würde - und für wie realistisch er die Umsetzung dieser Pläne hält.

"Es geht darum, weniger zu konsumieren"

SZ: Was schlagen Sie vor?

Analytiker Dennis Meadows: Dennis Meadows (links, hier auf einem Archivbild mit dem ehemaligen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld und Umweltminister Sigmar Gabriel) fordert, weniger zu konsumieren.

Dennis Meadows (links, hier auf einem Archivbild mit dem ehemaligen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld und Umweltminister Sigmar Gabriel) fordert, weniger zu konsumieren.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Meadows: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy und inzwischen auch andere haben für ein Bretton Woods II plädiert analog zu der in New Hampshire stattfindenden Konferenz während des Zweiten Weltkrieges 1944. Damals trafen sich die politischen Führungskräfte, um über eine neue ökonomische Ordnung zu diskutieren. Das wäre auch heute nach Jahrzehnten der Kurzfristigkeit ein brauchbarer Ansatz, vorausgesetzt, es werden langfristige Weichen gestellt.

SZ: Das klingt, als ob Sie zweifeln.

Meadows: Ich zweifle in der Tat, weil ich nicht glaube, dass sich irgendein verantwortlicher Politiker traut, den Menschen die Wahrheit über unser Wirtschaftssystem zu sagen und die Konsequenzen daraus auch einzufordern und umzusetzen.

SZ: Was ist diese brisante Wahrheit?

Meadows: Der Treiber ökonomischen Wachstums ist der persönliche Konsum. Es geht darum, den Leuten zu vermitteln, dass sie weniger konsumieren müssen. Dann benötigen wir weniger oder auch gar kein Wachstum und sparen Ressourcen und auch Geld. Diese Botschaft ist aber sehr unpopulär. Die Antwort etwa auf teures Öl im Wahlkampf in Amerika ist es, den Leuten zu versprechen, dass man die Steuern auf den Rohstoff senkt, um es billiger zu machen. Die richtige Antwort wäre aber, ihnen zu sagen, dass man die Suche und Forschung zu alternativen Rohstoffquellen unterstützen will und dass sie nun eben mehr zahlen müssen, bis die Alternativen greifen. Wer letzteres sagt, wird nicht gewählt.

SZ: Sie unterstellen also Politikern, dass sie langfristig denken, aber stets kurzfristig handeln.

Meadows: Nicht nur Politikern. Auch die meisten Wirtschaftsführer streben nach kurzfristigem Gewinn, weil er an der Börse honoriert wird und ihre Gehälter dann höher ausfallen. Wer langfristig eine Besserung verspricht, dafür kurzfristig Opfer fordert, etwa in Form von Investitionen, wird in der Regel durch Kursverluste abgestraft. Das würde sich sofort im Gehalt der Verantwortlichen widerspiegeln.

SZ: Nach was sollen die Menschen streben, wenn nicht nach Wachstum?

Meadows: Es gibt mehrere 100.000 Lebensformen auf der Erde. Alle haben gelernt, dass sie im Einklang mit der Natur leben müssen, wenn sie überleben wollen. Es gibt nur eine Ausnahme: der Mensch. Bis vor wenigen Jahren haben wir ja wenigstens Konjunkturschwächen zugelassen, damit sich Systeme neu ordnen oder konsolidieren konnten. Aber auch das ist mittlerweile schon nicht mehr akzeptabel. Wenn wir nicht mehr die Kraft haben, realwirtschaftlich genügend Wachstum zu erzeugen, dann drucken wir den Lohn dafür, also Geld, eben ohne Gegenleistung. Hauptsache es geht weiter aufwärts.

SZ: Was ist die Alternative?

Meadows: Wie gesagt, ein Leben im Einklang mit der Natur. Das geht mittlerweile aber nurmehr über einen Schrumpfungsprozess, nicht mehr über vermindertes Wachstum, wie es noch in den 1970er Jahren möglich gewesen wäre.

SZ: Gibt es Wege, dies zu erreichen?

Meadows: Einen Versuch wäre es wert. Dazu müsste man aber erst einmal alle Entscheider dazu bringen, langfristig zu denken. In der Wirtschaft über entsprechende Entlohnungssysteme, in der Politik über längere Wahlzyklen. In Amerika würde es schon sehr helfen, wenn man nicht bei jedem neuen Präsidenten mehrere tausend Leute in der Verwaltung mit auswechseln würde.

SZ: Was passiert, wenn die Welt so weitermacht wie bisher?

Meadows: Weil wir in einer globalisierten Welt leben, werden dann alle relevanten Systeme ihre Grenzen auf einmal erreichen. Wenn etwa Amerika nicht mehr Energie produzieren kann, wird es diese zu immer teureren Preisen importieren. In China, wo der Grundwasserspiegel vielerorts rapide sinkt, wird immer weniger Landwirtschaft betrieben werden können. Das Land wird also immer mehr Lebensmittel importieren. Als Konsequenz werden in ärmeren Regionen wie Afrika mehr Menschen sterben, weil sie sich das nötigste zum Leben nicht mehr leisten können - eine Lösung des Bevölkerungsproblems, die uns dann aufoktroyiert wird, weil wir uns nicht rechtzeitig darum gekümmert haben.

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