Unterfranken:Ein Abend, der Würzburg lähmt

Unterfranken: Nach der Tat legen Einwohner Blumen am Tatort ab und zünden Kerzen an.

Nach der Tat legen Einwohner Blumen am Tatort ab und zünden Kerzen an.

(Foto: ARMANDO BABANI/AFP)

Bei einer Messerattacke in der Innenstadt tötet ein 24 Jahre alter Mann drei Menschen und verletzt fünf weitere schwer. Nach der Tat ist das Entsetzen unter den Einwohnern groß. Eindrücke aus einer Stadt in Schockstarre.

Von Clara Lipkowski, Würzburg

Einen Knall habe sie gehört, erzählt Miriam Braig, aber sich erstmal keine großen Sorgen gemacht, was solle am helllichten Tag in Würzburg passieren, habe sie gedacht. Außerdem wohnt sie ja ganz in der Nähe des Barbarossaplatzes, sagt die Studentin, 26, wo sie jetzt auch steht. Da sei immer viel los, auch mal Krawall, gerade jetzt zur EM. Aber als sie dann doch zum Einkaufen das Haus verlässt, sieht sie Polizeikräfte überall, Rücken an Rücken, alles ist abgesperrt. Man rät ihr, wieder nach Hause zu gehen.

Es war kein Krawall wie sonst an dem belebten Umsteigeplatz nahe dem Hauptbahnhof. Hier, wo eigentlich mehrere Bahnlinien halten, eingekauft wird, Gruppen beim Bier sitzen, ist es am Abend unwirklich still. Polizeikräfte bewachen den abgeriegelten Ort. Der Knall, den Braig gehört hatte, war ein Schuss. Er hatte am frühen Abend eine grausame Attacke beendet. Ein Mann hatte drei Menschen erstochen, weitere verletzt, fünf schwer, zwei von ihnen schwebten in der Nacht in Lebensgefahr. Auch ein kleiner Junge ist unter den Verletzten, sein Vater wahrscheinlich tot.

Gegen 17 Uhr war der 24-jährige Mann im Kaufhaus Woolworth offenbar wahllos mit einem Messer auf Menschen losgegangen. Bereits in dem Geschäft kamen die drei Menschen zu Tode. Der Täter lief auf die Straße, mitten auf den belebten Platz. Von den folgenden Szenen kursierten anschließend rasend schnell Videos im Netz. Sie zeigen einen Mann in beigem Pullover, mit weißer FFP2-Maske und einem langen Messer in der Hand. Passanten versuchen irgendwie ihn zu stoppen, teils mit bloßen Händen, weichen zurück. "Hau ihm eine!", hört man aus dem Hintergrund.

Kurz darauf schießt die Polizei ihm in den Oberschenkel. Durchschuss, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) später, er reist noch am Abend nach Würzburg. Der 24-jährige Täter kommt in ein Krankenhaus und kann vernommen werden.

"Zur falschen Zeit am falschen Ort"

Dieser Abend lähmt Würzburg. Die sonst belebten Straßen um den Platz - die vielen Cafés, Bars und Restaurants - sie wirken wie unter einer Glocke, alles ist gedämpft. Auf den Terrassen sitzen Menschen, aber laut gescherzt wird kaum. Es sei viel weniger los als üblich, seit alles wieder aufmachen darf, sagt eine Würzburgerin vor einer Kneipe bei einem Getränk. Man sehe den Gesichtern der Menschen an, dass alle von der Attacke gehört hätten. Viele, die man hier fragt, können nicht fassen, was in ihrer Stadt passiert ist. So ein Attentat, davon hört man, aber direkt hier? Würzburg, die Residenz-, Burg- und Weinstadt am Main, steht unter Schock.

Von einem psychisch kranken Mann spricht Innenminister Herrmann kurz nach der Tat vor einer Traube von Journalistinnen und Journalisten. Und davon, dass offenbar viele Frauen unter den Opfern seien. Der 24-Jährige habe "Allahu Akbar" gerufen, doch für eine Einschätzung, ob der Mann religiös oder politisch motiviert gehandelt habe, sei es zu früh. Der Somalier sei 2015 nach Deutschland gekommen, habe zuletzt in einer Obdachlosenunterkunft gelebt und sei vor wenigen Tagen psychisch auffällig und zwangsweise psychiatrisch behandelt worden, sagt Herrmann. Und dann nutzt er einen Ausdruck, den man an diesem Abend vielfach in der Stadt hört: Die Opfer, wahllos attackiert, "waren zur falschen Zeit am falschen Ort".

