Corona-Bilanz:Im Wechselunterricht der Gefühle

Der Schulalltag war lange eine gut eingeübte Routine - bis Corona kam und alles immer wieder auf den Kopf stellte. Nun geht ein Schuljahr zu Ende, das es so noch nie gab. Acht ganz persönliche Erinnerungen

Von Moritz Hackl

ABITUR 2021

Geschafft: Zumindest die Abiturienten haben trotz bislang nie dagewesenen Umständen ihre Schullaufbahn hinter sich gebracht - und sind "planlos ans Ziel" gekommen, wie es auf der Mauer am Schäftlarner Berg in der Nähe des Klostergymnasiums heißt. "L-ABI-rinth" lautet, passend zum Corona-Jahr, das Motto des wohl historischen Jahrgangs.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Das auslaufende Schuljahr war ein einziger Ausnahmezustand. Schüler, Lehrer und Eltern mussten sich angesichts der Pandemie immer wieder neuen Regeln und Herausforderungen stellen. Das hat viel Kraft, Nerven, aber auch viel Kreativität gefordert. Acht Akteure erzählen aus ihrem persönlichen Blickwinkel, wie sie das Schuljahr 2020/21 erlebt haben.

Die Abiturientin

Abitur 2021

Stephanie Böttcher

(Foto: privat/oh)

Sie hat gerade die Schule abgeschlossen, einen Meilenstein in ihrem jungen Leben erreicht. Doch für Stephanie Böttcher fühlt es sich anders an. "Alle haben immer erzählt, dass die zwei Jahre in der Oberstufe die schönste Zeit an der Schule sind", sagt die Abiturientin des Sankt Ursula Gymnasiums in Lenggries. Sie habe das aber nicht so erlebt: Der ständige Wechsel von Fern- und Präsenzunterricht, die Freundinnen nur über den Computer zu sehen, mit soviel Lernstoff und Druck alleine zurechtkommen zu müssen - das alles sei vor allem anstrengend gewesen. "Und das, obwohl die Lehrerinnen sich wirklich sehr bemüht haben", sagt sie. All die Erfahrungen, die normalerweise das letzte Jahr an der Schule so besonders und das Ende eines Lebensabschnitts erfahrbar machen, seien ausgefallen: keine Parties mit der Klasse, keine Studien- oder Abschlussfahrten.

Als am Ende des Schuljahrs dann doch wieder Präsenzunterricht möglich war, seien der Stress und die Anstrengungen des Coronajahres bei all ihren Mitschülerinnen deutlich spürbar gewesen. "Wir saßen zusammen im Oberstufenraum, aber haben nicht miteinander gesprochen", sagt die 17-jährige. Was ihre Pläne für die Zeit nach der Schule angeht, sei sie sich noch nicht ganz sicher. Nachdem auch das geplante "Work and Travel"-Jahr wegen der Pandemie ausfallen musste, bleibe sie erst einmal bei ihren Eltern wohnen und suche sich einen Minijob. "Ich fange dann erst nächstes Jahr an zu studieren", sagt Böttcher. Schließlich wolle sie nicht auch im Studium nur gleich wieder vor dem Computer sitzen. "Irgendwann wäre ein bisschen Normalität auch ganz gut."

Der Schulleiter

Abitur 2021

Matthias Langensteiner

(Foto: privat/oh)

