Unterstützung für Zentralasien:"Hilfsbereit für die Probleme der anderen"

Unterstützung für Zentralasien: Kirgistan, hier das zentrale Hochland am See Song Köl, ist ein schönes Land, "wie die Schweiz, nur mit höheren Bergen", sagt Krämmel.

Kirgistan, hier das zentrale Hochland am See Song Köl, ist ein schönes Land, "wie die Schweiz, nur mit höheren Bergen", sagt Krämmel.

(Foto: Privat/oh)

Der Münsinger Zahnarzt Hanns-Werner Hey hat medizinische Geräte nach Kirgistan geliefert, hilft Bedürftigen mit Renten und einem Frauenhaus. Dafür bekam er das Bundesverdienstkreuz. Seine Frau hat großen Anteil daran

Von Benjamin Engel

Es ist ein starker Kontrast. In Münsing hat Zahnarzt Hanns-Werner Hey jahrzehntelang den prächtigen Eichenbaum auf dem Wiesenhügel im Dorfosten vor sich, wenn er in seine Praxis nach München und wieder zurück pendelt. Und wenn das Wetter besonders schön ist, scheinen die Alpen am Horizont bläulich zu schimmern. Von einer stillen Idylle im Alpenvorland spricht er selbst. In den vergammelten Plattenbauten aus der sowjetrussischen Zeit der kirgisischen Hauptstadt Bishkek begegnet er indes dem Elend. In einer Wohnung mit schimmelschwarzen Wänden haust eine Frau mit ihrem blinden Sohn. Sie selbst bräuchte dringend Medikamente gegen Bluthochdruck und für ihre kranken Nieren. Doch das Geld dafür hat sie nicht, weil es gerade so reicht, um das Essen und den Strom für beide zu bezahlen. Eine andere Frau hat als Traktorfahrerin auf einer Kolchose gearbeitet. Jetzt sind ihre Hände und Füße arthrotisch verkrüppelt, und sie kann sich nur schleppend bewegen.

Diesen in Not geratenen alleinstehenden Frauen und Rentnern helfen Hanns-Werner und seine Frau Karla Hey mit Renten von 20 Euro im Monat. Es ist eines von drei Projekten der von ihnen 2005 initiierten Kirgistan-Hilfe. In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten hat Hanns-Werner Hey kirgisische Krankenhäuser mit medizinischen Geräten zur Basisdiagnostik ausgestattet. Zudem konnte er dank der Spenden 16 komplette zahnmedizinische Behandlungsplätze und 1160 Umzugskartons mit warmer Kleidung und Schuhen in das zentralasiatische Land liefern. Mit Geld unterstützt die Kirgistan-Hilfe seit 2011 die Frauenschutzorganisation "Sezim" und konnte im Vorjahr sogar den Kauf eines eigenen Hauses finanzieren.

Hanns-Werner und Karla Hey Bundesverdienstkreuz Kirgistan-Hilfe Münsing

Karla und Hanns-Werner Hey helfen Menschen in Kirgisien, wofür er vom Bund im Juni ausgezeichnet wurde.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Für sein Engagement hat Hanns-Werner Hey im Juni die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland bekommen. In einem Buch hat er seine Erfahrungen aus 15 Jahren medizinischer und humanitärer Hilfe verarbeitet. Er schreibt selbstkritisch, er habe die gravierendsten Mängel bestenfalls lokal und punktuell behoben. Die Minirenten und Minikredite von 500 Euro - zurückzuzahlen innerhalb von zwei Jahren - sind für ihn nur der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein. Doch am Tisch im Garten seines Hauses im Münsinger Ortsteil Ammerland sagt Hey auch, dass er für sein privilegiertes Leben im Ruhestand - 2005 übergab er seine Münchner Zahnarztpraxis an einen Nachfolger - etwas habe zurückgeben wollen. Dass er in einem sicheren Umfeld wohnen und leben könne, sei nicht nur eigenem Verdienst, sondern auch glücklichen Umständen zu verdanken. Daraus ergebe sich die Verpflichtung "offen und hilfsbereit für die Probleme der anderen zu sein".

