Mordermittler geht in Rente:"Ich bin leichenfest"

Blicke in den Abgrund der Seele: Kriminalhauptkommissar Raimund Eichner, Münchens dienstältester Mordermittler, geht nach fast 30 Jahren in den Ruhestand.

Susi Wimmer

Er hat einen Kollegen des Doppelmordes überführt, Hunderte von Obduktionen gesehen, schreckliches menschliches Leid erlebt. Er hat in den Abgrund der menschlichen Seele geblickt. Viele andere Polizisten würden sich in Szene setzen. Von den Schwabinger Studentenunruhen 1968 erzählen oder vom Olympiaattentat 1972, das er "von der ersten bis zur letzten Minute" miterlebt hat. Dass er bei der Fahndung nach den Oetker-Entführern mitgearbeitet und bei Morden an Prominenten wie Sedlmayr oder Moshammer ermittelt hat, als einer der ersten beim Oktoberfestanschlag am Tatort war und dass er serienweise Mörder zu Geständnissen bewegt hat.

Mordermittler geht in Rente: Raimund Eichner passt nicht wirklich in das Bild des herkömmlichen bayerischen Polizisten: Seine Mutter war Niederbayerin, sein Vater Amerikaner.

Raimund Eichner passt nicht wirklich in das Bild des herkömmlichen bayerischen Polizisten: Seine Mutter war Niederbayerin, sein Vater Amerikaner.

(Foto: Foto: Alessandra Schnellnegger)

Er könnte ein Buch schreiben, sich seiner Taten rühmen, nun zum Abschied. Aber Kriminalhauptkommissar Raimund Eichner geht leise. So leise und bescheiden, wie der Münchner fast 30 Jahre lang als Ermittler in der Münchner Mordkommission seine Arbeit gemacht hat.

Während der Schwabinger Krawalle 1962 war es zu Straßenschlachten zwischen der Polizei und aufgebrachten Studenten gekommen. Und auch in den Jahren danach sollte es rund um die Schellingstraße nicht ruhiger werden. Die Studentenrevolten hatten 1968 gerade ihren Höhepunkt erreicht, als Raimund Eichner sich entschloss, zur Polizei zu gehen: "Ein bisserl Ausbildung, dann wurden wir gleich 'reingeschmissen." Rein in die Krawalle.

Zusammen mit seinen Kollegen hatte er den Auftrag, in Schwabing "Störer zurückzudrängen". Raimund Eichner war damals gerade mal 20 Jahre alt. Er stand einem wütenden Mob gegenüber, der "mit Steinen nach uns warf". Es sei "ein bewegtes Jahr" gewesen, sagt er trocken. Aber aufhören wollte damals keiner. "Die haben uns eingetrichtert: Du hast als Polizist nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und die wollten wir erfüllen. So war das damals."

Wie Inspektor Henry

Dass es den Münchner 1968 zur Polizei verschlug, hatte anfangs rein gar nicht mit hehren Motiven zu tun. Eichner hatte Maschinenschlosser bei der Bahn gelernt und sollte zur Bundeswehr eingezogen werden: "Da dacht' ich, spar' ich mir die Bundeswehr, geh' ich stattdessen zur Polizei." Was ihm da, sagt er, "blühen sollte, das wusste ich nicht".

Bereitschaftspolizei, Einsatzhundertschaft, dann auf das "Revier4" an der Emil-Riedel-Straße in Schwabing. Eichner erlebte die Zeiten der Baader-Meinhof-Gruppe - und er war im Olympiadorf, als 1972 eine palästinensische Terrorgruppe elf Athleten der israelischen Mannschaft als Geiseln nahm. Damals, als 24-Jähriger, musste er mit ansehen, wie sein Kollege am Brucker Flughafen im Feuer der Terroristen starb - und wie insgesamt 15 Menschen zu Tode kamen: "Es war schrecklich." Mehr will er dazu nicht sagen. Aber die Erinnerungen kommen immer wieder hoch.