Matthias Langensteiner hätte sich einen ruhigeren Start in sein Amt als Direktor gewünscht. Doch seit er die Führung des Penzberger Gymnasiums übernommen hat, herrscht coronabedingt Ausnahmezustand. Obwohl er mit einem tollen Team und einem engagierten Lehrkörper zusammenarbeite, sei es ein "schwieriges Jahr" gewesen, sagt er. Zwischen 60 und 70 Prozent seiner Arbeitskraft fokussiere sich darauf, die Schule möglichst ruhig durch die Pandemie zu schippern. Und das wurde ihm nicht leicht gemacht. Vom Distanz- zum Wechselunterricht und wieder zurück: Ständig gab es etwas Neues zu beachten, immer mussten gerade ausgearbeitete Pläne über den Haufen geworfen und neu konzipiert werden. "Ich konnte dieses Jahr meinen Job noch nicht so machen, wie es sein sollte", resümiert Langensteiner. Schließlich sei er "im Schweinsgalopp" von einem Problem zum nächsten geeilt. Doch die beruflichen Herausforderungen waren nur das eine. Er hatte auch kaum Möglichkeiten, seine neuen Kollegen kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Schon im November kam der zweite Lockdown, das neue Team konnte sich nur über Videokonferenzen miteinander abstimmen. "Und natürlich sind alle Veranstaltungen gesellschaftlicher Art ausgefallen", sagt Langensteiner mit Bedauern. Immerhin: Ein paar Fußballspiele der Europameisterschaft konnten die Lehrer dann gemeinsam ansehen. "Es geht voran", sagt der Direktor. Wie genau, könne er allerdings noch nicht sagen. Noch wisse er nicht, welche Vorgaben es zum neuen Schuljahr geben wird. Auch ein coronagerechter Ausbau des Schulgebäudes mit Luftfilteranlagen liege bei den Verantwortlichen des Landkreises Weilheim-Schongau. "Wir hoffen auf ein entspannteres Jahr", sagt Langensteiner. "Aber eigentlich sind wir machtlos."

Die Lehrerin

Abitur 2021

Angelika Krisam

(Foto: privat/oh)

"Ich hatte in diesem Schuljahr das Gefühl, mein Beruf ist weg", sagt Angelika Krisam. Seit 20 Jahren ist sie nun schon Lehrerin am Ickinger Gymnasium. Was sie an ihrem Beruf am meisten liebe, sei die Begegnung mit den Schülern - die Dynamik, die sich zwischen einer Klasse und der Lehrerin entwickeln könne. Das alles war im vergangenen Schuljahr wie weggeblasen. "Es war nichts mehr von dem möglich, was ich mir in meiner Zeit als Lehrerin an Routine erarbeitet habe", sagt sie. Stattdessen musste sie sich mit ihrem Computer auseinandersetzen, den sie sonst nur als Schreibmaschine mit Bildschirm verwendet hatte. "Aber mittlerweile bin ich eingezogen in mein digitales Klassenzimmer. Und das werde ich auch in Zukunft nutzen", sagt Krisam und lacht.

Zum Lachen zumute war ihr im vergangen Schuljahr eher selten, gesteht Krisam. Sie habe noch nie so viel gearbeitet, berichtet die Lehrerin für Englisch und Sport. Wenn ihre Schüler beim Fernunterricht hinter den Kacheln auf dem Bildschirm verschollen schienen, rief Krisam sie danach an, um zu fragen, ob bei ihnen auch alles in Ordnung sei. Auch die Schüler haben ihre Handy- und Festnetznummer bekommen, falls es Redebedarf gebe. Und den gab es. "Ich konnte das alles nur anbieten, weil ich eine Teilzeitstelle habe", sagt Krisam. Doch auch ihre Kollegen in Vollzeit hätten alle viel mehr Zeit investiert, als sie bezahlt bekämen. Im Sportunterricht musste Krisam besonders kreativ sein - von Ernährung über Regelkunde bis hin zu digital ausgetragenen Wettkämpfen zog sie alle Register. Im Herbst werde es vor allem darum gehen, entstandene Defizite aufzuarbeiten. "Ich hoffe wirklich inständig, dass das nächste Schuljahr normaler wird als dieses."

Die Referendarin

Abitur 2021

Anna-Maria Baumeister

(Foto: privat/oh)

