Nachruf:Der Comicforscher

Reinhold Reitberger, Autor des Grundlagenwerkes "Comics. Anatomie eines Massenmediums", ist Ende Juni gestorben. Der Kontakt zu seinen Weggefährten war zuletzt abgebrochen

Von Jürgen Moises

Weißt du etwas vom Reinhold Reitberger? Weißt du, was der jetzt macht? Fragen wie diese gab es in den vergangenen Jahren immer wieder in der Münchner Comicszene. Aber: "Keiner. Keiner. Niemand wusste was." So berichtet es Rainer Schneider, Mitglied des Comic-Vereins Comicaze und Mitarbeiter des Münchner Comicfestivals, am Telefon. "Ich habe ihn sehr gerne gemocht, war ihm auch freundschaftlich verbunden. Aber er war dann irgendwie weg." Selbst die Adresse, die Telefonnummer wusste keiner. Dabei war Reinhold Reitberger nicht irgendeiner in der Comicszene, sondern ein "Ersttäter", nahezu "göttergleich", sagt Schneider. Im Jahr 1971 hat er mit Wolfgang J. Fuchs "Comics. Anatomie eines Massenmediums" herausgebracht und damit vor 50 Jahren die erste ernsthafte, deutschsprachige Auseinandersetzung mit dem Medium.

Heute gilt das Buch als Grundlagenwerk der deutschen Comicforschung. Auch die deutsche Fan-Szene hat sich davon ausgehend formiert. Eine ähnliche Wirkung hatte drei Jahre später die von Reitberger organisierte Ausstellung "Comics" im Münchner Stadtmuseum. Die erste große deutsche Ausstellung zum Thema und für viele ebenfalls eine Initialzündung. So heißt es auf der Webseite der ältesten deutschen Comic-Zeitschrift Comixene, die sich 1974 gegründet hat: "Am 1. März 1974 eröffnete das Münchner Stadtmuseum eine Ausstellung mit dem Titel 'Comics'. Eine Sensation, die die wenigen Comicfans jener Zeit elektrisierte."

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(Foto: Bernd Glasstetter)

Genauso wie im Fall der "Anatomie" geschah dies dank Reitberger in München, wo er am 25. Dezember 1946 geboren wurde. Und wo er nun auch gestorben und am 25. Juni auf dem Ostfriedhof beerdigt worden ist. Dass man davon weiß, ist einer Bestattungsmeldung zu verdanken, die der Leiter des Münchner Comicfestivals Heiner Lünstedt von einem Freund erhalten hat. "Reitberger, Reinhold, Grafiker, 74 Jahre" war darin zu lesen. Und dann war die Frage: Kann das unser Reinhold Reitberger sein? Ein Abgleich mit dem Geburtsdatum hat nach ein paar Tagen Rätselraten die traurige Nachricht bestätigt.

Auch für Lünstedt bedeutet das, dass er damit nicht nur ein prägendes Vorbild, sondern einen Freund verloren hat. Im Umfeld von Comicaze waren sie sich begegnet, haben zusammen auf der Praterinsel den Comic-Flohmarkt organisiert. Im Jahr 2009 durfte er dann beim Comicfestival Wolfgang J. Fuchs und Reinhold Reitberger den PENG-Preis für ihr Lebenswerk überreichen. "Das war, würde ich sagen, mein letzter Kontakt." Sein erster war die "Anatomie eines Massenmediums", die in mehreren Auflagen erschien. Auch Reitbergers Walt-Disney-Biografie habe er "rauf und runter gelesen", die 1979 als Rororo-Monografie herauskam und, so Lünstedt, auch heute noch Bestand habe.

Nachruf: 1971 hat Reinhold Reitberger die erste ernsthafte, deutschsprachige Auseinandersetzung mit dem Medium Comic veröffentlicht. Ein Standardwerk für alle Fans.

1971 hat Reinhold Reitberger die erste ernsthafte, deutschsprachige Auseinandersetzung mit dem Medium Comic veröffentlicht. Ein Standardwerk für alle Fans.

(Foto: Bernd Glasstetter)

Reitberger und der 2020 verstorbene Fuchs waren Jugendfreunde, die sich für US-Comics begeisterten, an die sie über die GIs in den Kasernen herankamen. In den Achtzigerjahren zeichneten sie Werbecomics wie "Barney, der Plantagenbär", machten Comic-Beiträge fürs Fernsehen. Irgendwann trennten sich die Wege. Fuchs machte sich als Übersetzer von "Prinz Eisenherz" und Donald-Duck-Experte einen Namen. Reitberger, der Amerikanistik und Kommunikationswissenschaft studiert hatte, konzentrierte sich auf Jugend- und Witzebücher, tauchte in der Comicszene nur noch am Rande auf. Was nach 2009 passierte, weiß keiner. Außer vielleicht Reitbergers Schwester, seine Ex-Frau oder die Tochter, die dieser laut Rainer Schneider hinterlässt.

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