Pandemie-Politik:30 Stunden ohne Dauerkritik

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Gute Laue mit kleiner Unstimmigkeit: Jens Spahn und WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf. Die deutsche Flagge hatte jemand leider falsch herum drapiert. (Foto: Thomas Koehler/imago images/photothek)

Jens Spahn besucht die WHO und seinen Amtskollegen in Slowenien und wird dort begeistert empfangen. Der CDU-Politiker freut sich sichtlich über seine internationale Bedeutung. Es ist vielleicht sein letzter Auslandstrip als Bundesgesundheitsminister.

Von Angelika Slavik, Genf/Ljubljana

Es kommt in diesen Tagen nicht oft vor, dass Menschen von Jens Spahn begeistert sind, aber Tedros Adhanom Ghebreyesus ist ein großer Fan. "Jens, my friend", ruft er. "Thank you and vielen Dank. Vielen Dank again." Spahn lächelt. So viel positives Feedback wie vom Sprachkünstler Tedros hat er lange nicht bekommen.

Spahn, der Bundesgesundheitsminister, ist nach Genf gereist, zum Hauptsitz der Weltgesundheitsorganisation WHO. Er unterschreibt hier einen Vertrag, mit dem Deutschland 260 Millionen Euro für das ACT-A-Programm zusichert, das die Impfstoffversorgung der Entwicklungsländer regeln soll. Das erklärt die demonstrative Begeisterung des WHO-Chefs Tedros für seinen Besucher - Geldgeschenke sind ja ein international erprobter Stimmungsgarant. Für Spahn aber ist dieser Trip, der ihn erst nach Genf und dann in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana führen wird, wie ein Ausflug in eine andere Welt: 30 Stunden Pause von der Kritik daheim. Vom Rechnungshof, der seinem Ministerium Geldverschwendung und chaotische Zustände vorwirft, vom Koalitionspartner, der ihn menschenverachtend genannt hat, von den Medien, die ständig neue, immer unangenehme Fragen stellen.

Unterschrift unter die Verträge im "Indian Room" der WHO, der sich durch eine beeindruckende Zahl an Buddha-Statuen auszeichnet. Tedros strahlt. Posieren vor den Flaggen, man kennt das Bild. Tedros strahlt noch breiter. Auch Spahn freut sich sichtlich über seine internationale Bedeutung. Erst hinterher wird auffallen, dass irgendwer die deutsche Flagge falsch herum montiert hat. Spahns Pressesprecher kriegt die Krise beim Gedanken an die Fotos: Sein Minister vor einer falschen Deutschland-Flagge, das kann er echt nicht brauchen. Nicht noch mehr Theater.

Wer Jens Spahn beobachtet, muss sich natürlich die Frage stellen, wie es soweit kommen konnte. Wie einer, in den Deutschland noch vor einem Jahr ganz verliebt war, der für sein Krisenmanagement gefeiert wurde, sich nun fragen muss, ob das wohl seine letzte Auslandsreise als Bundesgesundheitsminister ist. Ob nach der Wahl überhaupt noch ein Platz für ihn im Kabinett sein wird, ist unklar, selbst wenn die Union regiert. Klar, Armin Laschet schuldet ihm eigentlich was. Schließlich hatte Spahn sich beim Kampf um den Parteivorsitz auf Laschets Seite geschlagen, als die Zeiten besser waren und seine Stimme Gewicht hatte. Aber seither ist viel passiert, und mit Loyalität in der Politik ist das ohnehin so eine Sache.

Ist Spahn am Föderalismus gescheitert?

In Spahns Umfeld sehen sie es so, dass der Aufstieg ihres Ministers eigentlich am Föderalismus gescheitert ist. Die Kompetenzen des Bundes haben ihre Grenzen, die Frage, wie sich die Schulen auf den Herbst vorbereiten zum Beispiel ist zunächst mal Ländersache. Wie die Impfungen koordiniert, wie Impfskeptiker überzeugt werden sollen, auch. Aber natürlich interessiert diese Zuständigkeitsmeierei niemanden, der daheim drei Kinder im Homeschooling managen muss. In der öffentlichen Wahrnehmung ist Spahn der Pandemie-Minister, der all diese Dinge gefälligst hinbekommen soll. Sein eigener Anspruch wäre das auch, eigentlich. Aber die vergangenen eineinhalb Jahre haben auch an ihm gezehrt. Dass es nicht gelungen ist, die Länder von einem einheitlichen Kurs zu überzeugen, auch nicht in der schlimmsten Phase der Pandemie, das hat im Bundesgesundheitsministerium viele frustriert, den Chef aber habe es verändert, heißt es. Als habe er sich damit abgefunden, dass er die Zuneigung der Öffentlichkeit nicht mehr zurückbekommen wird, zumindest nicht mehr in diesem Amt. Und als sei ihm der Kampfgeist abhanden gekommen. Er macht jetzt einen Vorschlag, dass die Länder doch bitte Luftfilter für die Schulen anschaffen sollten zum Beispiel. Und wenn dann keiner hört und die Mittel für die Luftfilter liegen bleiben, dann ist es eben so.

Seine letzte Auslandsreise als Minister? Jens Spahn im Flieger nach Genf. (Foto: Thomas Koehler/imago images/photothek)

Zur Wahrheit gehört, dass zumindest an einem Teil seiner Probleme nicht die Länder schuld sind. Die zweifelhafte Maskenbeschaffung, die schlampige Testverordnung, die es Betrügern leicht gemacht hat, das Abendessen mit Spendern, während der Rest der Republik social distancing üben sollte: Den Spitzenplatz im Beliebtheitsranking hat er schon auch selbst vernudelt.

"Erfolge, um die uns viele beneiden"

Nächster Morgen, Spahn spaziert mit seinem slowenischen Amtskollegen Janez Poklukar durch die Altstadt von Ljubljana. Die Slowenen zeigen ihm eine Teststation in einem Laden, der sonst Kochlöffel verkauft. Spahn übt sich in routinierter Interessensbekundung. Nickt, schaut, streut hie und da ein "very good" ein. Dann mit der Standseilbahn hoch zur Burg von Ljubljana. Immerhin geht es nach oben, nur keine unglückliche Symbolik riskieren. Eine Pressekonferenz mit Poklukar, auch die portugiesische Amtskollegin Marta Temido ist zugeschaltet. Spahn sagt, er wolle das ECDC, das Europäische Zentrum für Kontrolle und Prävention von Krankheiten stärken. Es müsse so eine Art "Europäisches Robert-Koch-Institut" werden. Außerdem konstatiert er, es gebe "Erfolge, um die uns viele Regionen auf der Welt beneiden". Die Reiseregeln, die Corona-Warn-App, das alles hätten Europas Gesundheitsminister in Rekordzeit koordiniert. Die Amtskollegen finden auch, dass Deutschland total gut durch die Pandemie gekommen ist.

Derweil steigen daheim die Inzidenzen wieder, begleitet von einer Diskussion darüber, ob Inzidenzen jetzt eigentlich noch Aussagekraft haben oder nicht. Ob man öffnen und lockern oder doch wieder alles runterfahren sollte. Warum die Impfkampagne stockt. Spahn nimmt in Slowenien noch eine Podiumsdiskussion mit. Botschaft, na klar, die Pandemie ist nicht vorbei. Am Ende überreicht Spahn den Gastgebern ein Geschenk: ein Berliner Bär aus Porzellan. "Wir schenken immer den Berliner Bären aus Porzellan", sagt er nachher. Da sitzt er schon im Flieger zurück in die Heimat. Die Atempause ist offiziell vorbei.

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