Anfang 1973 entschließt sich die Münchner Polizei, zivile Einsatzgruppen, ZEG-ler genannt, auf die Straße zu schicken. Die Beamten sollen vor allem nachts ermitteln, in ziviler Kleidung. Raimund Eichner ist einer der ersten Stunde, streift mit einem Kollegen durch Schwabing auf der Suche nach Einbrechern, Dieben und "Gammlergruppen, wie das damals hieß".

"Die Bullen suchen mich"

"Einmal", so erinnert sich Eichner, "kommt per Funk die Meldung von einem Einbruch. Dazu eine Täterbeschreibung." Die ZEG-ler bringen sich mit ihrem Auto an einer Straßenkreuzung in Position und warten. Und tatsächlich kommt ein junger Bursche angerannt, sieht das Auto und die beiden Männer darin, reißt die Tür auf und schreit: "Die Bullen suchen mich, fahrt's mich schnell weg." Das hat der Eichner Raimund dann auch getan.

Eines muss man an dieser Stelle doch dazusagen: Raimund Eichner passt nicht wirklich in das Bild des herkömmlichen bayerischen Polizisten: Seine Mutter war Niederbayerin, sein Vater Amerikaner. Eichner ist dunkelhäutig. In der Filmbranche fand man die Kombination damals so bemerkenswert, dass man daraus eine Rolle für den ebenfalls dunkelhäutigen Halb-Niederbayern Charles M. Huber schnitzte: Eichner stand Pate für die Figur des Inspektors Henry in der Krimiserie "Der Alte".

Die Hautfarbe war für Eichner - anders als für den von vielen Zuschauern beschmipften Schauspieler Huber - unter seinen Kollegen "nie ein Problem". Als Zivilfahnder sei sie sogar von Vorteil gewesen. Wer auf der Ganovenseite vermute schon, dass er Polizist sei? Seine Erfolge bei der ZEG bescherten Eichner den Eintritt in die Kriminalpolizei. 1979 kam er dahin, wo er für den Rest seines Berufslebens blieb: zur MK5, der fünften Mordkommission im Polizeipräsidium.

Der Polizist als Mörder

"Als junger Kriminaler war man da ruhig, hatte nicht viel zu sagen und schaute den Älteren zu, wie alles so geht", erzählt er. Und dann kommt wieder der Satz: "So war das damals." Heute nicht mehr. Damals gab es diese riesigen Karteikarten, "da hat man dann die Eckdaten eines Mordfalls aufgeschrieben". Tatort, Tatzeit, Opfer, Geschädigte. Und dann fein säuberlich in Schachteln geordnet: "Dirnenmorde, Morde im Homo-Milieu."

"Ich bin leichenfest"

Die erste Leiche? Eichner erinnert sich nicht mehr. "Es waren einfach zu viele." Wobei er sich selbst als "leichenfest" bezeichnet. "Ich war 14, als ich als Schlosser bei der Bahn angefangen hab. Da gab's ständig tödliche Betriebsunfälle. Eine Leiche war nichts ungewöhnliches." Wobei - bei der Mordkommission "wurd's dann schon heftiger".

Mordermittler geht in Rente: "Ein bewegtes Jahr", sagt Raimund Eichner heute trocken über seinen Einstieg bei der Polizei. Als er 1968 anfing, waren die Studentenunruhen in Schwabing in vollem Gang. Eichner stand als Neuling in der ersten Reihe, wurde mit Steinen beworfen.

"Ein bewegtes Jahr", sagt Raimund Eichner heute trocken über seinen Einstieg bei der Polizei. Als er 1968 anfing, waren die Studentenunruhen in Schwabing in vollem Gang. Eichner stand als Neuling in der ersten Reihe, wurde mit Steinen beworfen.

