Bildungspolitik:"Die Politik macht die gleichen Fehler wie im letzten Jahr"

Grundschule in Stuttgart

Jetzt ist der Moment, um darüber zu reden, wie die Abschlussprüfungen nächstes Jahr ablaufen, sagt Johanna Börgermann von der Landesschüler*innen-Vertretung Nordrhein-Westfalen.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Was erwarten junge Menschen vom nächsten Schuljahr? Schülervertreterin Johanna Börgermann über Wechselunterricht, Leistungsdruck und die Angst vor ihrer Abiturnote.

Interview von Lilith Volkert

In den meisten Bundesländern haben die Sommerferien noch nicht einmal begonnen. Trotzdem wird hitzig darüber diskutiert, wie das kommende Schuljahr ablaufen wird - insbesondere seit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angedeutet hat, im Herbst könne wieder Wechselunterricht notwendig werden. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) schloss am Wochenende in den Sendern RTL und NTV coronabedingte Schulschließungen auch nach den Sommerferien nicht aus.

Als Vorstandsmitglied der Landesschüler*innen-Vertretung NRW spricht Johanna Börgermann für 2,5 Millionen Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen. Sie ist 18 Jahre alt und besucht ein Gymnasium in Löhne.

SZ: Frau Börgermann, Sie gehen seit Ende Mai wieder normal zur Schule, nach fünf Monaten Distanz- und Wechselunterricht. Wie geht es Ihnen?

Johanna Börgermann: Es ist ein schönes Gefühl, in den letzten Wochen des Schuljahres wieder ein bisschen Normalität zu erleben. Nicht nur mit Maske und Abstand Klausuren zu schreiben und danach schnell nach Hause zu gehen. Gleichzeitig mache ich mir Sorgen, wenn ich an das nächste Schuljahr denke.

Weil Jens Spahn über Wechselunterricht im Herbst geredet hat?

Das auch, aber ich denke noch weiter. Als Landesschüler*innen-Vertretung NRW versuchen wir dem Kultusministerium gerade klarzumachen, dass wir jetzt schon über die Abschlussprüfungen im nächsten Frühjahr reden müssen. Ich befürchte aber, dass erst mal abgewartet wird und im April wieder Schülerinnen und Schüler in Prüfungen geschickt werden, die nicht gerecht ablaufen. Die Politik macht die gleichen Fehler wie im letzten Jahr.

Johanna Börgermann, honorarfrei

Kritisiert "Leistungsdruck, Unsicherheit, Isolation": Johanna Börgermann.

(Foto: privat)

Was sollte konkret getan werden?

Wir fordern, dass die Lehrpläne angepasst werden. Wer monatelang zu Hause lernen musste, kann nicht dieselben Inhalte parat haben wie die Jahrgänge vor der Pandemie. Außerdem möchten wir, dass Abschlussprüfungen dezentral gestellt werden. Dann können Lehrer berücksichtigen, welcher Stoff nicht ausreichend behandelt wurde.

Sie machen selbst nächstes Jahr Abitur.

Ja, und ich finde es beängstigend, dass die Lernlücken, die meine Mitschüler und ich wegen des Distanzunterrichts haben, sich möglicherweise in unseren Abschlussnoten niederschlagen. Und damit vielleicht auch unser weiteres Leben beeinflussen. Das hat die Politik zu wenig auf dem Schirm.

Sie reden doch regelmäßig mit Yvonne Gebauer, der Kultusministerin von Nordrhein-Westfalen.

Dass man uns anhört heißt leider nicht, dass unsere Vorschläge berücksichtigt werden. Das ist total frustrierend.

Was, wenn es im Herbst wieder Wechselunterricht gibt?

Natürlich hat die Gesundheit von Schülerinnen und Schülern oberste Priorität. Doch wer darüber entscheidet, sollte sich bewusst machen, dass die Chancengleichheit beim Distanz- und Wechselunterricht massiv leidet. Die einen haben nicht einmal einen eigenen Computer, die anderen bekommen einen privaten Nachhilfelehrer.

Glaubt man einer Studie der Universität Frankfurt, dann war der Distanzunterricht während des ersten Lockdowns vom Leistungserwerb her so effektiv wie Sommerferien.

Für uns Schülerinnen und Schüler war das eine sehr stressige Zeit. Da war Leistungsdruck, Unsicherheit, Isolation. Danach gesagt zu bekommen, dass man das alles für nichts gemacht hat - das ist traurig und ernüchternd.

Was würde nach dieser schwierigen Zeit helfen?

Es sollte viel mehr Angebote von Schulsozialarbeitern und -psychologen geben. Viele Schülerinnen und Schüler haben in der Zeit des Distanzunterrichts traumatische Erfahrungen gemacht, von Vereinsamung bis hin zu häuslicher Gewalt. Es darf nicht so getan werden, als wäre das vorbei, nur weil wir wieder zur Schule gehen können.

Was wünschen Sie sich stattdessen?

Das Wichtigste ist, dass wir von diesem Leistungsdruck wegkommen. Wir Schülerinnen und Schüler wollen, dass unsere Bedürfnisse wirklich gesehen und berücksichtigt werden. Wir sind junge Menschen, die sich entwickeln und neben Schulnoten auch andere Probleme haben. Fragt uns doch einfach: Wie gestalten wir das nächste Jahr, damit sich wieder alle in dieser Schule einfinden können?

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