Am Samstagmorgen tritt ein sichtlich betroffener Ministerpräsident in Würzburg vor die Kameras. "Ganz Bayern trauert heute", sagt Markus Söder und ordnet Trauerbeflaggung an. Er lobt erneut das Engagement der Menschen, die sich dem Täter in den Weg gestellt haben. "Ganz besonders beeindruckt hat mich das Engagement vieler Bürger", so der CSU-Politiker. Nun müssten Sicherheitsbehörden von Bund und Land klären, warum so etwas passieren konnte. Fragen will er nicht dazu beantworten. Dann wünscht er noch den Angehörigen der Opfer sein Beileid, seine Hoffnung und seine Gebete seien nun bei denjenigen, die am Abend vorher verletzt wurden.

Verstehen, was passiert ist

Einige Menschen zieht es am Abend nach der Tat bereits in die Nähe des Platzes. Es ist noch warm und es scheint, als wollten sie jetzt nicht allein sein. Manche stehen nur da, schauen auf die Polizeikräfte und den Platz, manche unterhalten sich leise. Vielleicht kann man so besser verstehen, was hier passiert ist?

Die Videos im Netz hat auch Osman Fornah, 23, gesehen. Er steht am Rande des Platzes, da, wo jetzt Absperrband flattert und Polizeikräfte alle aufhalten, die durchwollen. Die Spurensicherung ist noch bei der Arbeit, wer am Platz wohnt, wird von Beamten eskortiert. Er sei aus der Richtung des Bahnhofs gekommen, erzählt Fornah, und habe Menschen wegrennen gesehen. Und dann den Mann mit dem Messer in der Hand. Leute hätten mit Stühlen versucht, ihm das Messer aus der Hand zu schlagen, ihn mit Flaschen beworfen. "Das anzusehen war schlimm", sagt Fornah. Eigentlich sei er aus Ochsenfurt nach Würzburg gekommen, um mit seinen Freunden auszugehen, nun streicht er sich mit der Hand über den Kopf, die Stirn in Falten. "Das war schlimm."

Leona Drechsel sitzt auf einer Steintreppe, da ist es längst dunkel. Die 24-jährige Studentin spielt den Abend immer wieder in Gedanken durch. Sie sieht mitgenommen aus. Wenn sie nur fünf Minuten eher losgegangen wäre, doch nicht noch diese eine Zigarette geraucht hätte. Sie will lieber nicht sagen, was hätte passieren können. Vielleicht wäre sie dem Mann mit dem Messer begegnet.

Sie wollte über den Barbarossaplatz zu ihrem Freund, der auf der anderen Seite wohnt. Doch als sie dann losging, kam ihr eine Freundin entgegengerannt. "Sie hat mich weggezerrt, gemeint, da würden Menschen weglaufen und schreien." Also hetzten sie zu der WG einer Freundin, von der Drechsel kam, blieben dort, zwei Stunden lang, in Sicherheit. "Da wurde auch ein Kind angegriffen", sagt Drechsel. Das geht ihr nicht aus dem Kopf, ebenso wenig wie diese fünf Minuten, die vielleicht ihr eigenes Leben gerettet haben.

Bei vielen Menschen kommen Erinnerungen an 2016 hoch. Bei einer Attacke in einem Zug bei Würzburg hatte vor knapp fünf Jahren ein 17-jähriger Geflüchteter aus Afghanistan mit einer Axt und einem Messer Reisende angegriffen, war anschließend geflüchtet und hatte eine Spaziergängerin attackiert. Die Polizei erschoss den Mann schließlich.

Das sei ihr auch "sofort" in den Sinn gekommen, sagt Marie Voit, 25, die neben Miriam Braig steht, die den Schuss gehört hatte. Die beiden sind Nachbarinnen in der Theaterstraße, die direkt zum Barbarossaplatz führt. Sie habe Kopfhörer aufgehabt, nichts gehört, sagt Voit, aber irgendwann gingen die Anrufe los. Da sei was passiert. Und dann sei auch 2016 wieder dagewesen. "Nirgends kann man sich mehr sicher fühlen", habe sie damals gedacht - und jetzt wieder. Auch Voit und ihre Nachbarin hat es nochmal nach draußen gezogen, jetzt, wo alles unter Kontrolle ist. Zu dieser Zeit brennen in manchen Kirchen der Stadt bereits die Kerzen für die Opfer.

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