Als Anna-Maria Baumeister im Februar ihre Referendarsstelle am Gymnasium Geretsried antrat, saß sie erst Mal vor den Kacheln einer Video-App, anstatt im Klassenzimmer zu stehen. "Das war natürlich unschön", sagt die 25-jährige. Nach sechs Jahren an der Uni habe sie sich darauf gefreut, endlich ihr Wissen in der Praxis anzuwenden, vor einer Klasse zu stehen und von den Dingen zu erzählen, die sie begeistern: Französisch, Geschichte und Sozialkunde. Doch dann kam der Distanzunterricht, und ihr Wissen schien nicht mehr so recht zur Praxis passen zu wollen. "Man wird für etwas ausgebildet, was momentan nicht die Normalität ist", sagt sie. Doch nach Ostern wurde aus dem Distanz- der Wechselunterricht und aus den Kacheln am Computer wurden Schüler mit Masken im Klassenzimmer. "Als der Unterricht wieder in Präsenz gegangen ist, hat es sich erst mal so angefühlt, als müsste ich alles, was ich schon mal konnte, neu lernen", erinnert sie sich. Doch dann habe sie sich überlegt, für wen sie den Unterricht vorbereitet: für die Schüler, klar, aber auch für ihre eigene Zukunft. Schließlich sei auch sie an der Schule, um zu lernen, sagt Baumeister. Das habe ihr eine Perspektive gegeben, um die Situation zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. "Meine Seminarleiterin hat gesagt, das ist, wie wenn man im schlimmsten Schneechaos das Autofahren lernt. Danach kann einen nichts mehr überraschen."

Der Abiturient

Abi Seite

Jakob König

(Foto: Hartmut Pöstges)

Jakob Königs Schulzeit am Gymnasium Schäftlarn liegt nun hinter ihm. "Ich bin echt froh, dass es vorbei ist", sagt der 18-jährige. Die Prüfungsvorbereitungen und der Stress des Homeschoolings hätten ihn viele Nerven gekostet. Und die Klassenkameraden hätten ihm gefehlt. "Ich denke schon, dass ein gemeinsamer Schulalltag in Präsenz den Prüfungsstress gemildert hätte", sagt er. Doch seine Stufe wusste sich zu helfen: Wenn auch gemeinsame Treffen ausfallen mussten, das Schafkopfen wollten sie sich nicht nehmen lassen. Deshalb trafen sie sich online, um trotz der vielen Verordnungen auch mal zu sauen. Dennoch überwog der Stress. "Ich konnte mich gar nicht auf das Ende freuen", sagt König. Es kam dann am vergangenen Freitag, als seinem Abi-Jahrgang die Zeugnisse ausgehändigt wurden. Geprägt hat ihn die Zeit am Schäftlarner Gymnasium aber schon - was ein Blick in seine Zukunft zeigt. "Lustigerweise bleibe ich erst mal noch ein Jahr an der Schule", sagt König und lacht: für den Bundesfreiwilligendienst. Denn seine Lehrer hätten es nicht nur geschafft, ihm rechtzeitig zu den Prüfungen den nötigen Stoff zu vermitteln, sondern seien ihm auch Vorbild geworden. "Ich möchte auch mal Lehrer werden", sagt der ehemalige Schüler.

Der Lehrer

Abi Seite

Benjamin Ahr

(Foto: Hartmut Pöstges)

"Alles in allem war das ein Jahr, das man sich nicht mehr wünscht", sagt Benjamin Ahr. Anders als die berechenbaren Versuche, die er normalerweise im Chemieunterricht vorführt, war das Schuljahr 20/21 ein Versuch mit offenem Ausgang. Das Homeschooling sei seinen Schülern schwer gefallen, sagt Ahr. Obwohl er am Kolleg Sankt Matthias in Waldram junge Erwachsene unterrichtet, die teilweise schon eine Berufsausbildung hinter sich haben, hätten diese mit Motivationsproblemen zu kämpfen gehabt. "Die sind teilweise auf mich zugekommen und haben mir gesagt: Ich probier's, aber ich schaff's nicht", berichtet Ahr - und man hört, wie nahe ihm das geht. Manche Schüler, die schon vor Corona nur mit viel Arbeit gerade so mitkamen, hätten nun endgültig den Anschluss verloren. "Natürlich versuchen wir im nächsten Jahr, die Defizite aufzuarbeiten", sagt Ahr. Doch er fürchte, es seien zum Teil irreparable Lücken gerissen worden.

Dabei hat sich Ahr viel Mühe gegeben: Er hat Lernvideos gedreht und geschnitten, den Kontakt zu Schülern gesucht und ist auch an freien Tagen ins Kolleg gefahren, um die Versuche, die er sonst innerhalb weniger Minuten vorbereitet hätte, in stundenlanger Arbeit zu filmen. "Ich bin dabei sicher auch in die Falle getreten, dass es in meinem Leben nur noch den Beruf gab", sagt er rückblickend. Aber alles, was er sich in den vergangenen zehn Jahren an Routine erarbeitet hat, hatte im neuen Schulalltag keinen Bestand mehr. "Es war zu viel Arbeit", sagt Ahr. "Ich will so etwas nie wieder."

