Im Cirkus Krone:Dehnungsschmerzen

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Die Obermenzinger leiden an der wachsenden Stadt, die auch vor den letzten Grünzügen nicht Halt machen will. Auf der Bürgerversammlung gibt es klare Positionen gegen die zunehmende Verdichtung und ihre widrigen Folgen

Von Jutta Czeguhn, Obermenzing

Der junge Mann an der Schleuse zur Manege stellt unmissverständlich klar: "Mit Motorrad- oder Fahrradhelm dürfen wir hier niemanden reinlassen." Frieder Vogelsgesang (CSU) macht für einen Moment ein ungläubiges Gesicht, der Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA) Pasing-Obermenzing hat sich für den Weg herüber zur Bürgerversammlung im Circus Krone auf seine Maschine geschwungen, nun steht er da in seiner Lederkluft, der Motorradhelm baumelt am Ellenbogen. "Wissen Sie, ich soll hier gleich moderieren", erklärt er dem Kontrolleur, an dem immer noch kein Vorbeikommen ist. Aus dem Krone-Bau eilt nun Andrea Franke von der BA-Geschäftsstelle West herbei. "Ist in Ordnung, er gehört zu uns", sagt sie. Vogelsgesang darf passieren, mit Helm. Es kann einen halt nicht jeder kennen.

Das Obermenzinger Erdbeerfeld ist eine der Flächen, die bebaut werden soll. (Foto: privat)

Wieder eine Bürgerversammlung für den 21. Stadtbezirk, die coronabedingt exterritorial stattfinden muss. Und wieder zeigt sich: Nur ungern nehmen die Viertelbewohner dafür längere Wege in Kauf. Kaum 50 Besucher hatte die Versammlung für Pasing in einer Laimer Schulturnhalle. Und nun, im legendären Zirkus-Rund an der Marsstraße, wo einem die Bronzefigur von Charlie Rivel den Weg zur Manege weist? Nein, mehr waren es auch am Montagabend nicht. Wer aber gekommen war, der hatte auch ein konkretes Anliegen. An die 20 Anträge und Anfragen nahm Münchens Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) als Versammlungsleiterin entgegen.

Gefährlicher Radweg: Vor allem für Kinder unterwegs zur Schule ist diese Situation an der Offenbachstraße nicht ideal. (Foto: privat)

Waren es in den vergangenen Jahren eher die Pasinger, die der Schuh drückte, sind es aktuell die Obermenzinger. Das hat vor allem zu tun mit den Schulplanungen im Münchner Westen. Bekanntlich stand als möglicher Standort das sogenannte Erdbeerenfeld ganz im Norden Obermenzings im Feuer. Ursprünglich hatte die Stadt dort einen Neubau der Carl-Spitzweg-Realschule vorgesehen, weil es am Schulcampus an der Untermenzinger Pfarrer-Grimm-Straße zu eng geworden war. Das löste einen tsunamigleichen Protest vor allem in Obermenzing aus. Sachstand heute laut Frieder Vogelsgesang: Sein Bezirksausschuss will diese Frischluftschneise frei von jeglicher Schulbebauung halten, man fordert dort einen Landschaftspark. Das politische Gremium im Nachbarbezirk Allach-Untermenzing aber plädiert für eine Light-Version an Bebauung, das heißt, auf dem Feld sollen Sportanlagen für eine Realschule entstehen, die Schulgebäude selbst wünscht man sich wiederum etwas nordwestlicher an der Von-Kahr-Straße. Die Angelegenheit ist komplex, denn die Stadt hat mittlerweile ein neues Entwicklungskonzept vorgelegt. Demzufolge bleibt das Erdbeerenfeld frei, die Realschule kann an ihrem angestammten Platz modernisiert werden, weil das Louise-Schroeder-Gymnasium den Schulcampus räumt und - vorübergehend - ins Neubaugebiet an den Obermenzinger Dreilingsweg umzieht. Ein abendfüllendes Thema, wie Frieder Vogelsgesang sagte, weshalb es kommenden Dienstag, 27. Juli, 18 Uhr, dazu eigens eine digitale Infoveranstaltung gibt (Live-Stream und Chat; https://www.muenchen-mitdenken.de/). Aus der Bürgerversammlung im Krone-Rund kam nun erwartungsgemäß ein Antrag an die Stadt, sämtliche Planungen auf dem Erdbeerenfeld fallen zu lassen.

Nahe am Bahnhof Obermenzing soll auf einem Areal eine Unterkunft für Wohnungslose entstehen. (Foto: privat)

Ebenfalls hochaktuell sind Pläne für eine städtische Unterkunft für 200 wohnungslose Menschen auf einer privaten Brache an der Bauseweinallee 8 direkt am Obermenzinger S-Bahnhof. Wie schon bei der Erdbeerenwiese hat sich eine Bürgerinitiative formiert, die das verhindern will und mit Verkehrsproblemen argumentiert. Ihre Vertreter waren der Bürgerversammlung aber offenbar ferngeblieben. Vielmehr gab es den engagierten Appell einer Bürgerin, die ihre Nachbarn aufforderte: "Zeigen wir, dass uns Obermenzingern das Wohl aller Menschen am Herzen liegt!" Zu dem Thema kam auch ein Antrag von der ehemaligen Seniorenbeirätin des BA, Franziska Miroschnikoff, auf dem Areal Seniorenwohnungen zu realisieren.

Was bewegte die Besucherinnen und Besucher der Versammlung sonst noch? Der Verkehr natürlich: Helmut Rothballer von der Interessengemeinschaft Alte Allee/Bergsonstraße beantragt Jahr um Jahr ein Verkehrskonzept für den Münchner Westen. Und wird dabei immer fatalistischer, je schneller neue Baugebiete in Obermenzing wachsen und der Gartenstadtcharakter des Viertels verschwindet. Ein anderer Besucher kletterte nach unten in die Manege ans Mikro, um mehr Macht für den Bezirksausschuss zu fordern, er solle die entscheidende Instanz bei der Genehmigung von Bauanträgen sein. Die enorme Baustellendichte gefährde auch die Kinder im Stadtbezirk, klagte eine Vertreterin des Elternbeirats des Elsa-Brändström-Gymnasiums und nannte besonders den Radlweg an der östlichen Seite der Offenbachstraße. Sie verlangt von der Verwaltung ein stadtweites Konzept zur Verbesserung der Baustellen-Absicherung an zentralen Fahrradschulwegen. Eine Besucherin verwies auf einen Workshop kommende Woche, bei dem auch über ein neues Format von Bürgerversammlungen nachgedacht werden soll, das mehr Partizipation erlaubt.

© SZ vom 21.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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