(Foto: Foto: dpa)

Im Juli 1996 gerät die Welt von Raimund Eichner gehörig ins Wanken: In einem Waldstück finden Spaziergänger zwei Leichen, beide enthauptet und ohne Hände. Tatverdächtig ist ein Kollege von Eichner, ein 36-jähriger Polizist, Kontaktbeamter am Schwabinger Revier. Eichner ermittelt und hat erst einmal alle Kollegen gegen sich: "Keiner hat sich vorstellen können, dass der nette und lustige Kollege ein kaltblütiger Doppelmörder sein sollte."

Doch dann verwickelt sich der Beamte in Widersprüche, bricht weinend zusammen, "der hat sich nur selbst leid getan", sagt Eichner kühl. Der Mann legt ein Geständnis ab. Er hatte seine Ex-Freundin und deren neuen Lebensgefährten aus Habgier ermordet. Kopf und Hände hatte er abgetrennt, um den Kollegen die Identifizierung der Körper zu erschweren. Und er hatte sich lange überlegt, ob er die Köpfe und Hände vor dem Vergraben in Plastiktüten packen sollte, "aus Umweltschutzgründen".

"Normalerweise stell' ich die Fragen"

Menschen, sagt Eichner, haben schon immer gemordet und werden es immer tun - aus Habgier, Eifersucht, aus sexuellen Motiven heraus oder um eine Straftat zu vertuschen. Egal ob der Täter unter der Brücke lebt oder in einem Penthouse, Eichner weiß morgens nie, was ihn erwartet. "Wenn einer anständig behandelt wird", das ist ein Nebensatz, der im Interview des öfteren fällt. "Wenn einer anständig behandelt wird, dann erinnert er sich vielleicht im Knast mal daran" - und nimmt mit Eichner Kontakt auf, auch um Informationen loszuwerden.

Auf der Seite der Opfer aber ist die Beziehung natürlich eine noch intensivere: "Wir erleben die Menschen in einer Ausnahmesituation, in völliger Hilflosigkeit und Schwäche." Da entstehen Kontakte, die teilweise über Jahre gehen: "Die Leute klammern sich an dich." Da gibt es Angehörige von Opfern, die Eichner auch nach 15 Jahren noch immer anrufen.

Das Büro von Raimund Eichner im so genannten Posteck des Polizeipräsidiums ist recht karg eingerichtet. Kaum private Fotos, an der Pinnwand zwei Blätter, der Schreibtisch aufgeräumt. "Die, die hier sitzen, sollen sich nicht unbedingt wohl fühlen", sagt er und grinst ein bisschen. Es fällt ihm nicht leicht, über sein Leben zu sprechen. "Normalerweise stell' ich die Fragen", meint er dann. "Ja, ich fahr halt raus und red' mit den Leuten und schau, was passiert ist."

DNS-Abgleich, Gendatei, elektronischer Fingerabdruckspeicher

Richard Thiess, Chef der MK5, hat lange dabei gesessen und geschwiegen zu den bescheidenen Ausführungen seines Kollegen, aber jetzt ist Schluss: "Wenn der an einen Tatort kommt, registriert er alles blitzschnell." Wie ist der Schließzustand der Wohnungstüre, befindet sich die Leiche in einer merkwürdigen Lage, wer hat wann verständigt, was stimmt nicht in dem Auffindungsraum? Ganz zu schweigen von Eichners Menschenkenntnis: "Er kann nach ein paar Minuten sagen: 'Der lügt, der weiß mehr als er sagt, oder der hat Angst'."

30 Jahre bei der Kripo - heute lebt Eichner in einem neuen kriminaltechnischen Zeitalter: DNS-Abgleich, Gendatei, elektronischer Fingerabdruckspeicher. Was bleibt da von der klassischen Ermittlungsarbeit? Viel, glaubt Eichner, der die Hightech-Revolution mit gemischten Gefühlen sieht. Der Kern der Ermittlungsarbeit, sagt Eichner, hat sich nämlich auch in 30 Jahren nicht geändert.