Die Hauswirtschaftsleiterin

Abitur 2021

Sabine Pilch

(Foto: privat/oh)

Wenn Sabine Pilch vom vergangenen Schuljahr am Max-Rill-Gymnasium spricht, kommt sie regelrecht ins Schwärmen. Souverän habe man dort die vielen und ständig neuen Regeln in den Schulalltag integriert, sagt sie. "Das haben wir gut gemacht." Pilch ist Hauswirtschaftsleiterin der Schule, wobei sie sich mit dem Wort nicht treffend beschrieben fühlt. "Alle kommen halt zu mir, wenn sie Fragen haben", sagt sie. "Die Schüler, aber auch die Lehrer." Sie sei eher die gute Seele der Schule, "a bisserl eine Mutti". Sie habe mit ihren Hausmeistern und den "Hausfeen" jede Herausforderung der Pandemie angenommen - und gemeistert. Nicht nur hätten sie das Hygienekonzept mit Desinfektionsmittel, Tests und Markierungen umgesetzt. Als der Unterricht nur noch mit Masken gestattet war, habe ihr Team kurzerhand Klassenzimmer im Freien eingerichtet. Kleine Oasen seien das geworden, sagt Pilch, "Unterricht mit Urlaubsfeeling". Dafür habe die Schule in einer Hauruck-Aktion sämtliche Bierbänke der umliegenden Baumärkte aufgekauft. Schwer sei besonders die Zeit gewesen, in der die Schüler den Unterricht nur über das Internet besuchen konnten. Da habe ihr das Herz geblutet, weil ihr ihre "Prinzen und Prinzessinnen", so gefehlt hätten. Umso größer war die Freude, als die Schüler wieder ins Schulschloss kommen durften. Wenn Pilch über das vergangene Schuljahr spricht, klingen aber, bei allem Optimismus, auch die vielen Anstrengungen durch. "Jeder Tag war eine Überraschung", sagt sie. "Man weiß nie, was jetzt kommt."

Die Sekretärin

Christiane Grünwald

Christiane Grünwald

(Foto: Hartmut Pöstges)

"Es war schrecklich", sagt Christiane Grünwald, wenn sie an das vergangene Jahr im Sekretariat am Gabriel-von-Seidl-Gymnasium in Bad Tölz denkt. Erst seien die Plexiglaswände gekommen, und sie habe sich wie in einem Affenkäfig gefühlt, dann die Masken. Die Schüler, deren Entwicklung sie so sonst gerne verfolge, seien plötzlich nicht mehr zu erkennen gewesen. Und dann die vielen neuen Regeln und Verordnungen! Jeder einzelne Corona-Test musste gezählt und an das Landratsamt übermittelt werden. Die normale Arbeit sei im Sekretariat nicht mehr möglich gewesen. Zu alldem sei die Unsicherheit der Eltern gekommen: Was ist, wenn mein Kind hustet, was wenn es einen Schnupfen bekommt? "Wir konnten da auch immer nur wieder auf das Schreiben verweisen, das wir den Eltern zugeschickt haben", sagt Grünwald. Aber das vergangene Schuljahr sei ja geprägt gewesen von einer "überfordernden Flut" an Schreiben und Informationen. Ständig seien neue Aufgaben hinzugekommen. Besonders herausfordernd sei der Schritt von Distanz- zum Wechselunterricht gewesen. "Sobald ein Kind dann nicht in der Videokonferenz war, mussten wir rausfinden: Ist es vielleicht im Präsenzunterricht oder doch krank?", sagt Grünwald. Ihr Beruf sei ein neuer geworden, jede Routine sei weggefallen. "Wir freuen uns hier einfach darauf, wenn endlich die Masken fallen, die Plexiglasscheiben weg sind und wir wieder normalen Kontakt zu den Schülern haben können, ohne Angst vor einer Ansteckung haben zu müssen."

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