Für medizinische Hilfseinsätze war Hey 2005 in die indische Region Ladakh und nach Äthiopien gereist. Beide Male hatte ihn seine Frau begleitet. Auf Kirgistan brachten sie die Bücher des dortigen Schriftstellers Tschingis Aitmatow, die das Ehepaar begeistert liest und von dessen Beschreibungen des Lebens und der Landschaften sie beide schwärmen. Über das Land informierte sich das Ehepaar bei dem Wolfratshauser Bauunternehmer Reinhold Krämmel. Der damalige Honorarkonsul des angrenzenden Nachbarlandes Kasachstan und heutiger Honorarkonsul von Kirgistan wurde zu einem wichtigen logistischen Unterstützungspartner. Schwierig sei das Engagement trotzdem gewesen, etwa weil die korrupte Bürokratie die Einfuhr erschwert habe oder zahlreiche Geräte und Instrumente einfach verschwunden seien. Diese wurden wohl verkauft, um an Geld zu kommen.

Mehr als 300 Menschen haben in all den Jahren an die unter dem Dach der Bayerischen Ostgesellschaft (BOG) angesiedelte Kirgistan-Hilfe gespendet. Unternehmen, Arzt- und Zahnarztpraxen überließen medizinisches Material und Geräte von der Sonografie bis zum Röntgengerät oder auch Krankenhausbetten und Rollstühle kostenlos oder zu reduzierten Preisen an die Organisation.

Besonders gefragt war die Hilfe etwa im südwest-kirgisischen Mayluu-Suu. Der Stadtname bedeutet übersetzt "Öliges Wasser", weil in der Umgebung Erdöl gefördert wird. Bis in die 1960er-Jahre wurde dort allerdings Uran abgebaut und weiterverarbeitet. Die Gegend ist stark strahlenbelastet. Ein New Yorker Institut zählte die Stadt zu den zehn giftigsten Orten auf der Erde. "Wer weggehen kann, tut es", schreibt Hey in seinem Buch "Vom Wälzen schwerer Steine". Von erschütternden Zuständen in Krankenhaus und Klinik bei einem Besuch im Jahr 2008 spricht er. Die Aufnahmen des Röntgengeräts aus dem Jahr 1950 seien zur Diagnose unbrauchbar. EKGs und Sterilisatoren fehlten. Die beiden Zahnärzte im Haus hätten nur eine schnurgetriebene Bohrmaschine.

In den patriarchalen, islamischen Strukturen Kirgistans seien Frauen in der Ehe weitgehend schutzlos der Gewalt ihrer Männer ausgeliefert, sagt Hey. Die Justiz schiebe Übergriffe gerne in den Bereich der Privatangelegenheit. Daher unterstützte die Kirgistan-Hilfe seit 2011 das Frauenhaus Nur ("Licht der Hoffnung") der Organisation Sezim. In der Einrichtung konnten bis zu sechs Frauen mit ihren Kindern für ein halbes Jahr wohnen, sich gegenseitig unterstützen und ihr künftiges Leben planen. Die Kirgistan-Hilfe finanzierte mit ihren Spenden die Miete, Strom und Heizung.

Wegen ihres Alters haben sich die Heys inzwischen aus dem Frauenhaus-Projekt zurückgezogen. Weil sie es dauerhaft sichern wollten, haben sie nach einem Haus zum Kauf gesucht, was ihnen auch 2020 gelang. 100 000 Euro haben sie dafür an Spenden gesammelt. Ihre Freundin Eleonore von Rotenhan flog nach Kirgistan, um mit der Organisation Sezim ein passendes Objekt zu finden. Das Haus bietet für bis zu acht Frauen mit ihren Kindern eine temporäre Zuflucht.

Um Frauen aus dem Nur-Haus beim Aufbau einer Berufsexistenz zu helfen, hat Karla Hey ein System von zinslosen Minikrediten initiiert. Wer die 500 Euro bekommt, muss das Geld innerhalb von zwei Jahren zurückzahlen. So konnte eine Frau sich laut Hey mit einer Schneiderei selbständig machen und beschäftigt heute zehn Frauen. Im Frauenhaus hatte sie mit ihren damals drei Kindern Schutz gesucht, weil ihr Mann gewalttätig war. Sie zog zu ihm zurück, wurde schwanger und kam wieder ins Frauenhaus, weil ihr Mann sie ohne Geld verließ.

Am besten beschreibt wohl ein Satz des Schriftstellers Aitmatow das bisweilen mühselige Engagement des Ehepaars Hey. "Der Mensch muss jeden Tag aufs Neue Mensch werden."

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