Opernfestspiele:Der Teufel in der Konzernzentrale

Der Freischütz Staatsoper

Die Szene in der Wolfsschlucht gestaltet Dmitri Tcherniakov als Gewaltakt zwischen Männern. Kaspar (Kyle Ketelsen) hat auf Max (Pavel Černoch) geschossen.

(Foto: Wilfried Hösl)

Dmitri Tcherniakovs neue Inszenierung des "Freischütz" ist im Nationaltheater erstmals vor Publikum zu hören. Carl Maria von Webers romantische Oper schillert dabei modern in ihren finstersten Tönen.

Von Klaus Kalchschmid, Bozen/München

Es ist einer jener zauberhaften Momente, für die man die "Freischütz"-Neuinszenierung von Dmitri Tcherniakovs einfach lieben muss: Da ergreift die traumhaft rein singende Golda Schultz als von Vorahnungen geplagte Agathe die Hand eines Kellners. Er ist zart, ebenso jung wie schüchtern, empfindet mit ihr und hört umso neugieriger zu. Agathe singt vom Auge Gottes, das sie mit Liebe wahrnehme, "wär' dies auch mein letzter Morgen". Darunter breitet ihr das Staatsorchester unter Antonella Manacorda einen phänomenal warmen Samtteppich aus.

Jetzt war all dies zum ersten Mal live vor Publikum im Nationaltheater zu hören, im Februar hatte die Inszenierung Corona-bedingt nur im Stream Premiere gehabt.

Auch der vermeintlich alles zum Glück wendende "Eremit" (Tareq Nazmi mit elegant raumgreifendem Bass) tritt am Ende aus der Schar der Kellner, und Max nimmt ihm hoffnungsfroh die Maske ab. Kein Wald, keine Jäger und keine Erbförsterei also gibt es hier: Der pausenlose, zweieinhalbstündige "Freischütz" spielt bei Tcherniakov ebenso kühn wie schlüssig in seinem eigenen Einheitsbühnenbild des Foyers einer Konzern-Zentrale. Hinter Bistro-Tischen befindet sich eine geschwungene holzgetäfelte Wand mit vertikalen Lamellen, durch die man auf Hochhäuser sieht.

Die Dämonen des traumatisierten Soldaten

Der Probeschuss zu Beginn ist hier die von der Belegschaft in der Mittagspause höhnisch kommentierte Mutprobe für einen aufstrebenden Angestellten im Unternehmen seines zukünftigen Schwiegervaters. Im Original ist dieser der Erbförster Kuno, den Bálint Szabó als einen dominant jovialen Widerling gibt: Per Zielfernrohr soll Max einen Passanten erschießen!

In der "Wolfsschlucht" gießt der traumatisierte Kaspar, dem die Stimme des teuflischen Samiel aus seinem eigenen Kopf dringt, keine Kugeln. Vielmehr zielt er mehrfach auf seinen Freund Max, den er in Plastik gewickelt auf die Bühne gezerrt hatte. Dabei zerschießt er einiges Mobiliar. Der smarte, schöne Kyle Ketelsen singt den Ex-Soldaten mit Kavaliersbariton, während die Dämonen hässlich aus seiner versehrten Psyche platzen. Kein Wunder, dass Max dem permanenten psychischen und physischen Druck nicht mehr standhält und am Ende sturzbetrunken wirklich Agathe erschießt. Das glückliche Ende hat er offenbar nur imaginiert.

Pavel Černoch verkörpert diesen unter enormem Leistungsdruck stehenden Mann vom ersten Satz an ("Ich kann nicht auf Lebendiges schießen!") darstellerisch großartig. Černoch ist auch tenoral ein sensibler, gebrochener Charakter, der mal sehr lyrisch, dann fast dramatisch klingen kann. Ännchen (Anna Prohaska) ist hier eine kühle, emanzipierte Karrieristin, die Agathe ob ihrer Schwärmerei für Max die Freundschaft kündigt. Denn wie Zwischentitel à la Stummfilm die Zuschauer aufklären, war sie es, die Agathe in der Zeit der Entfremdung von der Familie beistand und sich wohl auch in sie verliebt hatte.

Antonella Monacorda nimmt sich mit fast enervierender Bedächtigkeit Zeit für diesen immer gewaltiger von Max Besitz ergreifenden Alptraum. Aber das fördert auch den Reichtum von Carl Maria von Webers Partitur an diesem auch im Orchester zunehmend immer dichter werdenden Abend zu Tage.

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