Vieles ist technischer geworden, "nicht immer zum Vorteil für die Ermittler". Der DNS-Beiweis beispielsweise: "Für einen Mordermittler sehr hilfreich, er kann aber auch fatale Folgen haben, wenn man nicht vorsichtig damit umgeht." Wenn er einen Altfall von damals aufrollt, hat er etwa 60 Seiten auf dem Schreibtisch. Heute werde kein Fall "unter fünf Leitz-Ordnern Minimum" bearbeitet. Es gibt unzählige Nebenschauplätze, an denen die Ermittler zu kämpfen hätten.

"Ich bin leichenfest"

"Wenn ich einen Türken, der in München geboren ist, vor der Vernehmung nicht belehre, dass er seine ausländische Vertretung benachrichtigen darf, dann sind alle Aussagen, die er später macht, nicht verwertbar." Der Anspruch an die Sach- und Personenbeweise, sagt Eichner, sei enorm gestiegen, "und die Verteidiger lassen heute nichts unversucht, um bei einer Verhandlung wegen Mordes einen Ermittler in Misskredit zu bringen."

"Sensibel sind wir schon"

Auch bei der Jugend nimmt Eichner eine Wandlung wahr: Durch Internet und Fernsehen sinke die Hemmschwelle. "Diese Verrohung gab es früher schon auch", meint er. Aber heute erreiche die Gewalt ganz andere Dimensionen. "Und früher", sagt er, "hat die Jugend die Seite gewechselt, wenn ihnen ein Schutzmann entgegen kam. Heute kommen sie auf dich zu und haun' dir eine vors Schienbein."

Am 26. September 1980 geht Raimund Eichner gegen 22 Uhr mit seiner Frau auf die Wiesn. Zehn Minuten später hören sie einen dumpfen Knall, und dann sieht er Kollegen zum Haupteingang laufen. "Geh' heim, ich komme später", sagt er zu seiner Frau. Am Brausebad sieht er Leichenteile, hört Schreie, überall Chaos, die ersten Sanitäter, "keiner weiß, was los ist". Eichner koordiniert, ordnet, wer kümmert sich um die Angehörigen, war es ein Unfall, ein Anschlag. Die Emotionen sind abgeschaltet.

"Sensibel sind wir schon", räumt Eichner ein. Er rede oft mit Kollegen über das Erlebte, mit Freunden, oder auch mit der Familie. Der Sohn ist auch Polizist: "Als er auf einem Innenstadtrevier eingesetzt war, fand er eine Leiche. Dann kam ich und hab den Fall bearbeitet."

Hilflos im Schnee

Oder der Fall in einem Münchner Vorort: Eine junge Frau, die sich von ihrem brutalen Freund trennen wollte. Sie telefonierte mit ihren Eltern in Norddeutschland, erzählte, ihr sei der Mann nicht mehr geheuer. "Ich hol' Dich gleich ab", bot der Vater an. Sie lehnte ab: "Nein, ich warte noch, bis er heimkommt und rede persönlich mit ihm." Plötzlich war die Tochter abends telefonisch nicht mehr erreichbar. Die Eltern setzten sich ins Auto und fuhren Richtung München.

In der Zwischenzeit war Eichner am Tatort: Der Freund hatte die junge Frau mit mehreren Messerstichen getötet. "Wir wollten nicht, dass die Eltern ins Haus gehen und das sehen", erzählt er. Deshalb beieilten sich die Ermittler mit der Tatortermittlung, hofften, dass der Leichenwagen noch vor den Eltern eintrifft. Schließlich war die Arbeit getan. Eichner stand draußen vor dem Haus in der Einfahrt, dicke Schneeflocken fielen vom Himmel, und er wartete auf die Eltern. Um ihnen zu sagen, das ihre Tochter tot war.

"So war das damals", sagt Raimund Eichner. Nächste Woche räumt er seinen Schreibtisch im Polizeipräsidium aus.

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