Prognose:Rohstoffe der Zukunft werden knapp

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Einige Modehersteller wollen bald nur noch nachhaltig angebaute Baumwolle verarbeiten. Doch zunächst übersteigt die Nachfrage das Angebot.

(Foto: Joerg Boethling/imago images)

Batterie statt Benzinmotor, Wasserstoff statt Erdgas: Weil sich Staaten und Firmen umstellen, wächst die Nachfrage enorm. Das zeigt eine Studie.

Von Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf

Wenn Europa im Jahr 2050 ein klimaneutraler Kontinent sein will, dann wird die Wirtschaft andere Rohstoffe benötigen: Die meisten Autos dürften mit Batterieantrieb fahren statt mit Benzin oder Diesel. Plastikhersteller müssen mehr recyceln, statt immer neues Erdöl zu verarbeiten. Und Stahlwerke wollen Wasserstoff statt Kokskohle verbrennen. "Das Rennen um die Nachhaltigkeit hat begonnen", schreibt die Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG): Immer mehr Regierungen und Investoren stehen klimaschädlichem Wirtschaften im Weg, viele Firmen müssen sich verändern.

Und doch bremsen BCG-Autoren nun ein wenig die Erwartungen: Der Bedarf an nachhaltigen Ressourcen werde in vielen Bereichen wahrscheinlich schneller wachsen als das Angebot, warnen die Unternehmensberater. "Uns erwartet ein Zeitalter der Nachhaltigkeitsknappheit." Schon heute sei manch drohende Knappheit erkennbar. Es ist wie eine Mahnung an Firmen und den Staat: Wer nicht vorsorgt, dem könnten zunächst die Rohstoffe für den Wandel fehlen.

Beispielsweise haben mehrere große Modehersteller angekündigt, dass sie bis 2025 nur noch nachhaltig angebaute Baumwolle verarbeiten wollen. Doch BCG hat da Bedenken: Zuletzt sei nur ein Fünftel der Baumwolle weltweit nachhaltig erzeugt worden. Das Angebot werde "voraussichtlich nicht schnell genug wachsen, um die Nachfrage zu befriedigen", prognostiziert das Beratungsunternehmen. So koste es Landwirten zunächst viel Geld, auf nachhaltigen Anbau umzusatteln.

Ein ähnliches Bild bei recyceltem Kunststoff: Viele Konsumgüter-Hersteller wollen mehr wiederverwertetes Plastik in ihren Verpackungen verwenden. Doch zumindest bis 2025 dürfte die Nachfrage nach recyceltem PET das Angebot deutlich übersteigen, heißt es von BCG. Immerhin: Konzerne wie Nestlé oder Unilever haben über Fonds schon mehrere Millionen an Wagniskapital zur Verfügung gestellt, damit weltweit mehr Recycling-Systeme entstehen und das Angebot steigen kann.

Firmen sind drohenden Knappheiten nicht schutzlos ausgeliefert

Was den Wandel der Autoindustrie betrifft, verweisen die Autoren auf Forscher der US-Firma Cairn Energy Research. Demnach dürften Batteriehersteller im Jahr 2030 dreimal soviel Lithium oder Nickel, Kobalt oder Mangan benötigen, wie von diesen Ressourcen derzeit verfügbar sei. "Dies stellt ein erhebliches Risiko für Unternehmen dar, die Elektrofahrzeuge und Energiespeichersysteme herstellen", warnt die Beratungsfirma.

Freilich seien Unternehmen solch drohenden Knappheiten nicht schutzlos ausgeliefert - im Gegenteil: Man könne sie auch in einen Wettbewerbsvorteil verwandeln, schreibt BCG. Beispielsweise haben Autohersteller wie VW oder Tesla langfristige Verträge mit Rohstofffirmen geschlossen, um sich ausreichende Mengen der entscheidenden Metalle zu sichern. "Um mit Nachhaltigkeit zu profitieren, muss ein Unternehmen schnell handeln", folgern die Autoren.

Das gilt auch für Wasserstoff, der - mit viel Ökostrom gewonnen - künftig Flugzeuge und Schiffe antreiben, Chemiefabriken und Stahlwerke versorgen könnte, sodass diese Wirtschaftszweige endlich Alternativen zu fossilen Ressourcen hätten. BCG prognostiziert, dass die Welt in den nächsten Jahrzehnten 100- bis 200-mal so viel "grünen" Wasserstoff herstellen müsste wie heute. Doch noch seien Kapazitäten begrenzt, die nötigen Elektrolyse-Anlagen zu bauen, konstatiert die Beratungsfirma. Und es braucht nun mal sehr viel Ökostrom, um Wasserstoff klimaneutral zu erzeugen.

Allerdings lässt sich festhalten, dass in der hiesigen Industrie erste Anlagen und Zwischenschritte entstehen. Beispielsweise hat der Ölkonzern Shell kürzlich einen Wasserstoff-Elektrolyseur in Deutschlands größter Raffinerie im Rheinland in Betrieb genommen. Konzerne wie BP oder Evonik knüpfen Partnerschaften, um "grünen" Wasserstoff aus Norddeutschland künftig in der Ruhrindustrie einsetzen zu können. Und Stahlhersteller wie Thyssenkrupp oder Salzgitter planen neue Anlagen, die Eisenerz in einem ersten Schritt mit Erdgas statt mit Kohle weiterverarbeiten; das spart schon mal einen Teil der CO₂-Emissionen ein. Sobald "grüner" Wasserstoff großflächig und günstiger verfügbar ist, soll er das Erdgas ersetzen. Der Staat will den Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft mit mehreren Milliarden Euro fördern, auch internationale Partnerschaften sollen entstehen.

Doch was können Unternehmen machen, deren CO₂-Ausstoß sich nicht schnell senken lässt - beispielsweise, weil die nötigen Technologien dafür noch fehlen? Mehr und mehr Firmen kaufen Zertifikate, die garantieren sollen, dass die emittierte Tonne Treibhausgas an anderer Stelle ausgeglichen wird - etwa durch internationale Aufforstungsprojekte. BCG prognostiziert nun, dass selbst solche sogenannten Carbon Credits in den nächsten zehn Jahren knapp sein dürften. So groß ist offenbar der Druck zur Veränderung.

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