Neustart im Prostitutionsgewerbe:Sexarbeit und das Problem mit dem Amtsverkehr

Lesezeit: 2 min

Sexarbeiterinnen standen in der Pandemie vor dem Nichts, Fachverbände verlangten die Gleichbehandlung mit körpernahen Dienstleistungen. (Foto: Max Kovalenko/imago)

Viele Prostituierte in Bayern dürfen wieder arbeiten - eigentlich. Doch die Überlastung der Gesundheitsbehörden bringt für sie neue Hürden.

Von Johann Osel, Nürnberg/München

"Was mache ich nur, könnt ihr helfen?" Anstatt Erleichterung über den Neustart des Prostitutionsgewerbes keimt unter dort tätigen Frauen in Nürnberg Sorge auf. Die kam oft am Telefon bei Manuela Göhring an - beim Verein "Kassandra", der eine Fachberatung für Menschen in der Sexarbeit trägt. Warten und hoffen, dass das mit dem Gesundheitsamt zügig klappt, dass die Ordnungsbehörden tatsächlich kulant sind - mehr konnte Göhring kaum empfehlen.

Es geht um den Arbeitsausweis, den die Prostituierten brauchen, um ihr Gewerbe zu legalisieren, er ist während der Pandemie oft abgelaufen. Dazu gehört eine in der Regel jährliche Beratung beim Gesundheitsamt. Ein Service, den die Behörde nicht anbieten kann - sie ist ohnehin wegen Corona im Ausnahmezustand und wohl überrascht durch die jüngste Neuerung für die Sexarbeit. Nach dem langen Arbeitsverbot eine neue Hürde, indirekt zumindest?

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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat unlängst in einem Eilverfahren Einschränkungen der Prostitution gelockert. Demnach dürfen Prostitutionsstätten öffnen, wozu Stundenhotels und Häuser mit separaten Zimmer zählen. Für Bordelle gilt das, wenn sie ihren "Club-Charakter" abändern - also keinen Barbetrieb, Sauna, Darkroom oder anderes bieten, wo mehrere Personen zusammentreffen.

Gerade klassische Puffs bleiben dem Vernehmen nach häufig weiter zu, weil sich die Öffnung ohne Getränkeumsatz kaum lohne. Die bisherige Regel beeinträchtige die Branche sehr in ihrer Berufsfreiheit, entschied das Gericht, auch im Vergleich mit weiteren "körpernahen Dienstleistungen". An die amtlichen Beratungen für abgelaufene Ausweise wurde bei der Änderung in der Infektionsschutzverordnung anscheinend nicht gedacht.

"Behörden sind auch für Prostituierte Dienstleister", sagt die Landtagsabgeordnete und Sozialpolitikerin Julika Sandt (FDP), die sich des Themas angenommen hat. "Prostituierte brauchen jetzt unbürokratisch Hilfe, damit sie legal ihrer Arbeit nachkommen können." Sonst sei "die Tür in die Illegalität schon halb geöffnet." Es sei klar gewesen, dass auf Ämter viele Beratungsgespräche zukommen. Daher sei es unverständlich, warum sich der Freistaat nicht um sinnvolle Übergangsregeln kümmerte, "anstatt die notorisch unterbesetzten Gesundheitsämter wieder mal zu überrumpeln". Die Beratung, so Sandt, sei abseits aller Formalität wichtig, da es darin neben Gesundheitsschutz um den Umgang mit gewalttätigen Freiern oder die Gefahr von Zwangsprostitution gehe.

Wie die Lage bayernweit ist, kann "Kassandra"-Beraterin Göhring nicht beurteilen. Nach Zahlen auf Anfrage der Landtagsgrünen waren Ende 2019, vor Corona, im Freistaat 8150 Prostituierte gemeldet, in Nürnberg 1428. Das illegale Feld kann "nicht valide geschätzt" werden.

Während in Nürnberg zunächst kein Termin beim Amt oder eine Telefonauskunft zu ergattern war, seien die Meldungen aus Fürth und Erlangen besser - weniger Andrang, sagt Göhring. Das Ordnungsamt der Stadt habe versprochen, ein Auge zuzudrücken bei Kontrollen der Dokumente. "Alles andere wäre ja Wahnsinn", sagt sie. Erfahrene Frauen wüssten, wie etwa ein Tripper aussieht. Doch bald kämen wohl wieder mehr Sexarbeiterinnen aus dem Ausland; der Termin-Stau beim Amt werde noch größer.

Der Ärger komme hinzu zur prekären Corona-Zeit für ihre Klientinnen. "Es war oft reine Existenzsicherung", sagt Göhring. Obdachlosigkeit war ein Thema, wenn Frauen in Bordellzimmern auch wohnten. Häufiger erhalte sie Fragen zwecks Umorientierung, es gibt Bewerbungstrainings - alternative Jobs etwa in der Gastronomie waren in der Krise allerdings Mangelware.

Die Belastung der Gesundheitsämter in Bayern dauere an, "absolute Priorität" habe die Pandemiebekämpfung - insbesondere die Kontaktnachverfolgung und Kontrollen der Hygienevorschriften, teilte das Gesundheitsministerium auf Anfrage mit. Corona-bedingt könne es zu Einschränkungen im Parteiverkehr und Wartezeiten bei Beratungen kommen. Prostituierten könne notfalls bescheinigt werden, "dass eine Beratung zeitweilig nicht angeboten werden kann".

© SZ vom 05.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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